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sven1421

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Samstag, 15. September 2012, 15:12

"Zeige mir einen Helden und ich zeige Dir eine Tragödie". (Francis Scott Fitzgerald)

WIR ERINNERN UNS: Innerhalb von nur sieben Tagen ging vor Lukas Svenssons Augen die Welt unter. Und im Sturz durch Raum und Zeit Richtung Unendlichkeit strebte auch er selbst letztlich schon dem sicheren Ende entgegen. Dann aber fing unter äußerst mysteriösen Umständen für ihn irgendwie und irgendwann irgendwo die Zukunft an. Das lange Warten hat nun ein Ende, und das endgültige und unausweichliche Ende beginnt unter veränderten Vorzeichen noch einmal von Neuem. Die finale Uhr tickt ...

"Die Zeiten ändern sich unentwegt. Was mir eben noch vertraut und bekannt erschien, ist mir plötzlich völlig fremd. Namen und Worte sind Schall und Rauch. Längst vergangen Gedachtes wird mit einem Male wieder brandaktuell. Und eine unglaubliche Bedrohung schwebt einmal mehr über meinem Leben und dem eines von mir geliebten Menschen. Ich bin Inspektor Lukas Svensson, und was nun begonnen hat, sind die unwiderruflich letzten Tage meines Lebens".

EPISODE 08: Du bist nicht mehr Du

Am ganzen Körper hörbar vor sich her tröpfelnd schraubte die splitternackte ältere Frau hinter dem aufgerissenen Vorhang ein Art Ventil zu, worauf der auf sie herabrinnende Wasserfluß augenblicklich stoppte. Dann trat sie langsam Schritt um Schritt auf Lukas Svensson zu, warf ihre beiden Arme um seinen Hals und drückte ihm ihre feuchten Lippen auf die linke Wange, wozu sie leise hauchte: "Ich schon gedacht, Du verschlafen nach beruhigende Spritze von Rettungsmänner noch ganzes Nacht und halbes Morgen. Schön, daß Du jetzt wieder sein wach und alles sein gut!". Der unbekleidete Ex-Inspektor aber entzog sich ihrem Zugriff und stammelte: "Gut? Nichts ist gut! Was soll das alles? Wo bin ich denn hier? Wer ist der alte Kerl da rechts von mir?". Milde lächelnd schüttelte die Frau ihr nasses Haar, während sie zu einem bereitgelegten Handtuch griff und sich damit vor Svenssons Augen in aller Seelenruhe abzutrocknen begann: "Ach Luki, das Kerl neben Dich sein Du selber! Das doch nur Dein Bild von Spiegel". Lukas aber beugte sich ungläubig sachte zur rechten Seite herüber. Dabei durchdrang sein Gesicht den feuchten Nebel und erblickte tatsächlich sein - kaum weniger entsetzt als er selbst dreiblickendes - Spiegelbild vor sich. Beide Mannsbilder griffen sich dabei gleichzeitig ans faltige Haupt und betasten es immer wieder, wozu ihre Lippenpaare synchron furchtsam murmelten: "Mein Gott, wie sehe ich nur aus. Ich bin scheinbar schlagartig um Jahre gealtert. Was hat man nur alles mit mir angestellt, daß ich jetzt so zerfurcht ausschaue?". In seinem Rücken aber hauchte das unschuldig klingende Stimmchen der entblößten älteren Dame: "Du echt nix mehr wissen? Du in Nacht sein aufgestanden und gegangen auf Toilette. Dabei Du sein ausgerutscht und gefallen und haben angestoßen Dein Kopf an Waschbecken. Man Dich gebracht mit Tatütata in krankes Haus und Dir gegeben Spritze zum Dich-Beruhigen. Dann man haben Dich untersucht und zurückgeschickt nach Hause". Lukas, der sich bei diesen Worten wiederholt abwechselnd an Stirn und Oberarm gegriffen hatte, drehte sich nun wie in Zeitlupe ganz langsam einmal um die eigene Achse, so daß er am Ende der Bewegung wieder Auge in Auge mit jener tropfnassen Frauengestalt stand. Seine Schultern aber überkam augenblicklich ein leichtes Zucken, während er ihr nun die alles entscheidende Frage stellte: "Wer sind Sie überhaupt? Und was tun Sie hier, hüllenlos und mitten in der Nacht?". Kurz zögerte die Angesprochene mit weit offenstehendem Mund, dann sprach sie: "Nun, ich sein Dein Frau, und ich hier leben mit Dir". Lukas Svensson aber schüttelte nur vorsichtig den angeschlagenen Kopf: "Meine Frau?! Netter Versuch! Aber sorry Maam, das nehm ich Ihnen jetzt bei aller Liebe wirklich nicht ganz ab. Auch wenn ich mir den Kopf gestoßen haben mag, weiß ich doch wohl immernoch nur allzugut, wie meine Frau aussieht. Und Sie sehen Ihr ja noch nicht mal wirklich ähnlich, zumal Sie - verzeihen Sie mir, wenn ich das so offen sage - auch noch deutlich älter ausschaun. Da hätten sich Ihre Jungs mit dem Betäubungsmittel und der Auswahl einer passenden Doppelgängerin schon ein wenig mehr Mühe geben müssen, um mir diese ganze Scharande glaubhaft machen zu können. Obwohl Sie sich mit ihrem etwas überspitzt gespielten russischen Akzent ja alle Mühe zu geben scheinen. Und jetzt will ich von Ihnen augenblicklich wissen, wo ich hier wirklich bin und was Sie mit meiner Frau angestellt haben!". In einem Anflug von Furcht und Zorn ballte der Ex-Inspektor dazu beide Fäuste. Die Frau vor ihm aber wich ein paar Schritte zurück und drückte dabei einen an der Wand befindlichen roten Knopf. Wenige Sekunden später standen eine junge Frau und ein junger Mann in merkwürdigen weißen Kitteln in der Tür und packten Lukas Svensson an jeweils einem Arm. Die junge Frau aber sagte nur: "Keine Sorge, meine Liebe, das haben wir gleich!" Und an Svensson gewandt, ergänzte sie nüchtern: "Und Sie werden jetzt erstmal wie angedacht noch ein paar Stündchen schlafen, Mister Svensson. Sie werden sehen, wenn Sie morgen vormittag aufwachen, dann schaut die Welt schon wieder ganz anders aus". Damit kramte sie vor Lukas' entsetzten Augen mit einer Hand aus ihrer Tasche eine Fertigspritze, eine passende Kanüle und eine Ampulle mit einer farblosen Flüssigkeit hervor. Sie reichte die Ampulle ihrem Partner, die dieser sofort an der dafür vorgesehenen Stelle zerbrach und ihr dann wieder entgegenhielt. Die Frau aber hatte inzwischen die Kanüle auf die Spritze geschoben und betankte sie nun nach und nach mit dem Ampulleninhalt. Dann erfühlte sie behutsam eine Vene an Svenssons linkem Unterarm, drückte die Knaüle vorsichtig in das Blutgefäß und injizierte ihm fachmännisch die eben aufgezogene Lösung. Lukas' Knie wurden auf der Stelle weich, so daß ihn nur der Zugriff der beiden Weißkittel an Armen und Beinen vor dem unkontrollierten Zu-Boden-Sinken bewahren konnte. Wie in Trance nahm er anschließend wahr, wie man ihn zurück in die Dunkelheit trug, aus der er gekommen war und die inzwischen ein schummriges Licht aufhellte. Man legte ihn in jenem Raum auf ein an der Wand stehendes Doppelbett. Verzweifelt versuchte der Ex-Inspektor, seinen immer mehr verschwimmenden Blick schweifen zu lassen. Nein, das hier war nicht seine Wohnung, auf keinen Fall! Leise weinend raunte er: "Was für ein Teufelszeug haben Sie mir da gegeben? Und was haben Sie mit mir vor?". Das Gesicht des jungen Mannes, das dabei unmittelbar über dem seinen schwebte, aber erwiderte ruhig: "Sie haben lediglich ein paar Milliliter des Beruhigungsmittels Halo von der Firma B-Yonce bekommen, damit Sie uns hier mitten in der Nacht nicht noch das ganze Haus zusammenschrein. Glauben Sie mir, wir wollen nur Ihr Bestes, Mister Svensson! Und alles andere findet sich morgen!". Um Lukas Svensson aber versank die Welt im selben Augenblick in einer Art gräulich angehauchter kunterbunter Wattewolke.

Der Ex-Inspektor hatte nicht den geringsten Schimmer, wieviel Zeit wohl vergangen sein mochte, als er mit einem merkwürdig pelzigen Gefühl auf der Zunge langsam die Augen wieder aufschlug. Noch immer lag er in dem fremden Bett, bis zum Hals zugedeckt mit einem Deckbett, dessen gelbgemusterte Hülle für sein Gefühl einen klinischen Duft absonderte. Vor der spaltbreit offenstehenden Eingangstür des inzwischen von der Sonne taghell ausgeleuchteten Raumes erblickte er zu seiner sichtlichen Erleichterung endlich ein vertrautes Gesicht. Es gehörte Charles Wannabe, seinem Kollegen aus dem Yard. Und selten hatte er sich so über dessen Anblick gefreut, wie in dieser schrecklich ungewissen Situation. Er wollte seinen, ihm bleischwer erscheinenden Oberkörper schon aufrichten und den unweit entfernten Bekannten zu sich heranrufen, als er entsetzt erblickte, wie Wannabe der soeben hinzugetretenen fremden Frau sanft über die Wange streichelte, die ihm noch in der Nacht zuvor vorzugaukeln versucht hatte, sie sei seine Ehefrau. Charles und sie aber unterhielten sich vor seinen Augen ein Weilchen angeregt flüsternd, worauf Wannabe die ältere Dame schließlich unterhakte und mit ihr entschwand. Lukas Svensson aber ließen sie verunsichert zurück. Was um Himmels willen war hier nur los? Steckte Wannabe etwa mit der mysteriösen Fremden unter einer Decke? Und wenn ja, was hatten sie nur mit ihm und seiner richtigen Frau vor. Wilde Verschwörungstheorien nahmen Gestalt an und begannen, durch Svenssons Kopf zu kreisen. Möglicherweise machte Wannabe mit seinem wiederauferstandenen Ex-Kollegen Crawler mit diesen Gestalten hier gemeinsame Sache, was die Ausschaltung Svenssons anging. Vielleicht hatte man Lukas' Frau ja als Geisel genommen, um ihn damit zu erpressen. Vermutlich wußte er einfach zuviel - beispielsweise, daß Crawler lebte. Aber egal, wie dem auch sei, eines stand felsenfest: Wenn er sich dem ganzen Komplott nicht schutzlos ausliefern wollte, dann mußte er erst einmal schnellstens hier heraus! Mühsam versuchte Svensson, sich aufzurichten, doch er war dazu einfach zu schwach. Dieses verdammte Betäubungszeug wirkte immer noch. Kämpferisch entschlossen startete er einen zweiten und dritten Versuch, die allerdings nicht weniger erfolglos endeten als der erste. Am Ende seiner stark beschränkten Kräfte sah er sich schließlich doch zum Aufgaben gezwungen und tauchte aus reiner Erschöpfung ein weiteres Mal in das Reich sanft nebelverhangener Albträume ein.

Charles Wannabe und seine Begleiterin hatten sich inzwischen über den Hinterausgang des Gebäudes, in welchem sie Lukas Svensson schlummernd zurückließen, ins Freie begeben und spazierten nun durch die - nach einem besonders strengen und langen Winter - langsam wieder aufblühende Landschaft eines kleinen Parks, der sich hier dem der Straße abgewandten Teil des mehrstöckigen Hauses anschloß. Gemeinsam schickten sie sich schließlich an, am Ufer jenes Teiches, welcher zwischen all den - von zarten Knospen gekrönten - Bäumen und Sträuchern die Mitte des Parks bildete, auf einer der zahlreichen bereitstehenden Parkbänke platzzunehmen. Dabei strich Charles Wannabe zunächst mit der rechten Hand sorgsam den Morgentau von der hölzernen Sitzfläche, bevor er in einer stummen, einladenden Geste seine Begleitung höflich aufforderte, sich hinzusetzen. Er wartete, bis sie freundlich lächelnd dieser Aufforderung nachkam, dann nahm er neben ihr platz. Eine Weile lang saßen die Beiden einfach stumm nebeneinander und schauten dabei recht gedankenversunken auf die leichtbewegte Wasseroberfläche des Teiches vor ihnen. Erst seit wenigen Tagen tummelten sich hier wieder ein paar Enten, die von nun an wohl bis zum späten Herbst hier verweilen würden, um tagsüber unentwegt schnatternd darauf zu lauern, daß ihnen vorbeigehende Passanten mitgeführte Brotkrumen zuwarfen, an denen sie dann ihren Hunger stillen konnten. Mit dem Einzug des nächsten Winters über würden die Vögel dann vermutlich einmal mehr in den deutlich wärmeren Süden Europas übersiedeln, um später im darauffolgenden Frühjahr - wie auch jetzt in den letzten Märztagen des Jahres 2015 - einem natürlichen Jahreskreislauf folgend, wieder hierher zu kommen. Dabei war es eine Art Erinnerung, die sie immer wieder zielsicher zurückkehren ließ. Wem sie hingegen unterwegs auf der Strecke blieb, dem war irgendwann einmal keine Rückkehr mehr möglich. Der verlor Stück um Stück den Anschluß an seine Artgenossen, irrte und verirrte sich mehr und mehr. Sein Leben geriet schließlich völlig aus der gewohnten Bahn. Und am Ende ging er an jenem Zustand sogar meist recht elendig zugrunde. Da ging es den Vögeln gar nicht soviel anders als den Menschen. Solch düstere Gedanken geisterten durch Charles Wannabes Kopf, der sich mit einem Male jener ältere Dame zu seiner Rechten zuwandte und schließlich mit einem lauten Stoßseufzer das bedrückte Schweigen brach: "Und Sie glauben wirklich nicht, daß seine momentan extreme Verwirrtheit diesmal vielleicht auch nur von dem nächtlichen Sturz im Bad herrühren könnte, teuerste Yelena?!". Die Frau neben ihm schüttelte traurig den Kopf: "Nein, ich das nicht denken, Charles! Luki gehabt neues Schub von Altersvergeßlichkeit wie schon nach Rückkehr von Begräbnis von armes Onkel Fritz. Er geredet soviel wirr, als Männer von Rettung mit großes krankes Wagen ihn abgeholt zu Röntgen letztes Nacht. Notarzt mir später haben gesagt, er bei Untersuchung gestammelt von Ihres Hund Vierbein, Blümchen mit Name Sunny und großes Bombe, die alles kaputtgemacht haben, geworfen von böses Mann, das heißen Derrik Crawler". Nun war es Charles Wannabe, der traurig und mitleidig sein langsam ergrauendes und immer kahler werdendes Haupt hin und her schüttelte: "Immer wieder die fixe Idee von ihm, daß dieser Lump Crawler noch leben könnte. Überhaupt hat damit alles ja erst angefangen. Lukas kam letzten November aus Berlin zurück und war völlig verändert. Man konnte einfach nicht mehr vernünftig mit ihm reden. Er war ja geradezu besessen von dem Gedanken, Derrik Crawler könnte seinen Onkel Fritz ermordet haben. Und das nur, weil eine Nachbarin von Fritz Salomon, die selbst schon recht alt und verwirrt erschien, ihm als letzten Gast seines Onkels einen Mann beschrieb, der seinem Aussehen nach Crawler ein wenig ähnlich gewesen sein mag. Der gute alte Lukas aber hat er die arme Frau mit einem alten Foto Crawlers solange bekniet, bis sie ihm seinen Verdacht bestätigte. Wieder zurück in London pochte er dann mir gegenüber tagelang darauf, daß unsere Detektei alle laufenden Fälle ruhen lassen und sich fortan ausschließlich der Suche nach Derrik Crawler widmen sollte. Und was tat er, als ich das ablehnte?! Er nannte mich einen Verräter und kündigte mir wutentbrannt Partnerschaft und Freundschaft. Stattdessen beauftragte er seine deutsche Zufallsbekanntschaft Georg Götze aus Essen mit weiterführenden Ermittlungen im Todesfall seines Onkels. Er selbst aber saß fortan Tag und Nacht am Telefon oder im Keller des Yard bei seiner alten Bekannten Carla O'Brian und wälzte Crawlers Akten, bis er dann am Silvesterabend letzten Jahres vor Erschöpfung zusammenbrach. Sie erinnern sich ja doch noch an jenen Abend und die sich anschließende Nacht?!". Yelena nickte schluchzend: "Wie ich das könnte vergessen?! Wenn ich nicht hätte gehabt Sie in dieses Nacht von Wechsel zu Neues Jahr, ich nicht hätte gewußt, was ich sollen tun". Zärtlich berührte Wannabes Handrücken ihre blasse Wange: "Und ich hab ihn früher immer damit aufgezogen, daß er langsam senil wird. Aber ich ahnte ja nicht einmal annähernd, wie schnell daraus bitterster Ernst werden kann. Das wurde mir erst bewußt, als ich am besagten Neujahrsmorgen einen Anruf erhielt, weil die ehemaligen Kollegen von der Metro Police Lukas gegen 2 Uhr nachts barfuß in Morgenmantel und Schlafanzughose auf der Straße aufgegriffen hatten, wo er verängstigt herumirrte und dabei immer wieder meinen Namen rief. Und das nur, weil in seinem angeschlagenen Geist Traum und Realität verschwommen waren und ihm vorgaukelten, nun auch selbst Crawlers Schatten vor seinem Schlafzimmerfenster erblickt zu haben. Ich hab mich dann rasch angezogen und war kurz vor 3 Uhr in der Wache eingetroffen, wo er von den Beamten - in der festen Annahme, er habe einfach nur beim Silvetsrefeiern etwas zu tief ins Glas geschaut - in eine Ausnüchterungszelle gesperrt worden war. Nun ja, und von dortaus hab ich ihn ja dann wieder zu Ihnen nachhaus gebracht". Wieder nickte Yelena sichtlich bestürzt: "Ja, und das gewesen erstes Schub. Hausärztin haben ihn nächstes Tag untersucht und geschickt zu Neurologe, welches haben festgestellt, daß bei Luki beginnen Demenz von Typ Alzheimer".

Wannabe ergriff mit seiner rechten Hand vorsichtig die ihre zitternde linke und wisperte: "Ja, und nachdem Sie noch drei Wochen probiert hatten, ihn ganz allein zuhause zu pflegen, wobei er noch zwei weitere Male bei Dunkelheit und eisiger Kälte leichtbekleidet durch die Stadt irrte, haben wir uns ja dann gemeinsam schweren Herzens dazu entschlossen, daß ein betreuter Heimaufenthalt bei seinem möglicherweise schnell fortschreitenden Krankheitsbild einfach unumgänglich ist". Jetzt legte Yelena ihre rechte Hand sanft über die Wannabes, während sie hauchte: "Und dabei wir nur Ihnen haben es zu verdanken, daß wir schon so kurz nach Wechsel von Jahr an vierundzwanzigstes Januar 2015 haben bekommen doppeltes Zimmer auf großes Wohnbereich 'Fidelitas' von schönes altes Heim 'Heavensdoor', wo ja auch liegen Ihr Exfrau. Wie es eigentlich gehen ihr?". Charles Wannabe hob langsam seine Schultern ein wenig an, nur um sie dann umso schneller wieder herabsinken zu lassen: "Die Ärzte geben ihr auch weiterhin keine Chance, jemals wieder aufzuwachen. Sie haben mich als einzigen noch lebenden Angehörigen sogar schon vorsichtig gebeten, einmal über ein mögliches Abschalten der Apparate nachzudenken. Aber das kann ich einfach nicht entscheiden! Wie kann man denn von mir verlangen, daß ich Gott spiele und bestimme, wann ein Leben zuende zu sein hat. Außerdem sagt mir irgendetwas in meinem Innern, daß es einen tieferen Sinn gibt, warum Janet noch nicht von uns gegangen ist - so als hätte ihr komatöses Dasein noch eine letzte, wichtige Bestimmung zu erfüllen, bevor sie endgültig aus dem Leben scheiden kann. Aber ich texte Sie hier mit meinen kleinen Problemchen zu, und dabei bewegen Sie selbst viel größere eigene Sorgen, meine Teuerste! Erzählen Sie doch noch einmal in Ruhe, wie das genau war, als Lukas heute nacht wieder aufgewacht ist und dann plötzlich vor Ihnen im Bad stand?!". Yelena senkte betroffen ihren Kopf und murmelte: "Er mich nix haben erkannt. Er mir gesagt, ich nix sein sein Frau und behauptet, ich treiben falsche Spiel mit ihm! Sicher er wieder so sehr Vergangenheit und Gegenwart durcheinandergeworfen in Kopf, daß er denken, er noch sein viel jünger und mit erstes Frau Nina verheiratet. Sie sich noch erinnern?". Wannabes Kopf begann zu nicken: "Ja, das war doch auch beim zweiten Schub so, nicht wahr?! Wo er sich erst beruhigte, als seine Tochter Lisa eintraf, die er unentwegt mit den Namen ihrer Mutter ansprach und für seine Ehefrau hielt. Sie hat ihn dann mit viel gutem Zureden dazu gebracht, sich von dem hinzugerufenen Bereitschaftsarzt endlich eine Beruhigungsspritze geben zu lassen, wonach er zunächst einmal etwa 12 Stunden ununterbrochen schlief. Und als er dann aufwachte, war er fürs Erste scheinbar wieder völlig klar. Zumindest, bis er uns Beide eine Woche später für seine Eltern hielt und von mir eine Gute-Nacht-Geschichte über das gute alte Königsberg erzählt haben wollte". Ein kurzes Schmunzeln kehrte bei der Erinnerung an diese Begebenheit in das Gesicht Wannabes ein, wozu er raunte: "Entschuldigung, wenn ich jetzt unpassenderweise grinse, aber allein die Vorstellung, daß ich sein Vater und Sie seine Mutter und daß wir Beide zusammen ...". Sich bewußt werdend, wohin Yelena und ihn diese kleine Gedankenspielerei führte, räusperte sich Charles Wannabe einmal kräftig und ergänzte dann, die Unterhaltung nun in eine völlig andere Richtung fortführend: "Nochmal zurück zur vergangenen Nacht ... Was meinten denn eigentlich die Ärzte in der Rettungsstelle, was derart rasch den neuerlichen Schub bei unserem Lukas ausgelöst haben könnte?". Yelena Svensson zuckte mit den Schultern: "Sie nix Ahnung haben. Ich dagegen glauben, es sein gewesen doppeltes Postsendung, welches eingetroffen an Vortag. Das einfach zuviel gebracht an Aufregung für verwirrtes Mensch. Da gewesen erstens Schreiben aus Rußland von Olga und Sergej aus Zug mit Foto von kleines Francesca, welches nun bald kommen in Schule und haben von Gesicht erinnert Luki an anderes Mädchen Francesca aus altes Fall mit trauriges Schicksal. Und zuerst gekommen Paket mit Stollen von Uschi, die sich gekümmert immer um verstorbenes Onkel Fritz. Sie mitgeschickt Foto von Grab von Onkel in Briefkuvert mit schwarzes Rand, welches Onkel noch selbst vor Ableben haben mit Adresse beschriftet und beklebt mit zwei Marke. Luki gleich haben gemeint, daß dieses Brief sein wie Zeichen von Himmel, daß er nicht sollen aufhören mit Suche nach Mörder von Fritz". Mit diesen Worten zog ihr zitterndes Händchen zugleich einen etwas geknickten Briefumschlag aus der Tasche ihrer Wildlederacke hervor und überreichte ihn Wannabe. Der besah sich kopfschüttelnd jenes Kuvert und seinen Inhalt, dann raunte er: "Nun ja, ein wenig merkwürdig ist das schon, daß jemand seine eigene Kondolenzdanksagung adressiert und mit Briefmarken versieht, aber als ein wundersames Zeichen seh ich das Ganze nur insofern an, als daß man den Brief von deutscher wie auch britischer Seite überhaupt befördert hat. Denn die beiden Marken darauf sehen mir keineswegs wie heutzutage gültige Postwertzeichen aus. Eine scheint bereits auf den ersten Blick noch aus Zeiten der untergegangenen DDR zu stammen und die andere blaue ist wohl sogar noch älter - eine längst abgelaufene Marke aus dem Vereinigten Königreich, wenn Sie mich fragen. Naja, vermutlich haben da die Postler auf beiden Seiten des Kanals ausnahmsweise mal zwei Augen zugedrückt". Er gab den wiederbefüllten Umschlag an Yelena zurück, die ihn daraufhin erneut sorgsam in ihrem Mantel verstaute. Noch im selben Moment aber kam aufgeregt ein junger Mann ganz in Weiß geradezu überfallartig auf die Parkbank zugestürmt und rief: "Verzeihung, wenn ich sie Beide störe, aber sind Sie unter Umständen Mister Wannabe?". Charles Wannabe nickte: "Ja, wenn man der Eintragung in meinem Paß Glauben schenken darf, dann schon! Was gibts denn so Eiliges, junger Freund?!". Der völlig außer Puste geratene Pfleger atmete dreimal tief ein und aus, dann erklärte er: "Da war gerade ein Anruf für Sie an unserem Empfang. Ich soll Ihnen übermitteln, Sie möchten sich doch bitte umgehend zur Zentrale der Antiterroreinheit CI7 begeben. Es ginge um das plötzliche Verschwinden eines gewissen Mister Cypher!". Nun war es Wannabe, der sichtlich in Aufregung geriet: "Was, Cypher?! Lou Cypher, dieser Mistkerl, der vor nunmehr fast genau 5 Jahren den armen Henry Fist beinahe umgebracht hat und mit dabei einen teuflischen Plan verfolgte?! Sie entschuldigen Yelena, aber in diesem Fall muß ich mich leider fürs Erste von Ihnen verabschieden. Schließlich schrillen siet Jahresbeginn bei der Antiterroreinheit, wenn es um Cypher und Co geht, sämtliche Alarmglocken. Ich komme morgen wieder vorbei! Schöne Grüße an Lukas, falls er inzwischen wieder ein wenig zu sich gekommen sein sollte!". Mit einem festen Händedruck und einem letzten, kurzen aufmunternden Augenzwinkern verabschiedete sich Charles Wannabe von Yelena Svensson und machte sich dann eiligen Schrittes - außen ums Haus herum laufend - auf den Weg zu seinem vorm Haupteingang geparkten Kombi.

Auch Yelena machte sich daraufhin - wenn auch deutlich langsameren Schrittes - auf den Rückweg, wobei sie am Hintereingang des Pflegeheims einem älteren Herrn mit Strickpudelmütze begegnete, der im weißen Kittel daherkam und eine Art braune Hebammentasche mit sich trug. Er sprach Yelena Svensson im Vorbeigehen an: "Misses Svensson, nehme ich an?!". Verdutzt blieb die Angesprochene stehen und betrachtete dabei den Fremden von oben bis unten: "Ja, das ich sein! Und wer sein Sie?!". Der Weißkittel reichte ihr die Hand: "Ich bin der Doktor, die Vertretung Ihrer Hausärztin Doc Holly Wood, die gestern für ein paar Wochen zu einem Seminar über die neue Methode der Flux-Kompensation in die Staaten geflogen ist. Ich wollte gerade einen Hausbesuch bei Ihrem Mann machen, aber der schläft momentan tief und fest. Vermutlich wirkt die Beruhigungsspritze noch, die er nachts erhalten hat. Ich war schon bei den Schwestern Ihres Wohnbereichs und hab für den Bedarfsfall starker innerer Unruhe bis zu 3mal pro Tag 8 Tropfen Haloperidol oder kurz Halo angesetzt - täglich 24 ist da in meinen Augen eh das Höchste der Gefühle. Schließlich wollen wir Herrn Svensson ja auch nicht zudopen, wie man so schön sagt! Morgen komme ich dann noch einmal vorbei und schau mir den Patienten genauer an. Ansonsten können Sie oder die Schwestern mich tagsüber bis 20 Uhr anrufen, falls etwas Außergewöhnliches passiert - im Schwesternzimmer hab ich dazu meine Nummer hinterlegt. Also dann, bis morgen, Frau Svensson! Und verlieren Sie bitte nicht den Mut! Ich tue in Zusammenarbeit mit dem Personal hier alles in meiner Macht Stehende, damit Ihrem Mann trotz seiner Krankheit soviel Lebensqualität wie nur möglich erhalten bleibt". Der ältere Herr schüttelte ihr noch einmal rasch die Hand, wobei er ihr gleichzeitig mit der anderen eine aus seiner Kittelbrusttasche hervorgezückte Visitenkarte überreichte, dann machte er auf dem Hacken kehrt und entschwand mit einem leise gemurmelten: "Ich muß schnell zurück zu meinem De Lorean, den ich in der Einfahrt vorm Haus im absoluten Halteverbot geparkt hab, auf mich wartet schließlich im General Hospital noch eine Steißgeburt!". Yelena aber blieb zurück in ihrer Hand ein kleines gelbes Kärtchen, auf dem mit blauem Schriftzug "Der Doc - Allgemeinmediziner und Gynäkologe - Email: DOCTOR M@BRA.UN - Mitglied des UN Medicine Corps der British Royal Academy in London" zu lesen war ...

Noch völlig in Gedanken versunken, kehrte Yelena Svensson in das Bewohnerzimmer 624 auf dem Wohnbereich "Fidelitas" im sechsten Stock des Pflegeheims "Heavensdoor" zurück. Dabei bemerkte sie beim leisen Öffnen und Schließen der Zimmertür nicht einmal, daß ihr Mann inzwischen weider erwacht war und nun wie ein Häufchen Elend auf der Bettkante kauerte, wo er mit großen Augen vor sich hinstarrte. Erst als er seinen Kopf zu ihr umdrehte und sie mit großen fragenden Augen ansah, erblickte auch sie ihn. Ihr Augen bekamen sogleich ein feuchtes Glitzern. Er aber stammelte leise: "Wo warst Du nur solange?". Schluchzend fiel Yelena ihrem Lukas um den Hals und wisperte: "Dann Du also wieder wissen, wer ich sein?! Du mich nix mehr halten für fremdes Frau?!". Verwundert schüttelte Lukas Svensson seinen Kopf, wobei sein Stoppelbart geräuschvoll über das Wildleder ihrer Jacke kratzte: "Du eine Fremde?! Aber natürlich nicht. Du bist doch Yelena, meine geliebte Frau! Wie könnte ich das den je vergessen ... Oder hatte ich etwa schon wieder ...?!". Yelenas tränenüberlaufene Wange löste sich kurzzeitig von der seinen, während ihr Kopf sachte nickte: "Ja, Luki! Du gestern nacht gedacht, ich sein fremdes Frau! Es so schlimm gewesen, daß Schwester von Nachtdienst Dir gegeben Spritze zu Beruhigung". Wieder sah sie Lukas fragend an: "Schwester von Nacht?! Dann sind wir hier wohl in einem Krankenhaus, wie?!". Nun aber versetzte Yelena als Antwort ihr Haupt in ein leichtes Schütteln: "Nein, Luki, Liebes! Wir hier sein in altes Heim!". Lukas drückte sie sichtlich erschrocken von sich: "Im Heim?! Doch nicht etwa im Waisenhaus 'Sunshine'?! Wenn ja, dann bring mich bitte schnell von hier fort, bevor mich Fräulein Rottenmayer wieder stundenlang in die viel zu enge Besenkammer sperrt!". Sanft strich Yelena ihrem Mann über die zitternde Schulter: "Keinen Angst! Wir hier nix sein in Heim für elternloses Kinder. Wir jetzt wohnen doch seit zwei Monate in Heim für Pflegen mit himmlisches Namen 'Heavensdoor'!". Sich dank dieser Klarstellung sichtlich beruhigend, zuckten Lukas' Schultern nun unter Yelenas zart aufgelegter Hand: "Ach, da war wohl die Miete für unsere Wohnung zu hoch, daß wir hierher umgezogen sind, wie?! Nun ja, wie dem auch sei, ich hab jetzt auf alle Fälle lange genug gepennt. Es ist an der Zeit, daß ich was tue! Ach übrigens, wie spät ist es eigentlich, mein Schatz?". Yelena Svensson schaute kurz auf ihre kleine goldene Armbanduhr und erwiderte dann: "Es jetzt sein genau fünf vor zwölf Uhr mittags!". In dieser Sekunde zeigte sich in Lukas' immer größer werdenden Augen so etwas wie blankes Entsetzen: "Fünf vor zwölf! Aber dann muß ich ja zur Arbeit! Sonst bekomme ich am Ende noch Ärger mit meinem Yardchef, dem alten Harold Freakadelly!". Der Ex-Inspektor wollte sich schon von der Bettkante erheben, aber Yelena hielt ihn am Ärmel seines Pyjamaoberteils zurück: "Nein, Luki! Du noch zu schwach zu Aufstehen und Gehen! Und außerdem Du doch nix mehr arbeiten! Du und ich sein Rentner!". Lukas ließ sich neben ihr zurück aufs Bett plumpsen und zwinkerte ihr dabei schelmisch zu: "Du und ich, Rentner, ja?! In zehn Jahren vielleicht, meine Liebe! Das nimmt Dir bei Deinem Aussehen doch eh keiner ab, daß Du schon 60 sein willst! Aber wenn Du heute nachmittag noch was Geheimnisvolles mit mir vorhast, dann will ich kein Spielverderber sein. Warum soll ich nicht auch mal einen Tag blau machen und mit meiner zauberhaften Frau das Bettchen hüten! Aber vorher gehen wir noch ganz schick zu Mittag aus, ja!". Yelena schüttelte lächelnd ihr süßes Köpfchen: "Nix da! Ich jetzt klingeln nach Zimmerservice, und Du bleiben ganz brav in Bett, verstehen?!". Lukas Svensson nickte etwas überrascht: "Oha, ich hab irgendwie ganz vergessen gehabt, wie resolut mein Frauchen manchmal sein kann. Als Mustergatte ist mir Dein Wunsch natürlich Befehl, liebste Yeli!". Die so Angesprochene angelte sichtlich zufrieden nach einem langen Kabel, an dessen Ende auf dem - neben dem Bett stehenden - Nachttisch eine Art Buzzer mit einem hervorragenden roten Knopf angebracht war, auf welchen sie sogleich drückte. Es dauerte anderthalb Minuten, dann wurde an der Zimmertür angeklopft, und herein trat ein junger Mann mit Schnurrbart, der mit einem weißen Poloshirt und weißen Hosen bekleidet war. Er räusperte sich kurz, dann fragte er: "Was kann ich für Sie tun?!". Noch ehe Yelena antworten konnte, hatte ihr Mann bereits das Wort ergriffen: "Dich kenn ich doch! Du bist doch der Adam, der mich schon öfter nach Hause begleitet hat, wenn ich nach einem kleinen Abendspaziergang auf dem vertrackten Flur den Weg allein nicht mehr gefunden hab!". Der junge Mann nickte lächelnd: "So siehts aus, Mister Svensson! Und ich würde es mit größtem Vergnügen jederzeit wieder tun!". Lukas nickte: "Netter Zug von Dir! Und jetzt jobst Du also hier im Hotel! Nun denn, bring uns doch mal was Feines zu essen! Zwei große Portionen inklusive Salat und Dessert, wenn's recht ist! Die Auswahl überlaß ich dabei ganz allein Dir! Und dazu zwei Gläschen exquisiten Rotwein, ja?!". Nachdenklich kratzte sich Adam am Kopf, dann meinte er: "Sie werden entschuldigen, aber ich fürchte, der bestellte Rotwein dürfte nicht so ganz mit Ihrer reichhaltigen Mittagsmedikation harmonieren. Wenn es vielleicht stattdessen zwei Gläschen Kirschsaft sein dürften?! Der ist nämlich auch sehr exquisit, rein bio - logisch - und frisch gepreßt". Svensson nickte: "Also gut, warum nicht!". Der junge Mann aber trat daraufhin umgehend einen Schritt zurück und schloß die Zimmertür der Svenssons wieder.

Drei Minuten später kehrte Charmebolzen Adam mit einem reich gefüllten Holztablett zurück, welches er auf dem hölzernen Tisch inmitten des Zimmers abstellte. Anschließend begab er sich zum Nachtschrank Svenssons, an dessen Seite er mit einem Handgriff eine kleine Tischplatte ausklappte, auf der er nach und nach zwei tiefe Teller, randvoll gefüllt mit dampfender Nudelsuppe, zwei kleine Teller mit geriebenen Möhren, zwei Schälchen Apfelmus und die zwei Gläser mit dem Kirschsaft abstellte. Dann machte er augenzwinkernd auf dem Hacken kehrt und verabschiedete sich an der Tür von Yelena und Lukas, bevor er sie leise hinter sich ins Schloß fallen ließ. Der zurückgebliebene Svensson und seine Frau aber wünschten sich gegenseitig einen Guten Appetit, worauf Lukas mit zittrigen Fingern sogleich den - neben seinem Teller bereitgelegten - Löffel zu fassen versuchte. Yelena bemerkte dieses Unterfangen und ergriff den Löffel noch vor ihm. Sie sah ihrem verdutzten Mann einen Moment lang wortlos in die Augen, dann sprach sie leise: "Wenn Du erlauben, ich Dir heute einmal geben zu essen. Du noch sein zu geschwächt, und ich das sehr gern tun für Dich!". Lukas kullerte eine Träne über die linke Wange, wozu er raunte: "Du bist so lieb zu mir, mein Engel! Womit hab ich all Deine Fürsorge nur verdient?!". Yelena aber führte ihm den ersten möhrchenstreifenbeladenen Löffel zum sich öffnenden Mund, wozu sie leise schluchzend erwiderte: "Damit, daß Du mich gemacht in ganzes Zeit seit Kennenlernen zu glücklichstes Ehefrau auf ganzes Erde!". Zufrieden kauend nickte ihr Lukas sichtlich gerührt zu. Innerhalb weniger Minuten war die Möhrenrohkost verspeist, so daß Yelena sich und den von ihr geführten Löffel nun der herzhaft duftenden Nudelsuppe zuwandte. Sie tauchte das Besteckteil dabei vorsichtig in die Suppe ein und entnahm es ihr dann randvoll gefüllt wieder. Behutsam führte ihre rechte Hand den Löffel erst in die Nähe ihres Mundes, wo sie mit kühlendem Atem sanft die dampfende Suppenoberfläche anhauchte, um die nunmehr wohltemparierte Köstlichkeit dann dem weitgeöffneten Mund ihres Mannes zuzuführen. Um den Löffel herum aber schlossen sich beim Eintreffen jener warmen Suppenportion zunächst die trockenen Lippen des Ex-Inspektors, öffneten sich dann aber gleich wieder leicht und gaben damit den entleerten Löffel frei, der - in Yelenas Hand - sogleich wieder den Weg zurück zum Suppenteller suchte. Lukas Svenssons Augen folgten dem glänzenden Metallteil, während sein Schluckreflex den inzwischen gut durchgekauten Suppenhappen die Kehle und Speiseröhre hinunter in Richtung Magen beförderte. Auch dieses Spiel wiederholte sich innerhalb der nächsten Viertelstunde unzählige Male, bis der Suppenteller schließlich komplett leer war. Dann wechselte Yelenas Hand vom großen zum kleinen Löffel und verabreichte dem Mund ihres Mannes in aller Ruhe auch noch das herrlich frische Apfelmus. Erst als Lukas auch das Dessert bis zum letzten Happen verputzt hatte, widmete sich Yelena nun ihrem eigenen Essen, wobei sie Lukas die ganze Zeit über von der Seite her ganz verliebt ansah. Am Ende ihres Mahls holte seine Gattin dann noch zwei eingeschweißte Strohhalme aus dem Nachttischschubfach hervor, befreite sie rasch aus ihrer Folienhülle und steckte sie dann in eines der beiden Kirschsaftgläser. Behutsam bog sie beide Halme mit Daumen und Zeigefinger - einen in Richtung ihres Mannes, den anderen in die ihre. Nahezu zeitgleich stülpten sich daraufhin ihrer beider Münder über die Halmspitzen und begannen - sich immer wieder gegenseitig zuwinkernd - mit dem gemeinschaftlichen Saugen. Im Handumdrehen war so das erste Glas geleert, das sogleich gegen das zweite Kirschsaftbehältnis ausgetauscht wurde. Kaum hatten Yelena und ihr Lukas das Safttrinken beendet, klopfte es auch schon an der Tür. Pfleger Adam trat ein und fragte höflich: "Na, hat es den Herrschaften geschmeckt? Darf ich abräumen?". Lukas aber ließ seinen Oberkörper sanft aufs Bett zurückgleiten, während er murmelte: "In beiden Fällen ein klares Ja als Antwort! Ich bin so satt, ich bekomme keinen einzigen Happen mehr herunter! Mein Lob an den Küchenchef!". Adam schmunzelte: "Werde ich ausrichten! Und nun erst einmal: Angenehme Mittagsruhe! In dreieinhalb Stunden bringe ich Ihnen dann Tee und Gebäck!". Mit diesen Worten verabschiedete sich der nette junge Mann erneut und verließ das Zimmer, die Tür leise hinter sich schließend.

Kaum aber waren sie ungestört, zog Lukas Svensson seine Yelena auch schon am Jackenärmel zu sich hinunter aufs Bett. Seine Lippen suchten und fanden dabei ohne große Schwierigkeiten die ihren, wobei sich ihre Zungen leidenschaftlich miteinander vereinten. Yelena entledigte sich ganz nebenher noch in aller Eile ihrer nunmehr störenden Wildlederjacke und ließ ihren Körper dann mitsamt dem ihres Lukas unter die bislang zur Seite geschlagene Bettdecke gleiten. In derem wärmenden Schutze verbrachten die Svenssons - sich sanft streichelnd, innig küssend und eng aneinanderkuschelnd - die kommenden Stunden bis zur angekündigten Teatime, die für sie dabei einmal mehr wie im Fluge vergingen ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Samstag, 15. September 2012, 15:18

INSPEKTOR SVENSSON: ABSCHIEDSVORSTELLUNG

"Die Zeiten ändern sich unentwegt. Was mir eben noch vertraut und bekannt erschien, ist mir plötzlich völlig fremd. Namen und Worte sind Schall und Rauch. Längst vergangen Gedachtes wird mit einem Male wieder brandaktuell. Und eine unglaubliche Bedrohung schwebt einmal mehr über meinem Leben und dem eines von mir geliebten Menschen. Ich bin Inspektor Lukas Svensson, und was nun begonnen hat, sind die unwiderruflich letzten Tage meines Lebens".

EPISODE 09: Fragezeichen

Am nächsten Morgen schlug Lukas Svensson gegen 9 Uhr seine Augen auf und bemerkte dabei verunsichert, daß das Bett neben ihm leer war. Es dauerte ein paar Minuten, bis er wieder wußte, wo er hier war. Und dabei erinnerte er sich zugleich auch wieder an den Umstand, daß seine geliebte Yelena seit ihrem gemeinsamen Einzug ins Heim jeden Morgen hinterm Haus am Teich als erstes einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft zu unternehmen pflegte. Normalerweise hätte er sie dabei auch begleitet, aber an diesem Morgen hielt sie es scheinbar für besser, ihren immernoch recht geschwächten Mann ausschlafen zu lassen. Vorsichtig kroch Lukas unter seiner warmen Bettdecke hervor und setzte sich auf die Bettkante - in der festen Absicht, dem morgendlichen Ausflug seiner Gemahlin vom Zimmer aus wenigstens durch das angeklappte Fenster zuzuschauen. Noch im selben Moment aber wurde die Zimmertür aufgerissen und eine von der Natur in jeder Beziehung recht üppig ausgestattete Schwester betrat den Raum. Sie blieb dabei eine Sekunde lang wie angewurzelt stehen, dann stellte sie laut polternd ein mitgeführtes Tablett mit einer Thermoskanne und zwei Kaffeetassen auf dem Zimmertisch ab. Noch im selben Augenblick aber tönte es mit tiefer Stimme aus ihrer rauhen Kehle: "Aber, aber, Herr Svensson! Das sollen wir doch nicht machen! Der Onkel Doktor hat uns doch wohl gestern deutlich zu verstehen gegeben, daß es besser für uns ist, wenn wir noch ein bißchen im Bettchen bleiben, bis es uns wieder gut geht, nicht wahr?!". Noch während sie dies sagte, war sie bereits an Lukas Svensson hernagetreten und hatte sich vor ihm derart tief gebückt, daß nun seine sichtlich entsetzten Augen fast genauso weit heraussprangen, wie es die Oberweite jener Pflegekraft aus dem engen Spitzen-BH unter ihrem weitausgeschnittenen weißen Shirt zu tun drohte. Die Schwester aber nutzte jene Schrecksekunde Svenssons geradezu schamlos aus, indem sie ohne ein weiteres Wort die nackten Beine des Ex-Inspektors ergriff und mit einem mächtigen Schwung zurück ins Bett beförderte, wobei auch der Oberkörper des überwältigten Heiminsassen nun wieder auf der Matratze zu liegen kam. Lukas war angesichts dieses recht rabiaten Übergriffs zunächst derart perplex, daß er nicht zunächst gar nicht wußte, wie er darauf reagieren sollte. Erst als die eifrige Pflegekraft ihm die dicke Bettdecke überwarf, so daß er darunter fast bis zu über die Ohren verschwand, murmelte sein zugedecktes Mundwerk recht deutlich: "Nun denn, meine Liebe, wenn dem so ist, wie Sie behaupten, und der Doktor quasi angeordnet hat, daß wir noch im Bett bleiben sollen, dann legen Sie sich doch einfach gleich mit zu mir unter die warme Decke. Genug Platz hätten wir ja, sogar noch für ihren umfangreichen Körperbau!". Jetzt hatte es der Schwester einen Moment lang die Sprache verschlagen. Sichtlich entrüstet stämmte sie die Hände in die breiten Hüften und prustete schließlich los: "Aber Sir, also ich muß schon sehr bitten! Schließlich sind Sie doch verheiratet! Also ehrlich, ich bin schwer enttäuscht! Und ich hab Sie immer für einen Gentleman gehalten!". Lukas' Konter ließ nicht lange auf sich warten. Er befreite seine untere Gesichtshälfte vom übergestreiften Bettdeck und entgegnete recht unverhohlen: "Ja, und?! Ich bin auch enttäuscht! Ich hab Sie schließlich für erwachsen gehalten! Zumindest für erwachsen genug, mich hier nicht mit Ihrem kindischen Wir-Gerede einlullen zu wollen! Ich bin schließlich kein Baby mehr! Und jetzt raus aus meinem Schlafzimmer! Ich melde mich schon, wenn ich Ihre Hilfe brauche!". Einem begossenen Pudel gleich schlufte die Schwester in ihren weißen Gesundheitslatschen kopfschüttelnd zurück zur weit offenstehen gelassenen Zimmertür, die sie hinter sich sogleich recht geräuschvoll zuknallen ließ. Lukas Svensson hingegen schlug erneut seine Bettdecke zur Seite und nahm wieder auf der Bettkante platz. Hier angelte er sich von einem - am Fußende bereitstehenden - Stuhl seinen Morgenmantel und streifte sie sich daraufhin ebenso wie die vorm Bett geparkten Hausschuhe über. Anschließend stand er auf und begab sich langsamen Schrittes zum Fenster, an dessen Rahmen er sich sogleich mit beiden Händen geradezu festklammerte. Er zog die vorgezogene Gardine rasch ein wenig beiseite, was ihm nunmehr den unverschleierten Blick auf den Teich und dessen herrlich nahezu naturbelassene Umgebung freigab. Auf einer der umstehenden Bänke erspähten sein Augen schließlich auch das wildlederjackenumhüllte Objekt seiner Begierde. Freudig erregt begannen die Finger seiner rechten Hand ans Fensterglas zu trommeln, erst sachte, dann etwas stärker. Es dauerte einen Augenblick bis das dabei erzeugte Geräusch sechs Stockwerke tiefer auch an Yelenas Ohr drang, die sich daraufhin umdrehte und dann mit strahlenden Augen zu ihm aufschauend zu winken begann. Schließlich sprang sie von der Bank auf und machte sich raschen Schrittes auf den Weg zurück ins Gebäude.

Es vergingen etwa fünf lange Minuten, bis sich in Lukas Svenssons Rücken die Zimmertür sachte öffnete und durch sie hindurch seine Gattin leicht fröstelnd von hinten an ihn herantrat. Ein kalter Schauer durchdrang für eine Sekunde seinen ganzen Körper, als sie sich sanft an seinen Rücken schmiegte. Er aber wandte sich um und schloß die Durchgefrorene in seine wärmenden Arme, während er ihr rotwangiges Gesicht mit heißen Küssen überschüttete. Sie verharrten eine ganze Weile in dieser innigen Umklammerung, dann löste sich Yelena aus ihr und streifte ihre Wildlederjacke ab, die sie am Zimmertisch über eine der Stuhllehnen hängte. Sie schob den zugehörigen Stuhl ein wenig zurück und nahm darauf platz, während sich Lukas zugleich auf einem der beiden anderen Stühle neben ihr niedrließ. Er beobachtete sie, wie sie sich erst ihrer Winterstiefel und dann ihrer Wollsocken entledigte, wie anschließend sie Pullover, Unterhemd und Hose und Strumpfhose abstreifte und alles sorgsam auf der Sitzfläche des verbliebenen freien Stuhls ablegte. Nur noch in BH und Slip begab sie sich augenzwinkernd in Richtung Bad, wozu sie leise hauchte: "Ach ja, ich mich schon freuen auf mein heißes Dusche! Und dann bin ich auch gleich wieder sein bei Dich!". Rasch hauchte sie ihm noch eine flüchtige Kußhand zu, dann entschwand sie ins Badezimmer, aus dem bereits wenige Sekunden später das sanfte Rauschen des Wassers zu vernehmen war. Lukas Blick fiel unterdess auf Yelenas Wildlederjacke, aus der die dick schwarzumrandete Ecke eines geknickten Briefes hervorschaute. Der Ex-Inspektor beugte sich - sich zugleich mit der linken Hand an der Tischkante festkrallend - leicht nach vorn und angelte mit seiner Rechten nach jenem Papierumschlag. Er erhaschte ihn und betrachtete ihn daraufhin aufmerksam. In der Handschrift, mit der sein Name und seine frühere Wohnadresse "3 Stable Mews, Campden, London, United Kindom, NW5 3DF" aufgetragen war, erkannte er zweifelsfrei die seines Onkels Fritz wieder. Und neben der altertümlich anmutenden blauen Briefmarke oben rechts entdeckte er auf einer zweiten hellgrünen Marke die Abbildung eines, ihm vertrauten früheren ostberliner Bauwerks - das des sogenannten Palastes der Republik, welches zu DDR-Zeiten an die Stelle des ehemaligen Berliner Stadtschlosses getreten war und nach der Wende wegen Asbestverseuchung planmäßig abgeissen wurde. Lukas erinnerte sich in diesem Moment, daß er jenen merkwürdigen Brief, dessen Betrachtung ihn so seltsam traurig werden ließ, schon ein paar Tage zuvor in Händen gehalten hatte. Neugierig drehte er den Umschlag um und entdeckte auf der Rückseite im oberen Teil den recht kleingeschriebenen Vermerk "Absender: S. FRITZ, B. BERLIN, GERMANY", der ihm beim ersten Mal gar nicht aufgefallen war. Merkwürdig, daß sein Onkel, dessen Handschrift auch dieser Schriftzug zweifellos trug, seinen Namen derart ungewöhnklich abgekürzt hatte. Früher pflegte er doch immer "F. Salomon" zu schreiben! Ein plötzlich aufkommendes pelziges Gefühl auf seiner Zunge ließ Lukas den Brief fürs Erste wieder beiseite legen und lenkte stattdessen seine Aufmerksamkeit nun auf das vor ihm stehende Tablett mit der Thermoskanne und den zwei Porzellantassen. Sicher war in der Kanne die heiße Milch, die Yelena und er morgens immer gemeinsam zu trinken pflegten. Ob er mit dem Eingießen wohl lieber auf sie warten sollte?! Nein, dafür war sein Durst einfach schon zu groß. Und außerdem war Yelena - dem ununterbrochenen Rauschen des Duschwassers nach zu urteilen - noch beschäftigt. Zudem glaubte er ganz fest daran, daß er die Aufgabe des Einschenkens trotz seines geschwächten Allgemeinzustands sicher ganz gut meistern könnte. Und Yelena würde sich bestimmt auch freuen, wenn sie nach dem Duschen im Zimmer neben ihrem Mann auch schon eine randvoll mit dampfender, warmer Milch empfangen würde. Die zittrigen Finger des Ex-Inspektors machten sich sogleich am Verschluß der Thermoskanne frisch ans Werk. Und tatsächlich gelang es ihm ohne große Schweirigkeiten, den Deckel aufzuschrauben und abzunehmen. Er hob mit beiden Händen die Kanne hoch, bewegte sie über eine der bereitstehenden Tassen und ließ die heiße Milch in das Gefäß einlaufen. Kaum hatte die Milch dabei den Rand der Tasse erreicht, senkte Svenssons linke Hand den Kannenboden ein wenig und veränderte die Position der Kanne, so daß ihre Öffnung nun über der anderen Tasse kreiste. Wieder hob er mit der linken Hand vorsichtig den Kannenboden an, wieder ergoß sich ein Schwall heißer, weißer Milch in ebenso weißes Porzellan. Doch diesmal entglitt der Kannenboden vor Abschluß der vollständigen Tassenbefüllung seiner linken Hand und ein großer Schluck Milch landete direkt neben der Tasse auf dem Tisch und damit auch dort abgelegten Briefkuvert. Das Papier wurde dabei auf der Rückseite großflächig von der Milch durchtränkt. Aufgeregt stellte Lukas die Kanne beiseite und begann, mit dem Frotteeärmel seiner Morgenmantels über die nasse Stelle zu reiben. Tatsächlich saugte der Stoff in Sekundenschnelle den Großteil der verschütteten Milch auf. Zurück blieb einzig ein riesiger Fettfleck, der das Papier des Briefumschlags binnen Sekunden durchsichtig werden ließ, wobei sich auf der Kuvertinnenseite ein bislang verborgen gebliebenes großflächiges Muster - bestehend aus diversen Strichen, Schnörkeln und Kringeln - abzeichnete. Staunend ergriff Lukas erneut den Brief und fing an, ganz vorsichtig mit seinen Fingern die Kanten des Umschlags aufzureißen. Er breitete den so eröffneten Umschlag sogleich vor sich auf der Tischplatte aus und erblickte dabei eine rätselhafte Botschaft, verfaßt in altdeutscher Sütterlin-Schreibschrift: "Was ich Dir als mein Erbe hinterlasse, ist, geprägt von der Vergangenheit Deiner Neuen Heimat, dem Bilde nach an die Großmutter Europas erinnernd, gefärbt in eintönig himmlischer Coleur, in schlichter Form unscheinbar auftretend, dem Anschein nach kaum mehr als einen Penny wert und dennoch aufgrund seiner Seltenheit eine kleine majestätische Kostbarkeit. Suche Dein Erbteil über Dich selbst hinausgehend in unmittelbarer Nähe eines ehemaligen Palastes. Befreie es behutsam aus jener unwürdigen Umgebung und führe es in Deinem und meinem Namen zum krönenden Abschluß unseres gemeinsamen Lebenswerkes wieder seiner rechtmäßigen Besitzerin zu. Hüte Dich dabei jedoch vor demjenigen, der scheinbar mit eiskalter Hand danach greift!".

Unschlüssig kratzten Svenssons rechte Hand über seine kahle Stirn. Was wollte ihm sein Onkel Fritz nur damit sagen?! Er beschloß kurzerhand, Yelena zu Rate zu ziehen und begab sich auf recht wackligen Füßen zum Bad, dessen Tür er vorsichtig öffnete und hinter sich wieder schloß. Auf dem Deckel des Toilettenbeckens erblickte er im dichten Nebel des Wasserdampfs den angelegten BH und Slip seiner Frau, die im selben Augenblick nebenan lächelnd den Duschvorhang beiseite schob. Lukas betrachtete mit großen Augen ihre - trotz all der Jahre, die sie schon auf dem Buckel hatte - immer noch makellose Haut, von der die Wassertrofen in dieser Sekunde zu Tausenden herabtropften. Schön war sie, unglaublich schön! Schön ihre Haare, ihre Finger und ihre Füße, ihre Brüste und ihr Schoß. Am allerschönsten aber waren das süße Lächeln ihres Mundes und das feurige Funkeln ihrer Augen, das ihn jedes Mal aufs Neue sofort wieder in seinen Bann zu ziehen vermochte. Vergessen waren in diesem magischen Augenblick der Brief des Onkels und seine geheimnisvolle Botschaft. Stattdessen kreisten sämtliche Gedanken von Lukas nur noch um seine Yelena und um den feuchten Zeigefinger, dessen hoch in die Luft gerecktes, wiederholtes Ausstrecken und Einknicken ihn schließlich dazu animierte, all seine stofflichen Hüllen auf der Stelle auf die Badezimmerfliesen herabfallen zu lassen und mit zu ihr unter die heiße Dusche zu steigen.

Während im Badezimmer Yelena noch dabei war, nach der gemeinsamen heißen Dusche erst ihren Lukas und dann auch sich sorgsam und gründlich abzutrocknen, wurde im angrenzenden Wohnraum die Zimmertür vorsichtig geöffnet. Die üppige Schwester mit dem Hang zur kindischen Verniedlichung der Dinge lugte durch den entstandenen Spalt ins Zimmerinnere und registrierte, daß es zum Abräumen der zuvor bereitgestellten heißen Milch offensichtlich noch zu früh war. Im Raum entstand dabei zwischen der geöffneten Tür und dem angeklappten Fenster für einige Sekunden ein starker Durchzug, der letztendlich nicht nur der Pflegekraft die Zimmertür vor der Nase zuschlug, sondern auch das Briefkuvert von Onkel Fritz mitsamt dem darin enthaltenen Brief vom Tisch herunter über den Fußboden bis mitten unter Lukas' Bett fegte, wo er schließlich liegenblieb. Kaum war die Zimmertür ins Schloß gefallen, da öffnete sich unweit von ihr entfernt auch schon die Badtür, und Lukas und Yelena traten ein, wobei der Ex-Inspektor von seiner Gattin untergehakt mit bedächtigem Schritt zum Tisch begleitet wurde. Die Beiden halfen sich gegenseitig beim Ankleiden, dann nahmen sie platz und genossen händchenhaltend ihre nunmehr nur noch lauwarme Milch. Und auch wenn Lukas' Finger dabei noch etwas zitterten, so gelang es ihm heute doch schon wieder, völlig selbständig zu trinken, wie Yelena aus dem Augenwinkel heraus wohlwollend registrierte. Sie wußte schließlich nur allzu genau, wieviel ihrem Mann die möglichst uneingeschränkte Erhaltung seiner Selbständigkeit bedeutete. Irgendwann klingelte das Telefon auf dem Nachttisch Yelenas. Sie stand in aller Ruhe von ihrem Platz am Tisch auf und lief zu ihrem Bett hinüber auf dessen Kante sie sich niederließ und dann den Telefonhörer abhnahm. Es war die erregte Charles Wannabes, die dabei durch den Hörer an ihr Ohr drang: "Misses Svensson, entschuldigen Sie bitte, aber ich muß meinen geplanten Besuch bei Lukas und Ihnen für heute leider absagen und auf morgen verschieben. Premierministerin Winslet-Keating hat mich gestern abend überraschend angerufen und zu sich gebeten. Sie tat recht geheimnisvoll und meinte nur, es hätte mit einem delikaten Auftrag direkt aus dem Buckingham Palace für mich und die Detektei 'Hackerman Wannabe Svensson' zu tun. Timmy und ich sind heute mittag in Downing Street Nummer 10 bei der derzeitigen Hausherrin und ihrem Ehemann zum Essen eingeladen, wo ich sicher mehr über erfahren werde. Bei Ihnen Beiden melde ich mich dann morgen im Laufe des Vormittags. Ich wünsche Ihnen und unserem lieben Lukas noch einen schönen Sonntag. Und lassen Sie sich Beide nicht unterkriegen, ok?!". Yelena nickte mit dem Hörer am Ohr und erwiderte: "Vieles Danke für Anrufen, Charles! Und gutes Gelingen für Sie und Timmy bei neues Fall". Und als sie vom Tisch her das aufgeregte Fingerschnipsen ihres Gatten bemerkte, ergänzte sie rasch: "Ach, und ein schönes Gruß von Lukas! Aufhörenwieder!". Damit legte sie auf und sprach, während sie sich von der Bettkante erhob, ihre Nachttischschublade öffnete und aus ihrem Innern ein paar Pennymünzen hervorholte: "Luki Schatz, ich uns schnell holen Zeitung aus Kiosk in Erdgeschoß, ja?! Vielleicht uns Schlagezeilen verraten können, was Frau Premierminister und Königliches Palast wollen von Timmy und Charles?!". Lukas nickte, während er die letzten Tropfen Milch aus seinem Glas herausschlürfte und sich den dadurch verursachten Milchbart mit der bloßen Hand abwischte.

Yelena hatte das Zimmer gerade verlassen, als Lukas' Blick auf das offenstehen gelassene Schubfach ihres Nachttisches fiel. Er erhob sich und schlurfte in seinen Hausschuhen hinüber zu Yelenas Bett, wo nun auch er sich auf ihrer Bettkante niederließ und neugierig ein - scheinbar von ihm selbst verfaßtes - handgeschriebenes Dokument starrte, das ganz oben auf lag und in großen Buchstaben die Überschrift "Der letzte Wille von Lukas und Yelena Svensson" trug. Zitternd holte er seine Lesebrille aus der Brusttasche seines dunkelblauen Poloshirts hervor und begann, seine noch feuchten Lippen bewegend, das Schriftstück Wort für Wort leise vor sich her zu lesen: "Wir, Lukas Svensson - geboren in Königsberg (Ostpreußen) am 12.02.1944 und Yelena Svensson, geborene Zladkaja, zur Welt gekommen am 31.05.1956 in Minsk (Sowjetunion), verfügen hiermit in vollem Besitz unserer geistigen Kräfte und in Anwesenheit des staatlich anerkannten Richters und Notars Sir Charly Laughton, daß nach dem Ableben von einem von uns das gesamte Erbe zunächst dem jeweils anderen zufällt. Nach unser beider Tod geht unser gesamter Besitz zu gleiche Teilen an unsere beiden Töchter Jane Webster, geboren am 20.08.1984 in Dover (England), und Lisa Svensson. geboren am 13.10.1989 in London (England). Lediglich ein silberner Armreif, der einst ein Hochzeitsgeschenk unseres gemeinsamen Freundes Jack aus Los Angeles war, geht in den Besitz von Mister Tim Hackerman über, als kleines Dankeschön für seine jahrelange Freundschaft und aufopfernde Verbundenheit zu uns. London, den 09.02.2011". Unterzeichnet war das Ganze sowohl von Lukas selbst als auch von Yelena und dem im Text erwähnten Notar. Dazu trug es den Stempel der britischen Krone, der das Ganze zu einer amtlich anerkannten Urkunde werden ließ. Lukas' Gedanken freilich kreisten in diesem Moment weniger um Stempel und Krone, als vielmehr um seinen guten, alten Freund Jack aus Amerika, von dem er schon seit einiger Zeit nichts Neues mehr gehört hatte, sowie den Armreif, den er in diesem Moment nicht allzu weit entfernt auf seinem Nachttisch liegen sah. Wieviele irdische Tage würden ihm an der Seite seiner Yelena wohl noch beschieden sein, bevor das wertvolle Schmuckstück mit dem kleinen verborgenen Geheimnis tief in seinem Innern seinen Besitzer endgültig wechseln würde? Und während er noch so darüber nachgrübelte, meldete sich als Antwort auf die unausgesproche Frage des Ex-Inspektors das kleine hölzerne Vögelchen aus der Kuckucksuhr an der Wand - die aus dem Nachlaß seines Berliner Onkels stammte - ganze zwölf Mal laustark zu Wort. Die Zimmertür aber öffnete sich im selben Moment, und es betraten zuerst seine Frau Yelena mit einer Ausgabe des "Sunday Mirror" unterm Arm und dann der nette Pfleger Adam East mit einem reich bepackten Tablett köstlich duftender Speisen und Getränke das Zimmer. Pfleger Adam blinzelte Lukas Svensson kurz zur, dann verkündete er: "Es ist angerichtet, die Herrschaften! Zur Feier des siebten Wochentages gibt sich unser Maitre diesmal die Ehre, Ihnen Beiden ein bescheidenes Dreigängemenu der Extraklasse zu kredenzen. Das Ganze beginnt mit einem kleinen Tomatensalat, als Hauptgang winken dann zwei knusprig gebratene Hähnchenflügel in brauner Soße an Petersiliekartoffeln und Rotkraut. Abgerundet wird die Gaumenfreude durch eine, einer formschönen Becherplastik entnommenen Mousse au Chocolat einerseits und einem, eigenhändig von mir aus einem erlesenen Tetrapack herausgepreßten, roten Traubensaft. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie unseren Chefkoch oder Lebensmittellieferanten! Wohl bekomm's!". Damit vollführte er unmittelbar vor dem Tisch einen geradezu höfischen Knicks und stellte all die Teller und Gläser auf dem Tisch ab, richtete daneben das Besteck und die Servietten aus und verließ dann den Raum. Yelena und Lukas aber nahmen sogleich auf ihren Stühlen vor dem üppigen Mahl platz und legten sich die bereitliegenden Papierervietten in den Schoß.

Das Svenssonpaar war gerade dabei, sich gegenseitig einen Guten Appetit zu wünschen, als die Zimmertür einmal mehr aufgerissen wurde. Die trampelige Gestalt der üppigen Schwester stürmte durch sie, bewaffnet mit einem großen Tablett voller Medikamentenbecher, den Raum und kreischte dabei sofort los: "Hey Sie, Svensson! Noch nicht essen! Erst die Tabletten!". Sowohl Lukas als auch Yelena zuckten kurz zusammen, wobei Lukas Svensson beinahe - rein aus Versehen versteht sich - das bereits in die Hand genommene Messer in Richtung der umfangreichen Pflegekraft entglitten wäre. Im letzten Moment konnte er sich und den Ausbruchsversuch seiner Stichwaffe noch zügeln. Wutentbrannt packte er das Besteckteil zur Seite, schnellte von seinem Stuhl hoch und erhob nun seinerseits auch seine Stimme: "Geschätzte Oberschwester Ruth, ich dachte eigentlich, wir Beide hätten uns heute vormittag verstanden. Aber scheinbar muß ich doch noch etwas deutlicher werden. Wir befinden uns hier weder in einem Kindergarten noch auf dem Kasernenhof. Und es wäre ausgesprochen nett von Ihnen, wenn Sie Ihren Ton diesem Umstand anpassen könnten! Es ist sonst eigentlich nicht meine Art, darauf hinzuweisen, aber meine Frau und ich sind hier Ihre Kunden. Soviel ich weiß, lautet in diesem Land der erste Grundsatz im Umgang mit Kundschaft immer noch: Der Kunde ist König. Und ich bezweifle ehrlich gesagt stark, daß Sie Ihrer Majestät, der Königin, genauso unverfroren und vorlaut gegenübertreten würden, wie Sie es zum wiederholten Male bei uns getan haben. Und jetzt machen Sie bitte auf ihren beiden Haxen kehrt und verlassen unsere Privaträume. Meine Tabletten können Sie hierlassen, meine Frau achtet schon darauf, daß ich die Einnahme nicht versäume. Sie aber treten uns bitte erst dann wieder unter die Augen, wenn Sie sich einen vernünftigen Ton angewöhnt haben und des Anklopfens mächtig sind! Guten Tag!". Damit ließ sich Lukas Svensson, ohne die Zusammengestauchte auch nur noch eines weiteren Blicks zu würdigen, wieder auf seinen Stuhl zurücksinken und angelte dabei mit der Hand nach der bei seinem abrupten Aufbegehren heruntergefallenen Papierserviette. Leise schnaufend ging neben ihm Schwester Ruth in die Knie und reichte ihm die Serviette mit einem leise gemurmelten: "Verzeihung, Mister Svensson! Und Guten Appetit für Sie und Ihre Frau!". Damit erhob sie sich wieder, stellte den Becher mit Svenssons Mittagsmedikation in die Mitte des Tisches und verließ dann gesenkten Hauptes das Zimmer, die Tür hinter sich leise einklinkend. Lukas aber faltete in der wiedergewonnenen stillen Zweisamkeit gemeinsam mit Yelena die Hände vor sich und sprach mit fester Stimme: "Herr, wir danken Dir für dieses wundervolle Mahl! Laß uns auch in Zukunft täglich aufs Neue Anteil haben an Deinen Gaben und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind! Amen!". Beide schlugen vor ihrer Brust das Zeichen des Kreuzes, dann öffneten sie ihre Augen wieder und begannen, in aller Seelenruhe ihr gemeinschaftliches Mittagessen zu genießen. Und als sie sich eine Stunde später eng aneinander geschmiegt auf dem Bett niederließen, las Yelena ihrem Mann den Leitartikel der zuvor mitgebrachten Zeitung vor: "Die britische Premierministerin und ehemalige Schauspielerin Kate Winslet-Keating (39) weilte in Begleitung ihres Mannes, des ehemaligen irischen Sängers Ronan (38) am gestrigen Samstag zu einem längeren Sechs-Augen-Gespräch im Buckingham Palace bei Ihrer Majestät, der Königin Queen Elizabeth II. (88). Worum es bei diesem Gespräch ging, wurde nicht bekannt. Es wird aber in stets gutinformierten Kreisen spekuliert, daß es sich womöglich um das plötzliche Verschwinden eines Gegenstandes aus der - imn königlichem Besitz befindlichen - umfangreichen Sammlung an wertvollen Kunstschätzen handeln könnte".

Nach der gemeinsam verbrachten Mittagsruhe hatte sich Yelena Svensson kurz vorm Sechzehn-Uhr-Tee noch einmal mit dem Lift ins Erdgeschoß begeben und dort im Kiosk einen frischen Strauß Blumen für ihren Lukas besorgt. Er liebte es, wenn er ein wenig blühende Natur um sich hatte. Sie war gerade auf dem Rückweg über den Flur ins Zimmer, als jemand vom Dienstzimmer des Pflegepersonals her ihren Namen rief. Es war der Doktor, dem sie am Vortag vorm Haus begegnet war, der nun auf sie zugelaufen kam und sie mit einem kräftigen Händedruck begrüßte. Gütig lächelnd erkundigte er sich: "Und, wie geht es meinem neuen Patienten heute?". Yelena nickte und sprach: "Es ihm gehen wieder besser! Und er sein wach!". Der Doktor zwinkerte ihr zu: "Freut mich zu hören! Nun wenn dem so ist, dann werde ich mir Ihren Gatten mal ein wenig genauer anschauen. Und wenn es möglich wäre, unter vier Augen?!". Yelena Svensson war ein wenig überrascht: "Was Sie denn haben mit ihm vor?!". Der Herr im weißen Kittel legte ihr seine warme Hand auf die Schulter: "Keine Sorge! Ich möchte mir nur einen ersten Eindruck verschaffen, wie weit die Krankheit bei Mister Svensson bereits fortgeschritten ist. Dazu habe ich einen kleinen Test mitgebracht, eine Kombination aus recht einfach gehaltenen Fragen und kleinen Aufgaben, den sogenannten Mini-Mental-Status-Test. Die Auswertung des Testes ermöglicht es mir, mir ein erstes Bild vom mentalen Ist-Zustand Mannes zu machen, um dann mit Ihrem Mann und Ihnen sowie dem Pflegepersonal vor Ort mein weiteres Vorgehen und eine mögliche Therapie abzustimmen. Der Einstiegstest liefert allerdings nur dann verwertbare Ergebnisse, wenn ich mit dem Patienten ganz allein bin. Oder haben Sie da etwa Bedenken?!". Yelena schüttelte ihren Kopf hin und her und erwiderte: "Das nein, aber sie mir doch nachher werden sagen, wie es stehen um mein Mann?". Der Arzt nickte lächelnd: "Selbstverständlich! Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte! Vielleicht gehen Sie ja solange im Gemeinschaftsraum einen Tee trinken!". Yelena schmunzelte dem Doktor zu, während sie auf dem Hacken kehrt machte: "Ich verstehen! Warten ab und trinken Tee! Ich dieses Spruchweisheit kennen schon!". Damit trennten sich die Wege der Beiden. Und während Yelena sich in der kleinen Teeküche des Wohnbereichs "Fidelitas" an einem der Teebehälter einen Schwarztee in eine der bereitstehenden Tassen abfüllte und das entstehende Heißgetränk abschließend noch mit einem Schuß Milch krönte, begab sich der Doktor ins Bewohnerzimmer 624. Vorsichtig klopfte er an die Tür und betrat das Zimmer erst, als er drinnen von Lukas ein deutliches "Herein!" vernommen hatte. Svensson, der im Jogginghose und Poloshirt mit etwas zerzausten Haaren und Dreitagebart am Tisch saß, war sichtlich erstaunt über den fremden Besucher - hatte er doch eigentlich die Rückkehr seiner Frau erwartet. Nichts desto trotz trat der ältere Mann mit seiner merkwürdigen Pudelmütze auf dem Kopf und einem Schal um den Hals näher und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen: "Guten Tag! Mister Svensson, nehme ich an?! Ich bin der Doktor!". Svenssons kahle Stirn runzelte sich: "Der Doktor?! Doktor wer?!". Mit seiner dargebotenen Hand milde abwinkend, erwiderte der Arzt: "Ach, wer braucht denn schon die ganzen verwirrenden Namen?! Für Sie bin ich einfach der Doktor! Ihr Doktor - die Vertretung Ihrer Hausärztin Doc Holly Wood". Schmunzelnd streckte Svensson seinem Gegenüber die Hand entgegen: "Recht haben Sie! Ich hab Ihren Namen in meinem momentanen Zustand vermutlich eh schon wieder vergessen, sobald Sie nach Ihrem Hausbesuch die Tür hinter sich zugemacht haben". Der Weißkittel nickte und zückte aus seiner mitgeführten Tasche ein Formular hervor, wozu er mit ruhiger Stimme sprach: "Ja, Ihr momentaner Zustand! Sehen Sie, genau deshalb bin ich hier! Und ich hab ein paar kleine Fragen und Aufgaben mitgebracht, die mir zeigen sollen, wie es um Sie steht! Einige der Aufgaben werden für Sie einfacher, andere schwieriger sein. Versuchen Sie bitte, sich die ganze Zeit über so gut wie möglich zu konzentrieren! Wenn Sie einmal eine Antwort nicht wissen, dürfen Sie auch ruhig raten. Und, was denken Sie? Sind Sie bereit, mir ein paar Minuten Ihrer kostbaren Zeit zu schenken, um sich diesem Test zu unterziehen?". Der Ex-Inspektor zögerte einen Moment, dann aber antwortete er: "Also gut! Wenn es Ihnen und mir hilft! Fangen wir an!". In aller Ruhe stellte der Arzt seine Tasche neben dem Tisch ab und nahm auf dem freien Stuhl neben Lukas Svensson platz. Er schaute seinem Patienten lange in die erwartungsvollen Augen und meinte dann: "Könnten Sie mir vielleicht zuallerst einmal sagen, welches Jahr wir haben?". Aus Lukas' faltiger Stirn traten zwei einzelne Schweißperlen hervor. Er zerbrach sich förmlich den Kopf, schließlich antwortete er leicht mit den Schultern zuckend: "Zweitausendirgendwas?!". Der Doktor setzte auf seinem Formular eine Null neben die entsprechende Frage, und stellte Lukas noch im selben Atemzug die nächste: "Und welche Jahreszeit haben wir jetzt?". Lukas spähte verstohlen nach dem nahegelegenen Fenster, betrachtete lange all die Bäume und Sträucher mit ihren unzähligen Knospen und Blüten, dann erwiderte er erleichtert: "Frühling! Ja, ich bin mir ganz sicher, daß es Frühling ist!". Der Arzt lächelte ihm zu und notierte eine Eins neben seine Frage, der er sogleich die nächste anschloß: "Mister Svensson, sagen Sie mir doch bitte: Der wievielte des Monats ist denn heute?". Wieder grübelte Lukas und versuchte schließlich, einen Blick auf die Zeitung zu erhaschen, die neben dem Bett auf seinem Nachttisch lag. Irgendwann sah er die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens ein und kapiulierte: "Ich weiß es wirklich nicht, vielleicht der 24.?!". Der Mann vor ihm im weißen Kittel aber zeichnete einmal mehr eine kreisrunde Null neben die soeben gestellte Frage. Dann setzte er seine Befragung fort: "Können Sie mir vielleicht sagen, welcher Wochentag heute ist?". Eifrig nickte Lukas: "Allerdings, Herr Doktor, heute ist Sonntag. Und ein herrlich sonniger noch dazu". Wieder lächelte ihn der Arzt an, während er eine Eins neben den Fragetext notierte. Und wieder stellte er, ohne zu zögern, sofort die nächste Testfrage: "Welchen Monat haben wir?". Angestrengt dachte Lukas nach, dann fragte er zögernd: "Mai vielleicht?!". Der Doktor schaute ihn eindringlich an und sprach: "Ok, das war jetzt geraten. Aber, wie dem auch sei, es stimmt!". Zufrieden malte er an der entsprechenden Stelle eine Eins auf sein Formular. Schon stellte er die nächste Frage: "Mister Svensson, in welchem Land befinden wir uns?". Lukas schüttelte verwundert den Kopf: "Was für eine Frage?! Wir befinden uns im Vereinigten Königreich Großbrittanien. Gott schütze die Königin!". Dabei schnellte sein Körper in die Höhe, und wie von selbst legte sich die rechte Hand des Ex-Inspektors in Höhe seines Herzens auf seine sichtlich vor Stolz geschwellte Brust. Lukas Svensson verharrte einige Sekunden in dieser Stellung, während der Arzt zu seiner Linken eine weitere Eins auf sein Blatt notierte, dann ließ er sich langsam wieder auf den Stuhl zurückgleiten, um aus dem Munde des Kittelträgers weitere Fragen zu empfangen. Die nächsten zwei von ihnen nach dem Teil Großbrittaniens und der Stadt, wo sie sich befanden, bereiteten Lukas wenig Kopfzerbrechen. Wie aus der Pistole geschossen, beantwortete er sie mit "England" und "London", was ihm vonseiten seines Arztes zwei weitere Punkte einbrachte. Erneut den Schweiß auf die Stirn trieben ihm die darauffolgenden zwei Fragen nach der genauen Bezeichnung des Gebäudes und dem Stockwerk, in dem man hier weilte. Wieder stellten die zögerlich vorgebrachten Antworten eher Gegenfragen dar. Als mögliche Gebäudebezeichnung nannte Svensson "Hotel" und als Stockwerk nach langem Blick aus dem Fenster "5 oder 6". Der Doktor aber notierte hierfür einmal die gefürchtete Null und einmal die weitaus erfreulichere Eins als Punkzahl.

Anschließend machte er eine kleine Pause und schaute dabei Lukas lange und tief in die Augen, bevor er raunte: "Ich möchte nun einmal ganz gezielt Ihr Gedächtnis testen? Gut! Ich werde Ihnen nacheinander drei Wörter nennen. Hören Sie bitte zuerst zu und wiederholen Sie die drei Wörter, sobald ich fertig bin. Alles verstanden?". Lukas nickte, und der Arzt sprach ganz langsam und betont deutlich: "Stein - Schere - Papier". Stille zog in den Raum ein. Eine derartige Stille, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Schließlich durchbrach nach etwa einer Minute Lukas jene Stille, indem er mit fester Stimme geradezu triumphierend ausrief: "Stein ... Schere ... Papier". Staunend nickte der Doktor ihm zu: "Alle Achtung! Drei Punkte! Prima gemacht, Mister Svensson!". Lukas aber winkte ab: "Ach, das war doch leicht! Zumal ich das Spiel schon als kleiner Junge gespielt und meist sogar gewonnen habe! Ach, und noch etwas, verehrter Doktor: Nennen Sie mich doch bitte einfach Lukas! Bei Mister Svensson fühl ich mich immer so alt!". Breit grinsend erwiderte der Arzt: "Also gut, aber nur, wenn Sie mich dafür im Gegenzug einfach Doc nennen!". Lukas lächelte: "Abgemacht! Und nun bitte die nächste Frage, wenn ich bitten darf!". Der Doktor zeichnete noch rasch eine dicke Eins auf das Formular und sprach dann: "Ich nenne Ihnen jetzt ein Wort mit fünf Buchstaben, das Sie mir anschließend bitte rückwärts buchstabieren. Bereit?". Auf Lukas kurzes Nicken ergänzte der Weißkittel langgezogen das Wort: "RADIO". Lukas Svensson konzentrierte sich aufs Äußerste. Es wäre doch gelacht, wenn er das nicht auch schaffen würde. Schon in der Schule hatte er als Erstklässler solche Aufgaben spielend bewältigt. Und so begann er selbstbewußt: "O-I ...". Dann zögerte er kurz. Kam jetzt erst das R oder das D, oder am Ende gar das A. Guter Rat war teuer, oder war es in diesem Fall eher das vom RADIO übriggebliebene gute RAD, das teuer war?! Aber klar doch, er mußte ja einfach nur das verbliebene RAD rückwärts über seine Lippen rollen lassen. Und so fuhr er frischen Mutes fort: "D-A-R". Anerkennend nickte der Doktor neben ihm und notierte fünfmal je eine zackige Eins auf der rechten Blattseite seines Formulars, wozu er bereits die nächste Aufgabe formulierte: "Und, Lukas, wissen Sie denn auch noch, welche drei Wörter Sie mir vorhin nachsprechen sollten?". Mit verkniffenem Gesicht antwortete der angesprochene Ex-Inspektor: "Oh je! Sie wollen mich bei schönstem Tauwetter draußen hier drinnen wohl aufs Glatteis führen? Und ich fürchte, es gelingt Ihnen. Ich breche an dieser Stelle tatsächlich noch einmal ein und hole mir ein paar nasse Füße. Was waren das denn nur für Wörter? ... Marmor, Stein und Eisen?!". Nachdenklich wirkend setzte der Arzt naheinander eine Eins für das gemerkte Wort "Stein" und zwei Nullen für die vergessenen Begriffe "Schere und Papier" auf das Blatt in seiner Hand. Dann streckte er Svensson seinen Kugelschreiber entgegen und fragte: "Na, Lukas, was ist das?". Der Ex-Inspektor besah sich den silbern glänzenden Gegenstand in der Hand des Mediziners aufmerksam von allen Seiten und erwiderte schließlich: "Ein Kugelschreiber, nehm ich mal an. Obwohl das bei Mister Bond natürlich auch ein Fernzünder, eine Miniaturkamera mit Abhörgerät oder eine Betäubungsspritze sein könnte". Der Doktor hielt sich vor Lachen den Bauch, dann meinte er: "Schon gut, 007, aber die erste Variante genügt mir schon. Wenn Sie mir dann vielleicht noch sagen könnten, was das hier ist?!". Dabei hielt er Lukas eine goldene Klappdeckeltaschenuhr mit einer langen Kette direkt vor die Nase, die er gerade eben erst kurzerhand aus seiner Hosentasche hervorgezogen hatte. Auch hier ließ sich Lukas beim Betrachten wieder reichlich Zeit, dann raunte er seinem Gegenüber zu: "Eine Taschenuhr, wie auch ich sie seit einer halben Ewigkeit besitze. Nur daß die meine silbern und ein Erbstück von meinem ermordeten Onkel Helmut ist". Gern hätte der Doktor sich die zugehörige Geschichte jener Uhr angehört, aber im Moment ging der rasche Abschluß des begonnenen Tests vor. Und so kritzelte sein silberner Kugelschreiber eine schnelle Eins aufs Papier, während seine Lippen Lukas bereits die nächste Aufgabe stellten: "Sprechen Sie mir bitte nach: Nichts ist unmöglich!". Lukas zögerte einen Augenblick, dann antwortete er: "Ok! Nichts ist unmöglich! Oder auf Japanisch: To Yo Ta!". Der Arzt überhörte wohlwollend den eh nicht ganz ernst gemeinten Ausflug ins Fremdländische und notierte stattdessen zügig eine schwungvolle Eins. Aus seiner abgestellten Tasche zog er daraufhin ein weiteres Blatt Papier hervor, legte es vor seinem Patienten auf den Tisch und formulierte dabei seine nächste Aufgabe: "Nehmen Sie das vor Ihnen liegende Blatt Papier in die rechte Hand, falten Sie es in der Mitte und lassen Sie es auf den Boden fallen". Gespannt richtete er seinen Blick auf Lukas, der in Gedanken die Anweisung noch einmal nachsprach und dann auszuführen versuchte. Er besah sich zunächst seine beiden Hände, dann nahm er das Stück Papier mit der Linken auf, faltete es mit zittrigen Fingern umständlich zusammen und ließ es dann wieder los, wobei es im leichten Windzug, der durch das Fenster ins Zimmer hineinwehte, langsam zu Boden segelte. Der Arzt aber notierte auf seinem Formular eine Zwei - die Punktzahl, die sich aus je einen Punkt für das Falten und das Fallenlassen des Papiers zusammensetzte. Den dritten möglichen Punkt für das Aufnehmen des Blattes konnte er Lukas leider nicht zusprechen, da er bei der Wahl der aufnehmenden Hand links und rechts verwechselt hatte. Stattdessen hob er nun das fallengelassene Papier wieder auf und entfaltete es auf dem Tisch, wobei auf dessen Rückseite in großen Druckbuchstaben schwarz auf weiß die Anweisung "Schließen Sie bitte die Augen!" zum Vorschein kam. Wieder beobachtete der Mediziner aufmerksam sein Gegenüber, dann sprach er mit einem Fingerzeig auf das bedruckte Blatt: "Lesen Sie dies laut vor und führen Sie es aus!". Svensson aber las die vorliegende Anweisung vor ließ augenblicklich, wie aufgetragen, seine beiden Augen für mehrere Sekunden zufallen. Als er sie wieder aufschlug, registrierte er zu seiner Erleichterung eine weitere Eins auf dem Blatt des Doktors. Das zweite, vor ihm liegende Blatt hingegen war inzwischen wieder umgedreht worden, so daß es ihm nun wieder geradezu unschuldig ganz in Weiß entgegenstrahlte. Einmal mehr streckte der Doc Lukas seinen Kugelschreiber entgegen und forderte ihn dabei auf: "Nehmen Sie den Stift und schreiben Sie einen beliebigen Satz!". Etwas unsicher ergriff Lukas den ihm vorgehaltenen Schreiber, grübelte anderthalb Minuten angestrengt nach und kritzelte dann über die ganze Breite des Papiers: "Ich sah nichts Auffälliges, außer zwei Frauen am Zug". Dahinter machte er voller Inbrunst einen extradicken Punkt. Dann legte Lukas den Kugelschreiber auf das Blatt und verschränkte stolz die Arme vor der Brust. Der Doktor hingegen angelte sich den Zettel vom Tisch, wobei der silberne Kugelschreiber seitlich herunterrollte und schließlich nahe der Tischkante liegenblieb. Er besah sich das Geschriebene und notierte eine weitere Eins auf seinem Formular. Schulterzuckend raunte er dazu: "Ein recht ungewöhnlicher Satz, aber auch ein völlig korrekter". Er verstaute das von Svensson beschriebene Blatt in seiner Tasche und entnahm ihr im Gegenzug ein weiteres, das er Lukas nun vorlegte. Das Papier war in der oberen Hälfte mit einer Zeichnung überzogen, die zwei versetzte Fünfecke zeigten, welche sich in zwei Punkten schnitten. Lukas besah sich das Gebilde genau. Irgendwie sah das Ganze in seinen Augen so aus, als ob ein Haus mit einem Spitzdach von einem riesigen Bleistiftstummel durchbohrt würde. Aus dem Munde des Doktors aber empfingen seine Ohren die mit der Zeichnung verknüpfte Aufgabe: "Zeichnen Sie bitte diese Figur ab! Es muß nicht schön sein, aber es muß stimmen". Ganz langsam ergriff Svensson den abgelegten Kugelschreiber wieder und zog in der freien unteren Blatthälfte eine wacklige Linie nach der anderen, das Originalbild darüber stets mit im Blick behaltend. Es dauerte etwa drei Minuten, dann legte er den Stift wieder beiseite und übergab dem Doktor sein Werk fast entschuldigend mit den Worten: "Seien Sie nicht so streng, gut malen konnte ich nämlich noch nie!". Der Arzt betrachtete die Zeichnung des Ex-Inspektors aufmerksam, dann meinte er: "Zweimal fünf Ecken. Zwei Punkte, die sich schneiden und dabei ein Viereck als Schnittfläche bilden. Ein wenig schief vielleicht, aber schief ist bekanntlich englisch, und englisch ist modern! Somit ist Ihre Skizze eigentlich schon moderne Kunst und damit geradezu zeitlos. Das gibt abschließend nochmal einen ganzen Punkt". Leise murmelnd rechnete der Mediziner daraufhin alle aufgeschriebenen Punkte zusammen und erhielt unter dem Strich glatte 24 Punkte von 30 möglichen. Er streckte Lukas die Hand entgegen und gratulierte ihm überschwenglich: "Eine wirklich gute Leistung, Lukas! Was sich daraus als Testergebnis ergibt, ist in Ihrem Fall das Vorliegen einer leichten Demenz. Allerdings können derartige Schübe, wie Sie sie schon mehrfach erlitten haben, die Krankheit auch rasch voranschreiten lassen".

Lukas Svensson schnellte von seinem Stuhl hoch. Seine Augen begannen eigenartig zu funkeln, während er kopfschüttelnd beide Hände über sich in der Luft zusammenschlug: "Bitte, Doc, hören Sie damit auf! Ich möchte das nicht hören! Lassen Sie mich jetzt bitte allein! Gehen Sie!". Und während sich Lukas laut schluchzend rücklings auf sein Bett fallen ließ, nahm der Doktor seine Tasche zur Hand und verließ mit gesenktem Haupt das Zimmer. Draußen vor der Tür legte er der wartenden Yelena seine Hand auf die Schulter und sprach: "Seine Demenz ist noch in einem Anfangsstadium. Und gerade deshalb ist die Wahrheit wahrscheinlich sehr schwer für ihn zu ertragen. Momentan ist er völlig aufgewühlt, liegt auf dem Bett und weint. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann lassen Sie ihm jetzt erst einmal die Zeit zum Weinen! Schenken Sie ihm bei allem, was mit ihm in der nächsten Zeit auch immer geschehen mag, Ihre ganze Liebe und Ihr uneingeschränktes Verständnis! Vermeiden Sie Konfrontationen! Gehen Sie, soweit möglich auf ihn und seine veränderte Situation ein!". Yelena Svensson schaute den Mann im weißen Kittel fragend an: "Was mich denn jetzt in Moment erwarten?". Nachdenklich erklärte der Doktor leise: "Momentan ist das Kurzzeitgedächtnis Ihres Mannes noch zu großen Teilen in Ordnung, aber es setzt manchmal komplett aus. Mit aller Macht wird er sich an das Hier und Jetzt zu klammern versuchen und dabei von der Furcht beherrscht sein, die Kontrolle über seinen Körper, sein Gedächtnis und seinen Verstand zu verlieren. Womöglich wird er jahrelang unterdrückte Gefühle plötzlich herauslassen. Auf jeden Fall aber sucht er nach Halt und Anerkennung bei Ihnen, seiner Familie, seinen Freunden und auch beim Personal. Versuchen Sie, ihm das zu geben. Begleiten Sie ihn und helfen Sie ihm! Und passen Sie bei all dem auch auf sich selbst auf, indem Sie sich diese schwere Aufgabe mit anderen teilen!". Yelena nickte. Ihre Augen wurden feucht, und schluchzend hakte sie nach: "Was sein nächstes Stufe von Krankheit? Worauf ich mich müssen weiter einstellen?". Der Mediziner überlegte kurz, dann erwiderte er: "Als nächster Schritt wird es zu einer Phase der Zeitverwirrtheit kommen, bei der sich in Lukas' Kopf Vergangenheit und Gegenwart immer weiter vermischen. Er wird zunehmend Personen aus der Gegenwart mit anderen Personen aus seiner Vergangenheit verwechseln oder aber gar nicht erkennen - und das selbst bei engen Familienangehörigen. Die immer größer werdenden Löcher im Kurzzeitgedächtnis wird er mehr und mehr durch eine umso lebhaftere Erinnerung an weit Zurückliegendes ersetzen. Ihr Mann wird sich zusehends aus der Langeweile der Wirklichkeit zurückziehen und an ihrer Stelle bekannte Szenen aus seiner Vergangenheit neu durchleben, wobei er dann darin ungelöste Konflikte zu lösen und zu bewältigen versucht. Er wird sich aufgedrängten Regeln strikt widersetzen, aber ehrlich gemeinte Sorge und Fürsorge erkennen und anerkennen. Seine Bedürfnisse wird er recht offen äußern, all seine Gefühle aber auch völlig unkontrolliert ausleben. Besonders wichtig werden ihm Berührung und Nähe werden". Der Doktor suchte den Augenkontakt zu Yelena und entdeckte dabei reine Hilflosigkeit und Verzweiflung in ihrem Blick. Behutsam über ihr bleiches Gesicht streichelnd, ergänzte er deshalb: "Keine Sorge! Sie schaffen das! Ihre Liebe zu Gott und zu Ihrem Lukas wird Sie stets das Richtige tun lassen und Ihnen gleichzeitig auch die dafür nötige Kraft verleihen! Und wo jene Kraft einmal an Ihre Grenzen stößt, da werden Ihre Freunde und das Pflegepersonal für Sie da sein! Und ich selbstverständlich auch! Tag und Nacht, wannimmer Sie mich brauchen! Aber nun entschuldigen Sie mich bitte! Ich hab nämlich heute Bereitschaft, und im Kreißsaal wartet noch ein Kaiserschnitt auf mich". Raschen Schrittes entschwand der Weißkittel über den Flur in Richtung Fahrstuhl. Yelena Svensson aber holte noch einmal tief Luft, wischte sich ihre Tränen vom Gesicht und klopfte an die Zimmertür. Drinnen aber ertönte ein leises "Herein!", das von einem erwartungsvollen Lukas herrührte, der sich rasch aufgerichtet und auch seinerseits mit dem Handrücken die Spuren seiner Tränen beseitigt hatte. Vor seinen leicht geröteten Augen wurde die Tür langsam geöffnet, und ein herrlicher Strauß bunter Blumen kam im entstehenden Spalt zum Vorschein, gefolgt vom lächelnden Antlitz Yelenas. Die Svenssongattin trat ein, schloß die Zimmertür hinter sich und enteilte ins Bad, wo sie eine Vase aus dem Badunterschrank fischte und sie mit Leitungswasser und den Blumen füllte, um dann genauso schnell wieder ins Zimmer zurückzukehren und das herrliche Bouquet auf Lukas' Nachttisch zu platzieren. Der so beschenkte Ex-Inspektor aber hauchte in ihrem Rücken: "Wunderschön!". Yelena drehte sich zu ihm um und erwiderte: "Ja, Strauß mit Blumen wirklich sein wunderschön!". Lukas aber packte sie sanft an ihrer Hüfte und zog sie zu sich aufs Bett, wobei er ihr zärtlich ins Ohr flüsterte: "Ja, die natürlich auch!" ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Samstag, 15. September 2012, 15:24

INSPEKTOR SVENSSON: ABSCHIEDSVORSTELLUNG

"Die Zeiten ändern sich unentwegt. Was mir eben noch vertraut und bekannt erschien, ist mir plötzlich völlig fremd. Namen und Worte sind Schall und Rauch. Längst vergangen Gedachtes wird mit einem Male wieder brandaktuell. Und eine unglaubliche Bedrohung schwebt einmal mehr über meinem Leben und dem eines von mir geliebten Menschen. Ich bin Inspektor Lukas Svensson, und was nun begonnen hat, sind die unwiderruflich letzten Tage meines Lebens".

EPISODE 10: Vergessen zu vergessen

Ganz langsam, wie in Zeitlupe, öffnete sich vor den Augen Charles Wannabes die Fahrstuhltür. In die Enge der Fahrgastzelle hinein ertönte zeitgleich aus einem kleinen Lautsprecher oberhalb der Schalttafel mit den Knöpfen zur Auswahl des Stockwerks eine zarte weibliche Stimme und verkündete klar und deutlich: "Sechste Etage. Wohnbereich Fidelitas". Privatdetektiv Wannabe entstieg mit einer kleinen Plastiktüte mit Äpfeln in der Hand zügig dem Lift und schaute sich um. Unmittelbar vor ihm gab es eine verschlossene Tür. Den Raum dahinter wies ein kleines Schild auf ihrer hölzernen Oberfläche als Wäschekammer aus und erklärte gleichzeitig, daß der Zutritt nur dem Personal gestattet sei. Links davon gab es eine weitere Tür, hinter der laut dem dort angebrachten Schild das Bewohnerbad lag. Noch weiter links erstreckte sich hinter einer weit offenstehenden massivstählernen Brandschutztür ein langer Flur, dessen Zimmer laut der großen Hinweistafel direkt vor seinen Augen durchgehend von 621 bis 634 durchnummeriert waren. Rechts der Wäschkammer hingegen befand sich das Dienstzimmer für das Personal, von dem aus geradezu um die Ecke ein weiterer langer Gang zu den Zimmern mit den Nummern 601 bis 620 führte. Auf leisen Sohlen lenkte Wannabe seine Schritte zunächst einmal auf das Dienstzimmer zu, vor dem er etwas seitlich versetzt stehenblieb und sich anschickte anzuklopfen. Im Innern erspähte er dabei an einem langgezogenen Schreibtisch, der mit diversen Akten und Papieren geradezu überhäuft war, Pfleger Adam East vor einen Computermonitor, wo er Bewohnerberichte in die zugehörige Tastatur hämmerte. Direkt vor dem eifrigen Pflegeassistenten kramte die üppige Pflegefachkraft Schwester Ruth Less, mit der Lukas Svensson in den letzten Tagen schon mehrfach aneinandergeraten war, im aufgezogenen Medikamentenschrank und knurrte dabei: "Verflixt, wo ist denn der Lactulosesirup von Mister Been aus Zimmer 601 schon wieder hin? Der komische Kauz hat doch bestimmt wieder Stuhlgangprobleme, so wie der sich in seinem Zimmer gebärdet und das Gesicht verzieht". Pfleger Adam ließ für einen Augenblick die Tasten ruhn, sah zu ihr herüber und schüttelte den Kopf: "Daß Sie immer gleich von was schwerwiegendem Organischem ausgehen müssen, wenn sich mal jemand nicht so verhält, wie Sie es von ihm erwarten! Der gute Mister Been war zu seiner Glanzzeit ein echt begabter Grimassenschneider, der mit seiner komisch-kauzigen Art sogar sein Brot verdiente. Daß er sich mit seinem knopfäugigen Teddy unterhält, ist übrigens auch noch ein Relikt aus jener Zeit und keineswegs als Alterssenilität zu werten". Die breite Schwester stemmte leicht entrüstet die Arme in die Hüften und konterte: "So, so, da hat der Herr East wohl quasi über Nacht seinen Doktor gemacht, wie?! Und einen Basiskurs als Psychologe obendrein?! Oder woher sonst glauben Sie mit ihrem abgebrochenen Mathestudium das alles zu wissen und sich gleichzeitig anmaßen zu können, einer ausgebildeten Krankenschwester wie mir mit mehr als dreißig Jahren Berufserfahrung hier eine Lehrstunde im Umgang mit alten Menschen abzuhalten". Adam East aber ließ sich von ihrem dominanten Auftreten keineswegs einschüchtern. Er zuckte nur müde mit den Schultern und erwiderte: "Das Zauberwort heißt Biographiearbeit, Schwester Ruth. Haben Sie sich schon mal die Mühe gemacht, seine Akte genauer zu studieren? Ich bin mir sicher, Sie würden staunen. Sogar eine eigene Fernsehshow hat der gute Mister Been mal gehabt". Schwester Ruth holte ihre rechte Hand kurzzeitig wieder aus der Umklammerung der beiden fleischigen Schwimmringe hervor, welche ihren natürlichen Hüftgürtel bildeten, und winkte damit ab: "Biographiearbeit?! Also, wenn Sie im Dienst nichts Besseres zu tun haben, ich schon! Jeden Morgen innerhalb von zwei Stunden zu zweit bis zu dreißig Bewohner beim Waschen und Anziehen anleiten und unterstützen, ihnen dann ein Frühstück zuzubereiten, sie zur Toilette zu begleiten und ihr Inkontinenzmaterial zu wechseln, sie zu betten und zu lagern und ihnen zu trinken zu geben, ihnen dann das Mittagessen zu reichen und teilweise sogar zu verabreichen, sie wieder zur Toilette zu bringen und dann zur Mittagsruhe zum Schlaf zu betten, um ihnen anderthalb Stunden später wieder beim Aufstehen zu helfen. Zwei bis dreimal Transfer vom Bett oder der Toilette in den Rollstuhl und zurück. Und dann erst die Zeit, die man damit verbringt, das Ganze noch einmal genaustens im Computer zu dokumentieren, damit man einen aussagekräftigen Nachweis für die Vorgesetzten und die Pflegekassen hat. Dazu kommen bei uns Fachkräften noch diverse Verbände und das Stellen sowie die Ausgabe von Medikamenten vor beziehungsweise nach den Mahlzeiten. Umfangreiche Pflegeplanungen müssen erstellt und immer wieder dem Bewohnerzustand angepaßt werden. Da bleibt einem als Pflegekraft ja kaum noch Zeit zum Luftholen oder Essen, geschweige denn für das Lesen der Bewohnerbiographien". Adam East nickte: "Da muß ich Ihnen natürlich voll und ganz Recht geben, Schwesterchen! Und noch deprimierender wird das Ganze, wenn man am Monatsende auf seinen Lohnzettel schaut. Zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel, sag ich da nur. Und dennoch nehm ich mir nach Feierabend gern mal ein Stündchen Zeit und lese mich durch so eine Bewohnerbiographie. Oft verstehe ich das auf den ersten Blick unbegreifliche Verhalten der betreffenden Person dann viel besser". Schwester Ruth Less ließ ihren knischenden Zähnen zwischen den rotgeschminkten Lippen ein leises Zischen entweichen: "Ein Stündchen nach Feierabend?! Na warten Sie es mal ab, Mister East, bis Sie eine Familie haben. Da wird die Frau Gemahlin schon dafür sorgen, daß es solch müßige Überstündchen nur noch selten gibt. Oder in Ihrer Biographie wird aus einem 'glücklich verheiratet' ganz schnell ein 'unglücklich geschieden'. Glauben Sie mir ruhig, daß ich weiß, wovon ich rede!". Nun zog sie auch ihre linke Hand wieder aus der Hüfte hervor und widmete sich mit leichtgesenktem Haupt der unterbrochenen Suche nach dem - aus den reichhaltigen Medikamentbeständen des Herrn Been - spurlos verschwundenen Abführmittel namens Lactulose. Adam East aber glaubte dabei zu seiner Verwunderung in Form einer einsamen Träne in ihrem rechten Augenwinkel zum ersten Mal so etwas wie eine aufrichtig empfundene Gefühlsregung bei der sonst so beherrschten wie gleichsam beherrschenden, robust gebauten Schwester zu erkennen. Ob tief unter ihrem wäschegestärkten Schwesternkittel Größe XXL letztlich vielleicht doch soetwas wie ein menschliches Herz klopfte?!

Auf alle Fälle klopfte es in diesem Moment im Rücken jener fülligen Mittfünfzigerin, wo sich Charles Wannabe - welcher der aufschlußreichen Unterhaltung der Pflegekräfte bislang still gelauscht hatte - nun mit einem leichten Wummern seiner Handknöchel am Fensterglas der offenstehenden Bürotür bemerkbar machte. Erschrocken drehte sich Schwester Ruth um, sah den unerwarteten Besucher ein wenig verstört an und keifte dann: "Wer sind Sie, zu wem gehören Sie und was wollen Sie?". Wannabe fühlte sich als ehemaliger Soldat durch den Tonfall des forschen Schwergewichts vor sich irgendwie genötigt, blitzartig die Hacken zusammenzuschlagen und erklärte dann wie aus der Kanone geschossen: "Charles Wannabe, Maam! Ich gestatte mir mit Ihrer freundlichen Erlaubnis einen Besuch bei Lukas und Yelena Svensson, wohnhaft in Ihrer Einrichtung, Zimmer 6-2-4. Und ich wollte untertänigst fragen, ob ich vielleicht bei Ihnen einen Teller und ein kleines Schälmesser für das von mir mitgeführte Obst bekommen dürfte!". Leicht abschätzig musterte die Krankenschwester den Eindringling und sein plastiktütenumhülltes Mitbringsel, dann sprach sie: "Wenn's denn sein muß! Aber beim nächsten Mal sollten Sie sich Ihr benötigtes Schälwerkzeug schon selbst mitbringen! Wir sind ja hier schließlich keine Besteckausleihstation!". Und sich Pfleger Adam zuwendend, ergänzte sie sogleich im selben Tonfall: "Mister East, begleiten Sie den Herrn in unsere Teeküche und geben Sie ihm ein kleines Messer und eine Untertasse". Adam East beendete mit der Entertaste kurzerhand seinen eigentlich noch unvollendeten Pflegebericht über das morgens erfolgte Duschen und seine damit einhergehende Hautinsepktion bei der Heimbewohnerin Miss Frivol. Die Tatsache, daß ihn jene schnurstracks auf die Hundert zuschreitende Dame beim Abseifen des Rückens augenzwinkernd dazu aufgefordert hatte, sich doch auch auszuziehen und aus Erwägungen der Wasserersparnis gleich mit ihr unter die Dusche zu steigen, verschwieg er dabei großzügig. Schließlich wußte er aus ihrer Biographie, daß es das zeitlebens unberührte, sittsame, eiserne Fräulein seit dem Einsetzen der Demenz recht faustdick hinter den Ohren hatte, was ihre mehr oder minder versteckten verbalen Anzüglichkeiten anging. Ein leichtes Schmunzeln huschte bei diesen Gedanken über sein jugendliches Gesicht, während er gleichzeitig zu seinem Entsetzen ein paar Meter vor sich Charles Wannabe zur Schwester sagen hörte: "Entschuldigen Sie, Maam, aber haben Sie etwa geweint?". Wild schüttelte Pfleger East im Rücken der Angesprochenen seinen Kopf hin und her - allein, es war zu spät. Die leichtfertige Frage war bereits gestellt, und die entrüstete Antwort der Schwester folgte unvermittelt in aller Schärfe: "Was erlauben Sie sich, Sie! Ich hab nicht geweint! Ich reagiere nur allergisch, und zwar sowohl auf die Blütenpollen draußen wie auch auf dumme Bemerkungen von unverschämten Besuchern hier drinnen! Und jetzt sehen Sie gefälligst zu, daß Sie mit Ihrem Fallobst Land gewinnen und lassen mich hier in Ruhe arbeiten!". Wutentbrannt knallte sie den Medizinschrank zu und trat zur Seite, so daß der Pfleger aus dem Hintergrund heraus an ihr vorbeitreten und den sprachlosen Charles Wannabe in die Teeküche geleiten konnte, wo er ihm mit zwei kurzen Griffen sogleich Messer und Teller aus dem Küchenschrank reichte. Dabei beugte sich Adam East ein wenig vor und flüsterte dem Kriminalisten ins rechte Ohr: "Entschuldigung! Aber so ist sie nunmal, unsere geliebte Oberschwester. Und man muß sie halt nehmen, wie sie ist! Im Grunde genommen versteckt sich hinter der rauhen Fassade jedoch ganz sicher irgendwo ein sehr verletzliches Wesen, wenn Sie mich fragen". Wannabe nickte stumm und mußte dabei wieder einmal unweigerlich an sein altes Ich denken, das sämtlichen Mitmenschen seinerzeit kaum weniger spröde und lieblos begegnet war. Er dankte dem hilfsbereiten Pfleger, der daraufhin wieder ins Dienstzimmer zurückging. Dann schälte und zerteilte Charles seine drei mitgebrachten Äpfel, legte sie auf der bereitgestellten Untertasse ab und wollte sich damit schon auf den Gang in Richtung von Svenssons Zimmer begeben, als er aus dem angrenzenden Aufenthaltsraum das leise Rufen seines Vornamens vernahm. Verdutzt schaute er in die Richtung, aus der das Rufen kam und erblickte Yelena Svensson, die inmitten des Raumes vor einer dampfenden Tasse Tee an einem der Tische saß und ihm freudestrahlend zuwinkte. Wannabe begab sich zu ihr und nahm auf ihre Bitte hin neben ihr am Tisch platz. Yelena aber begrüßte ihn mit einem gehauchten Kuß auf die Wange und meinte dann: "Schön, daß Sie sein hier, Charles! Luki in Zimmer noch einmal sein eingeschlafen, und da ich haben benutzt Zeit für kleines Umtrunk in Gemeinschaftsraum. Ich bei dieses Gelegenheit vielleicht dürfen vorstellen Ihnen anderes Mitbewohner". Vom Nachbartisch her zischte in dieser Sekunde eine alte Dame in Filzlatschen und einem Morgenmantel, der in leicht geöffnetem Zustand ihr luftiges, bleichgewordenes Nachthemd nur dürftig verbarg: "Psst! Man kann sich auch leise unterhalten! Ich will mir schließlich in Ruhe 'Lamb Chop's Play-Along' anschauen!". Yelena Svensson drosselte ihre Stimme und hauchte damit ihrem Besucher zu: "Das da sein Misses Shy. Sie unheimlich lieben dieses Klassiker von Kindersendung in britisches Morgenprogramm". Charles Wannabes Blick schweifte dabei an Yelenas gleichzeitig ausgestrecktem Arm mit dem abgespreizten Zeigefinger entlang in Richtung eines an einer Wand des Raumes über Eck angebrachten großen Plasmabildschirms. Auf jenem Großbildschirm tollte in einer bunten Bühnenkulisse eine ältere Dame mit roter Lockenpracht gemeinsam mit drei Sockenpuppen - einem Lamm namens Lamb Chop, einem Hund namens Hush Puppy und einem Pferd namens Charlie Horse - nebst diversen Kindern umher und spielte mit ihnen lustige Spiele. Die Sendung schien gerade ihrem Ende zuzugehen, und während bereits der Abspann lief, sangen die Puppen und die Kinder sehr zum gespielten Verdruß der älteren Dame ununterbrochen "Das Lied, das niemals aufhört". Yelena Svensson aber flüsterte Charles Wannabe währenddessen ins Ohr: "Misses Shy in frühes Jugend schon haben verloren Verstand, als nacktes Mann in Hyde Park sich haben direkt vor sie entblößt. Seit dieses Tag sie immer schreien, wenn Mann in Regenmantel vor ihr auftauchen. Charlie, Sie sich gar nicht können vorstellen, wie laut sie haben gebrüllt, als Luki bei Einzug sein an ihr vorbeigelaufen auf Flur in sein geliebtes altes Trenchcoat". Wannabe löste seinen Blick von der Mattscheibe und schaute voller Mitgefühl auf besagte alte Dame, die mit zerzausten Haaren und marmeladebeschmiertem Mund freudestrahlend mit schriller Stimme das nichtendenwollende Lied im Fernsehen mitträllerte. Im Augenwinkel registrierte er dabei am Eingang des Gemeinschaftsraumes einen älteren Gentleman in noblem Zwirn, der mit einer schwarzen Melone auf dem Kopf und einem langen Regenschirm als Gehstock gebückt und dennoch zielsicher auf einen der Nebentische zulief, wo er sich unter dem leichtem Knacken seiner morschen Knochen vor einer älteren Dame mit schlohweißem Haar verneigte, die dort ganz in schwarzes Leder gekleidet auf einem der Stühle kauerte und zahnlos ihren Kakao und ihr Milchsüppchen schlürfte. Die Augen der Frau begannen geheimnisvoll zu leuchten, als ihr der Hinzugetretene sanft den Rücken der sogleich ergriffenen, zittrigen Hand küßte - dabei peinlichst bemüht, die in seinem Mund recht locker sitzende Zahnvollprothese nicht zu verlieren. Yelena aber erklärte Charles Wannabe mit Blick auf das anrührende Geschehen flüsternd: "Das sein Misses Emmy Award und langjähriges Partner Jonathan Steady. Man munkeln, sie alle Beide früher haben gearbeitet in geheimes Dienst von Ihres Majestät. Er dabei wohl müssen sein gewesen Mamisöhnchen, weil er immer wieder behaupten zu Personal, er nur einzig und allein nehmen an Anweisung von Mutter".

In diesem Augenblick erhob sich ein recht klein gewachsener Mann mit einem kantigen Gesicht am Einzeltisch in der rechten Ecke des Raums und humpelte in seinem muffigen braunen Anzug an Yelenas Tisch heran. Dort angelangt, versuchte er sofort, kerzengerade vor ihr zu stehen, was jedoch durch den deutlich ausgeprägten Buckel, den sein Rücken im Laufe der Jahre gebildet hatte, verhindert wurde. Ohne jegliche Regung im versteinert wirkenden Antlitz sprach er kühl: "Seien Sie gegrüßt, Verehrteste! Ich hoffe, dem Herrn Gemahl Svensson, meinem geliebten Leiter, geht es wieder besser?! Richten Sie ihm doch meine innigsten Kampfesgrüße aus. Er soll sich von so einem Rückschlag nur nicht unterkriegen lassen, die letzte und alles entscheidende Schlacht im Kampf ums Überleben ist schließlich noch nicht entschieden! An ihrem Ende, da bin ich mir sicher, wird für Lukas Svensson die völlige Genesung seines gestählten Volkskörpers und der totale Sieg über das Alte und Schwächelnde stehen! Sagen Sie ihm das! Ich stehe jedenfalls stets wie ein Mann hinter ihm!". Er machte, so gut es ging, auf den zusammengepreßten Hacken seiner grauen Armeestiefel kehrt und zog, die Hände wild durch die Luft schwingend im hinkenden Gleichschritt vondannen. Wannabe sah Yelena erstaunt an und schüttelte dabei leicht sein Haupt hin und her, wobei er raunte: "Was war das denn?". Yelena zuckte mit den Schulterpolstern ihrer Bluse: "Das gewesen Joe Gaubellt, altes Mitglied und Chef für Propaganda von rechtes Extremisten in unseres Land. Seltsames Mensch! An Tisch bei Essen er oft plötzlich aufspringen und schwingen großes Reden von ausgewähltes Volk, Reich und Gesundheit. Nachts er laufen auf Gang auf und ab und klimpern mit Blechdose voll mit Knöpfe. Er dann klopfen an jedes Tür und rufen, daß er sammeln für Hilfswerk für Winter. Seit er gehört erstes Mal Lukis deutsches Akzent und gesehen Schnurrbart und blaues Augen bei ihm, er ihn nennen nur noch sein Kamerad und Leiter und er mit erhobenes Zitterarm salutieren vor ihm, woimmer er treffen uns. Wen er aber gar nicht können ausstehen, sein dieses Mann dort in entgegengesetztes Ecke neben Fernsehgerät, das mit Namen heißen Winston von Kirchhügel". Wannabe schaute zu dem besagten Tisch hinüber und erblickte dort einen wohlbeleibten Mann im Nadelstreifenanzug mit einer dicken, unangezündeten Zigarre im Mund, an der er immer wieder verzweifelt zog. Chales schaute daraufhin Yelena erneut verwundert an, sie aber erklärte ihm kurzerhand: "Er nicht ganz können verzichten auf Rauchware. Er dann immer nur weinen wie großes Baby, das sein traurig ohne Schnuller. Aber weil Arzt ihm haben wegen Gesundheit Rauchen verboten, Schwester ihm geben jedes Morgen neues Glimmstummel ohne Feuer. So er zumindest bleiben ruhig". Wannabe nickte verständnisvoll und zeigte dann auf den Herren, der in bunt zusammengewürfelten 70er-Jahre-Klamotten neben jenem Mister Winston saß und recht hibbelig erfolglos versuchte, den grimmig dreinschauenden Zigarrenfetischisten mit allerlei anzüglichen Kalauern aus der Reserve zu locken. Leise fragte Detektiv Wannabe die Svenssongattin: "Und wer ist der alte Spaßvogel?". Yelena aber antwortete leise mit vorgehaltener Hand: "Was Sie dort sehen, ich gern auch bezeichnen als die Zwei in Eins. Jenes Herr nämlich leiden an gespaltenes Persönlichkeit. Heute morgen er anscheinend sein wieder der Wilde Danny und sich halten für amerikanisches Playboy. Dann er irgendwann verschwinden in sein Zimmer, sich umziehen und zurückkehren als Lord de Sin et Clair, adliges Brite mit bestes Manieren, aber nach Äußeres steif wie Brett". Wannabe schaute bei dieser Erklärung erst auf seine Armbanduhr und dann auf die Apfelstückchen, die vor ihm auf der Untertasse schon langsam begannen, sich in der trockenen Luft des gut geheizten Aufenthaltsraums bräunlich zu färben, dann gab er zu bedenken: "Apropos ins Zimmer verschwinden - vielleicht sollte ich jetzt doch mal nach Lukas schauen, eh mein mitgebrachtes frisches Obst noch ganz und gar seinen vitaminreichen Reiz für meinen Seniorpartner verliert. Außerdem hab ich unten im verriegelten Auto meinen Vierbein zurückgelassen, den ich dort nicht allzu lange alleinlassen möchte". Yelenas Augen wurden bei der Erwähnung Vierbeins mit einem Male ganz groß und sie rief: "Au fein! Sie Hundchen bei sich haben! Warum Sie nicht machen Luki kleines Freude und ihn holen her! Sie doch selbst neulich mir haben gesagt, daß Sie gelesen in Netz, daß Streicheln von Haustier sein gutes Therapie für dementes Mensch". Wannabe überlegte kurz, dann antwortete er: "Ja, warum eigentlich nicht?! Ich muß ihn nur an der Frau Generalissimo im Dienstgemach vorbeibekommen. Aber das schaff ich schon. Ist ja schließlich nicht meine erste Mission Impossible!". Damit ergriff er rasch den Teller mit den Apfelstücken und entschwand augenzwinkernd in Richtung Fahrstuhl . Yelena aber rief ihm noch nach: "Ja, Sie das sicher schaffen! Und dann Sie bringen ihn zu mein Luki, Charles! Er sicher jetzt sein wieder wach und sich sehr freuen über Ihres Besuch und kleines Mitbringsel! Und wenn Sie kehren zurück nachher, Sie noch einmal mich hier suchen auf, ja?! Ich Ihnen dann berichten, was Doktor gestern bei Hausbesuch haben gesagt zu mir!". Kaum war Wannabe - noch ein letztes Mal nickend - daraufhin ihrem Blick entschwunden, richtete die zurückgebliebene Frau Svensson, während sie einen Schluck lauwarmen Pfefferminztees aus ihrer Tasse schlürfte, ihren Blick auf den Fernseher in der Ecke, wo just in dieser Minute eine prominente Nachrichtenkorrespondentin verkündete: "Hier, vierundzwanzig Kilometer nördlich von Dartmoor, verliert sich bislang jede Spur des auf einem Gefängnistransport gewaltsam befreiten, von den Behörden als äußerst gefährlich eingestuften Terroristen Lou Cypher. Der bei dem Überfall auf den Transporter von den drei begleitenden Wachmännern einzig Überlebende ist mittlerweile im Krankenhaus aus dem künstlichen Koma erwacht und machte erste Angaben zur Person eines der beteiligten Gangster. Jener große, maskierte Mann von schmaler Statur habe seine knappen militärischen Anweisungen mit einem eigentümlichen deutschen, vermutlich sogar leicht sächsischen, Akzent gesprochen. Aufällig sei außerdem noch gewesen, daß seine beiden Augen unterschiedliche Farben zu haben schienen. Soweit vorerst der Stand der Ermittlungen in diesem brisanten Fall. Sie sahen und hörten Britney Spears, live und exklusiv aus Dartmoor für BBC News" ...

Während Yelena Svensson im Aufenthaltsraum im Kreise der anderen Heimbewohner - recht nachdenklich geworden - noch Schluck um Schluck ihren Tee austrank, war in ihrem wenige Meter entfernt liegenden Zimmer ihr Mann Lukas inzwischen erwacht. Er hatte sich aufgerichtet und auf die Bettkante gesetzt. Mit den Fingern beider Hände massierte er dabei seine noch müden Augenlider eingehend und versuchte gleichzeitig angestrengt, die ein wenig wirren und teilweise lückenhaften Gedanken in seinem Kopf zu ordnen. Dabei besann er sich zunächst, daß ihm die Musik beim Nachdenken schon früher gute Dienste geleistet hatte. Und so sah er sich in dem ihm eigentümlich fremd erscheinenden Zimmer um und entdeckte dabei neben sich auf dem Nachttisch ein kleines altmodisches Kofferradio, dessen Einschaltknopf er daraufhin suchte, fand und schließlich auch betätigte. Aus dem Lautsprecher des in Gang gebrachten Rundfunkempfängers tönte ihm in selber Sekunde leise die Stimme einer jungen Frau entgegen, deren Worte er allerdings nur schwerlich zu verstehen vermochte. Ja, auch sein Gehör war in letzter Zeit zunehmend ermüdet. Und so sah er sich gezwungen, zwischen all den Knöpfen und Drehreglern am Radiogerät auch noch denjenigen herauszusuchen, der dem Erhöhen der Lautstärke diente. Wieder suchte und fand er ihn, worauf er ihn vorsichtig im Uhrzeigersinn zu drehen begann. Nur ein paar Grad nach rechts drehte er ihn, dann hielt er inne und lauschte. Ja, so war es besser. Jetzt konnte er die Dame hinter der textilüberspannten Lautsprecherverkleidung verstehen, die in diesem Moment feierlich verkündete: "Meine Damen und Herren, es ist damit genau 10 Uhr. Hören Sie nun im Programm von 'The Voice of Classic' wie an jedem Montagvormittag ein Stück Zwölftonmusik aus der Feder des deutschen Komponisten Arnold Schönberg. In diesem Falle sein Violinenquartett Nummero 1 in einer Aufnahme aus dem Jahre 1961, gespielt vom Ensemble der Royal Albert Hall unter Leitung von A.Tonal". Die Stimme der Dame verstummte, stattdessen setzten die angekündigten Streicher ein. Lukas aber lauschte den gewöhnungsbedürftigen Klängen, die er bei all seiner Begeisterung für jede erdenkliche Form von Musik in seinem Leben bislang immer ausgeklammert hatte. Zu düster und zu unharmonisch war sie ihm stets vorgekommen, doch hier und heute traf sie zum ersten Mal voll und ganz seine tiefste innere Stimmungslage. Der schwermütige Tonsalat vermengte sich mit dem Gedankenwirrwarr in seinem Hirn, wobei die einzelnen Takte Lukas Svenssons Erinnerungslücken nach und nach gleichsam musikalisch aufzufüllen schienen. In einem Heim befand er sich also, wo er zusammen mit seiner Yelena ein Doppelzimmer bewohnte. Was hatte das Fräulein im Radio noch eben gesagt?! Ach ja, richtig! Es sei Montag, 10 Uhr vormittags. Svenssons Blick fiel dabei auf den großen Wandkalender neben der Badezimmertür. Wenn man seinen abreißbaren Blättern Glauben schenken durfte - und Lukas war geneigt, dies zu tun - so schieb man an diesem Tage Montag, den 23.März im Jahre 2015. Zwanzig-Fünfzehn?! Meine Güte, so spät schon! Kinder, wie die Zeit vergeht. Eben in der zwölftönigen Aufnahme war es noch Neunzehn-einundsechzig, und nun schon Zwanzig-Fünfzehn. Das mußte er sich aber jetzt unbedingt merken - nur wie?! Eine Eselsbrücke - schoß es ihm durch den Kopf! Derartige Hilfskonstruktionen hatten ihm schon in der Schule geholfen, sich selbst die unmöglichsten Dinge zu merken. Die Durtonarten mit einem Kreuz als Vorzeichen zum Beispiel anhand des schönen Satzes: Geh Du Alter Esel, Hole Fische ... G-D-A-E-H-F, bittesehr, die Durtonarten mit einem Kreuz! Aber wie um alles in der Welt merkte man sich Zwanzig-Fünfzehn?! Der Ex-Inspektor schaute sich um und blickte schließlich suchend an sich herab, als ihm ein leises "Ah!" entfuhr. Seinen Gedankengang veranschaulichend murmelte er schließlich: "Zwanzig?! Die Summe all meiner Finger und Zehen. Fünf Zehn?! Soviel wie ich an meinem linken Fuß habe. Zwanzig-Fünf-Zehn, quasi mit Links gemerkt! Ein spitzbübisches Grinsen zog in sein Gesicht ein, während seine gespitzen Ohren gleichzeitig ein leises Klopfen an der Tür vernahmen.

Aufgeregt und nervös blickte Lukas Svensson erst zur Tür, dann erneut an sich herab. Bis auf seine seidenblaue Boxershorts war er quasi splitterfasernackt. Kein geeigneter Aufzug also, um Besuch zu empfangen. Und so stammelte er hastig ein recht lautes "Moment!", worauf er seine Beine umständlich zurück ins Bett schwang und seinen entblößten, stark beharrten Oberkörper sorgsam mit der Bettdecke überzog. Sich so mit seinen zittrigen Fingern bedeckt haltend, vermeldete er nun kurz und knapp in Richtung Tür: "Herein!". Langsam wurde die Klinke heruntergedrückt, und die angesprochene Tür öffnete sich Zentimeter um Zentimeter. Im dadurch gebildeten Spalt aber erspähten Lukas' Augen aus dem Bett heraus in unmittelbarer Fußbodennähe sogleich ein paar weißgraue wollene Fusseln. Ein plötzliches Runzeln überfiel die eh schon vielfältige, kahle Stirn Svenssons. Sollte das etwa schon der Wischmopp von Eva sein?! Aber die hausangestellte Reinigungskraft kam doch eigentlich nur einmal wöchentlich und dann immer mittwochs zum Saubermachen des Zimmers vorbei, wenn er sich recht entsann. Oder irrte er sich da?! Kam sie nicht mittwochs, sondern montags?! Oder hatte sich eventuell die Radiodame geirrt?! War heute vielleicht doch schon Mittwoch?! Aber dann irrte sich ja auch der Kalender, oder wie?! Ach, es war einfach zum Verzweifeln mit dieser De... De...! Verdammt! Jetzt hatte er in seiner spontanen Aufgeregtheit sogar schon vergessen, wie sich die verflixte Krankheit schimpfte, die ihn nach und nach und immer wieder einfach alles vergessen ließ. Noch während all diese beängstigenden Gedanken in seinem Kopf an Ausmaß zunahmen, drang vor seinen Augen das fusslige Etwas im Türspalt mehr und mehr ins Zimmer vor und entwickelte dabei für einen leblosen Mopp ein ungewöhnlich starkes Eigenleben. Nein, das war keine leblose Putzhilfe, das war ... das war ... "Vierbein!!!". Vergessen waren all die düsteren Gedanken in Svenssons Kopf, vergessen auch die Tatsache seines fast vollständigen Unbekleidetseins. In einem Zug war die Bettdecke beiseite gerissen, und der haarige Oberkörper schoß nach oben. Mit weit ausgesteckten, offenen Armen empfing der leichtbekleidete Exinspektor jenes Wollknäul auf vier Pfoten, das in diesem Augenblick vor seinen leuchtenden Augen mit weit heraushängender Zunge völlig zügellos einmal ums Doppelbett herumflitzte und schließlich hechelnd und sabbernd mit einem einzigen Satz auf seinen bettdeckbedeckten Schoß hopste. Die vielen kleine Freudentränchen, die sich dabei in Svenssons Augen gebildet hatten, vereinten sich auf seinem saugfähig bezogenen Bettdeck mit dem Sabber des Hundes, dessen haariges Fell Lukas nun ohne Unterlaß streichelte und kraulte. Dazu rief er glückseelig aus: "Vierbein! Junge! Du lebst! Du ahnst ja gar nicht, wie sehr es mich freut, daß Du lebst!". Von der Tür her aber murmelte es derweil leise: "Klar lebt er! Warum sollte er auch nicht?! Der kleine Kläffer ist gesünder als wir alle zusammen, mein Freund! Also, wenn hier einer vorzeitig die Kurve kratzt, dann wohl eher ich! Schließlich bringen Sie mich mit Ihren ewigen nächtlichen Eskapaden immer mal wieder um meinen wohlverdienten Schlaf und damit letztendlich noch einmal ins Grab! Sehen Sie nur, wie grau meine Haare inzwischen georden sind, sofern sie auf meiner hohen Stirn überhaupt noch zu finden sind!". Der in der Tür Stehende deutete dabei auf seine obere Kopfhälfte. Lukas Svensson aber winkte milde ab: "Ach Charles! Das ist nunmal das Los des Alters. Das schlägt halt auch bei Ihnen irgendwann heimlich, still und leise zu. Freut mich übrigens, Sie zu sehen! Kommen Sie doch rein und setzen Sie sich!". Charles Wannabe folgte der Einladung seines früheren Partners, rückte einen der Stühle vom Tisch in der Mitte des Zimmers ab, schurrte ihn neben das Bett - wo er auf dem Nachttisch Svenssons auch sogleich den bis dato immer noch mitgeführten Teller mit den Apfelstücken und dem Schälmesser abstellte - und nahm dann platz. Er öffnete den Reißverschluß seiner Lederjacke und streifte sie lässig von den Armen und Schultern, so daß sie schließlich zurücksank und auf der Stuhllehne landete. Die Ärmel seines blauweiß gestreiften Rollkragenpullovers krempelte er hoch, worauf er erneut nach dem soeben abgestellten Teller mit den oberflächlich bereits leicht braun gewordenen Apfelstücken griff. Dabei kam Wannabes rechter Daumen dem dort abgelegten Schälmesser derart bedrohlich nahe, daß es ihm mit seiner scharfen Klinge einen kleinen schmerzhaften Ritz versetzte. Charles' Hand zuckte sofort zurück, wobei sein Daumen samt dem aus ihm austretenden Blutstropfen instinktiv den Weg zu seinem leicht geöffneten Mund suchte. Eifrig saugten seine Lippen den ausströmenden Lebenssaft auf. Der Blick seines leicht schmerzverzerrten Gesichts aber ruhte dabei auf Lukas Svensson, der mit einem Male ganz erstarrt in seinem Bett hockte und mit weit aufgerissenen Augen auf das Schälmesser mit der blutverschmierten Klinge blickte. Wie in Trance saß der Exinspektor da und bewegte sich erst wieder, als Wannabe die Hand mit dem ausgeluschten Daumen von seinem Mund losgeeist hatte und dem verhaltensauffälligen Freund damit wild vor dessen deutlich erweiterten Pupillen herumfuchtelte. Entsetzt wandten sich Svenssons Augen von der Nachttischplatte ab, wozu er hervorstieß: "Das Blut! Das viele Blut! Das Messer! Nehmen Sie es weg! Weg damit! Schnell! Ich kann es nicht mehr sehen!". Die dabei weit ausschlagende Hand des Exinspektors fegte beim ungestümen Überfliegen der Zimmerlandschaft den Teller mitsamt Apfelstücken und Schälmesser von der Nachttischplatte herunter, wobei der Teller beim Aufschlagen auf dem Fußboden unter lautem Scheppern in unzählige Stücke zersprang und die auf ihm abgelegten Apfelstückchen zugleich in alle Himmelsrichtungen aussendete. Zwei von ihnen landeten dabei gemeinsam mit dem Messer unterm Bett. Wannabe erhob sich langsam und kniete sich dann vor seinem Stuhl hin, wobei er mühevoll die Scherben und die verstreuten Apfelstücke einsammelte. Nach dem Messer aber mußte er sich besonders weit ausstrecken, war es doch fast bis zur Mitte unter das Doppelbett gesaust. Im staubigen Halbdunkel des Linoleumfußbodens ertasteten die Finger von Charles' linker Hand dabei zunächst ein merkwürdig gefaltetes Stück Papier, das aus einer Papierhülle hervorzuragen schien, dem er aber keine weitere Beachtung schenkte, zumal seine linke Hand zur gleichen Sekunde den Griff des gesuchten Küchenmessers gefunden hatte. Vorsichtig holte er das Corpus delicti unter dem Bett hervor und brachte es dann schnellen Schrittes im Angesicht des auf dem Bett immer noch stark zitternden Exinspektors aus dem Zimmer zur Teeküche zurück, wo er es unbemerkt von Yelena und vom Personal rasch säuberte und wieder in die Besteckschublade legte. Auf dem Rückweg ins Zimmer grübelte Wannabe. Nie hätte er es für möglich gehalten, daß der bloße Anblick eines blutiges Schälmessers den sonst stets so gefaßten Freund so in Rage bringen könnte. Was hatte Svensson nur?! Derart blutige, stumme Augenzeugen hatte er doch in seiner Dienstzeit sicher zu Hunderten gesehen, zumal dieses Exemplar sogar denen ähnelte, die einst die Tatwaffen im gemeinsam bearbeiteten Napolitani-Mordfall bildeten ... Aber klar doch! Das war's! Jetzt ergab das Ganze einen Sinn! Oh, mein Gott! Was hatte er nur getan! ...

Wannabe stand wieder vor der angelehnten Zimmertür. Er räusperte sich kurz, dann klopfte er und trat ein. Lukas' gesenktes Haupt starrte auf die Bettdecke, wo der hechelnde Vierbein die salzigen Tränen aufzulecken suchte, die aus den verborgenen Augen Svenssons heruntertropften. Auf Zehenspitzen näherte sich Charles dem Bett und nahm dort auf dem Stuhl seinen alten Platz wieder ein. Eine Weile lang schwiegen die beiden Männer. Und nur hin und wieder wurde jenes bedrückte Schweigen vom traurigen Winseln Vierbeins und vom zarten Schluchzen Lukas' unterbrochen. Es war schließlich Charles Wannabe, der einen vorsichtigen Versuch unternahm, die Sprachlosigkeit zu beenden, indem er leise flüsternd anmerkte: "Lukas, wir müssen reden! Es gibt da nämlich etwas, was Sie wissen sollten! ... Sie erinnern sich ja vielleicht noch an den Heiligen Abend 2009, unseren ersten gemeinsamen Fall als Privatermittler?!". Lukas hob seinen Blick für eine Sekunde und nickte stumm. Wannabe aber fuhr fort: "Nun gut, also dann ... Lou Cypher ist geflohen!". Svenssons zitternde Hände krallten sich fest ins vor ihm liegende Bettdeck: "Cypher?! Geflohen?! Wie war das denn möglich?". Charles Wannabe legte seine warmen Hände sachte auf die des Freundes: "Nun, es gab Gerüchte um einen möglichen Ausbruchsversuch. Und als sich diese Gerüchte immer mehr verdichteten, hat man sich im Justizministerium dazu entschlossen, Cypher nach Dartmoor zu verlegen. Alles wurde streng geheimgehalten, aber irgendwo muß die Information doch durchgesickert sein. Und so hat man den gut gesicherten Transport nahe Dartmoor überfallen. Ein gefakter Unfall. Zwei maskierte Männer, die - mit einer AK47 und einer Panzerfaust bewaffnet - aus dem Gebüsch sprangen und sofort das Feuer auf die Bewacher eröffneten. Nur ein Wachmann überlebte. Seiner Aussage verdanken wir zumindest eine vage Beschreibung des einen Gangsters. Vermutlich ein Mann mit ostdeutscher Herkunft, der zwei verschiedenfarbige Augen hat. Was hingegen den zweiten Angreifer angeht, gibt es keinerlei Hinweise. Außer der Eigenart vielleicht, daß er seine linke Hand die ganze Zeit zur Faust geballt am Körper herunterhängen ließ, während er die entsicherte Kalaschnikow dafür umso geschickter und lässiger mit Rechts handhabte ...". Lukas Svensson schoß mit einem Male wie eine V1 aus dem Bett hoch. Sein dabei in die Luft empor gerissener, ausgestreckter rechter Arm berührte dabei die Zimmerdecke, während er - auf recht wackligen Beinen stehend - ausrief: "Crawler! Das war Crawler, der Lump! Die linke Hand ist schließlich eine Prothese! Genau das hat er mir gesagt, kurz bevor er die ganze Welt in die Luft jagte!". Wannabe aber ergriff den Aufgesprungen an seiner rechten Hand und zog kräftig daran. Er holte damit den samt seiner kühnen Schlußfolgerung immer mehr ins Straucheln geratenden Svensson, in eine Art Schneidersitz zusammensinkend, auf die lakenbespannte Matratze - und damit aus seiner, sich streng an den vorliegenden Fakten orientierenden Sicht zugleich auch auf den Boden der Tatsachen - zurück, was er noch durch eine klare Ansage untermauerte: "Menschenskind, Lukas! Wie oft denn nun noch?! Derrik Crawler ist und bleibt tot! Er hat sich mit einer Handgranate quasi direkt vor unser aller Augen selbst in die Luft gejagt, daran besteht nicht der geringste Zweifel. Geben Sie doch endlich diese fixe Idee auf. Die hat Sie doch überhaupt erst in diese mißliche Lage gebracht, und die bringt sie am Ende noch gänzlich um den Verstand! Ich bitte Sie inständig: Hören Sie nur ein einziges Mal auf mich! Ich meine es doch nur gut mit Ihnen!". Angestrengt seufzend nickte Lukas Svensson: "Aber das weiß ich doch, Charles! Und Sie haben ja im Grunde genommen auch recht! Alles spricht an sich dagegen! Bis auf meine Träume und mein Bauchgefühl!". Behutsam stubste ihm Wannabe mit der - zur Faust geschlossenen - Hand gegen die Schulter, so daß der auf dem Bett kauernde Svensson dort nun wie ein Stehaufmännchen hin und her schwankte. Charles aber raunte ihm zu: "Na sehen Sie! Und nun erstmal weg von der Cypherflucht und hin zum neusten Fall unserer Detektei, an dem momentan unser gemeinsamer Freund Timmy schon mit Feuereifer arbeiten dürfte. Sie müssen wissen, daß ich am gestrigen Sonntag bei unserer Premierministerin und ihrem Mann zum Essen eingeladen war. Madame Winslet-Keating gab mir zu verstehen, daß es da einen recht delikaten Diebstahlfall im Umfeld der Royal Family und des Buckingham Palace gäbe. Näheres wird mir Ihre Majestät, Queen Elizabeth II, am Donnerstag höchst persönlich im Rahmen einer kurzen Audienz bei ihr mitteilen. Fürs Erste erfuhr ich nur soviel, daß es sich bei dem verschwundenen Gegenstand um ein recht kostbares Kleinod handeln muß und daß der Hauptverdächtige in dieser Sache der vor anderthalb Jahren aus gesundheitlichen Gründen aus den Diensten des englischen Könisgshauses ausgeschiedene, deutschstämmige Butler Sebastian Fritz sei. Man habe schon seit Längerem international nach ihm fahnden lassen, bis vor ein paar Tagen allerdings ohne jeglichen Erfolg. Dann gab es durch Zufall bei Interpol eine Anfrage für einen Fingerabdruckabgleich, bei dem sich unerwartet eine 99%ige Übereinstimmung mit den Abdrücken des gesuchten Butlers ergab. Die Anfrage zum Abgleich kam dabei aus dem Osten Deutschlands, genauer gesagt aus der kleinen Stadt Bernau nahe Berlin. Die zu untersuchenden Abdrücke waren dort bereits im Oktober vergangenen Jahres einem unbekannten männlichen Mordopfer abgenommen worden, das im Zimmer einer kleinen Hütte mit einem Brieföffner hinterrücks erdolcht auf einem Schreibtisch liegend aufgefunden worden war - vor sich nichts als ein Vergrößerungsglas, eine Tube Papierleim und ein Nagelpflegeetui mit Nagelschere und Pinzette. Die Beamten vor Ort hatten den Fall zunächst bundesintern untersucht. Erst als die zuständige Mordkommission Anfang dieses Jahres in Form eines Kriminalhauptkommissars Frohriep einen neuen Chef bekam, dehnte der mit seiner langjährigen Erfahrung im Polzeidienst die Untersuchung der Spuren europaweit aus. Tja, alle diesbezüglichen Unterlagen wurden uns mittlerweile zugefaxt und werden von unserem Timmy und meiner Claudia nun genaustens in Augenschein genommen und elektronisch datenverarbeitet. Ich für meinen Teil werf da heute Abend noch einen Blick drauf und mache mich dann morgen früh für zwei Tage höchstpersönlich auf den Weg nach Bernau". Wannabe machte in seiner Erzählung eine kurze Pause, dann ergänzte er: "Ach ja, da gibt es bei dem Mordfall an Sebastain Fritz noch etwas recht Kurioses, das Sie sicher auch interessieren wird. Und vielleicht kann die Beschäftigung mit diesem kleinen Rätsel Sie ja auch ein wenig von Ihren Hirngespinsten, was Derrik Crawler angeht, ablenken. Also: Die hinzugerufene Streife fand laut Aktennotiz seinerzeit den erdolchten Exbutler Ihrer Majestät noch in seinen letzten Atemzügen vor, wobei seine allerletzten Worte die folgenden gewesen sein sollen: 'DER ALTE FRITZ IST IN GEFAHR!'. Nun mal ehrlich, mein Lieber, was soll man sich denn darauf bitteschön für einen Reim machen?! Sprach der arme Mann als alter Diener vielleicht sogar von sich selbst noch bis zum Schluß nur in der dritten Person. Oder meinte er gar den gleichnamigen, berühmten Preußenkönig?! Ich hab da echt noch so gar keinen Schimmer". Svensson runzelte nachdenklich die Stirn, dann bekannte er schulterzuckend: "Ich auch nicht, aber ich laß mir das gern mal durch den Kopf gehen!". Charles Wannabe nickte lächelnd, während er aufstand und Svensson die Hand entgegenstreckte: "Besten Dank, mein Lieber! Und nun muß ich leider gehen! Claudia und Cedrick warten zuhause sicher schon mit dem Mittagessen auf uns!". Und den Blick auf den schwanzwedelnden Hund zu Lukas Füßen richtend, ergänzte er sogleich: "Komm, Vieri! Frauchen wartet daheim mit Krustenbraten auf uns!". Etwas traurig blinzelte der Hund Lukas Svensson zu. Der aber strich ihm noch einmal sanft übers Fell und sprach: "Ist schon gut, mein Freund! Bist ja nicht aus der Welt! Komm einfach bald mal wieder bei mir vorbei! Und meld Dich mit Deinem Herrchen vorher ruhig bei Yeli an! Ich heb Dir dann auch was Leckres vom Mittagsmahl auf, vorausgesetzt, daß ich dran denke!". Vierbein hob seine Pfote und streckte sie, wie sein Herrchen, dem Exinspektor entgegen. Svensson ergriff beide dargebotene Extremitäten zugleich - mit der rechten Hand die Hand Wannabes, mit der linekn die Pfote des Hundes - und schüttelte sie eifrig. Charles Wannabe aber warf sich ncoh rasch seine Lederjacke über. Dann überführte er Vierbein behutsam von dessen Lagerstatt in seine Arme und trug ihn bis zur Zimmertür, die er langsam öffnete. Im Türrahmen drehte sich der Privatdetektiv mit seinem privaten Schnüffler noch einmal zu Svensson um und flüsterte dabei recht nachdenklich: "Ach ja, und es wäre aufgrund der mir von der Premierminsisterin auferlegten Geheimhaltung gut, wenn Sie den Inhalt unserer Unterhaltung niemandem weitererzählen würden. Am Besten wäre es vermutlich sogar, Sie würden das zwischen uns Besprochene rasch wieder vergessen!". Lukas Svensson aber schmunzelte nur und sprach: "Das sagen Sie ja genau dem Richtigen! Keine Sorge, Charles, dank meiner zunehmenden Demenz wird sich das mit dem rschen Vergessen über kurz oder lang ganz sicher einrichten lassen! Und jetzt ab nach Hause mit Euch Beiden, sonst vergeß ich MICH!". Und nachdem sich der gute Charles und sein alter Freund Lukas daraufhin in stillem Einverständnis mit einem letzten Augenzwinkern voneinander getrennt hatten, fiel hinter Wannabe und Vierbein die Zimmertür leise ins Schloß.

Im Flur aber schüttelte Charles Wannabe, nach diesem Besuch doch recht melancholisch gestimmt, nachdenklich den Kopf. Im Herzen war Svensson immer noch der Alte, ein liebenswerter Kerl voller Lebensfreude und mit einem subtilen Hang zu bissiger und dennoch niemals verbissener Selbstironie, nur tief in seinem erkrankten Kopf, da nagte es unübersehbar und fraß all das in ihm mühsam angehäufte Wissen langsam und dennoch unaufhaltsam auf. Und dieser Umstand machte Charles als seinen langjährigen Wegbegleiter, früheren Widersacher und jetzigen Freund, stets auf Neue unendlich traurig.

Wannabe versuchte, all die in ihm aufkommenden düsteren Gedanken zu vertreiben, indem er sein leicht gesenktes Haupt rasch wieder erhob und nach vorn schaute. Dabei beugte er sich ein wenig vor und setzte seinen geliebten Vierbein sanft auf dem Boden ab, worauf dieser ihm sogleich auf flinken Pfoten in Richtung Fahrstuhl enteilte. Am Ende jenes langen Weges, der sich hier in Form des spärlich beleuchteten Flurs vor Wannabes Augen ausbreitete, strahlte ihm durch das offene Fenster der dort befindlichen Teeküche strahlendhelles Sonnenlicht entgegen, in dem sich just in diesem Moment direkt vor ihm neben des langsam entschwindenden Hundeschattens die Silhouette einer grazil auf ihn zuschreitenden Frauengestalt abzeichnete. Auch wenn er das Gesicht der zugehörigen Gestalt im Gegenlicht kaum erkennen konnte, genügte ihm ein kurzer Blick, um festzustellen, daß es sich bei der Frau, die da geradezu auf ihn zuschwebte, nur um Yelena Svensson handeln konnte. Ihre imposante Erscheinung war ganz einfach unverwechselbar. Und wäre sie nicht die Ehefrau seines Freundes Lukas und auch er dank seiner Verlobten Claudia Palmer längst in festen Händen - wer weiß, vielleicht hätten Yelena und er ja ein hübsches Paar abgegeben. So aber beschränkte sich ihrer beider Beziehung inzwischen auf eine gute, sehr intensive Freundschaft. Die Svenssongattin war derweil neben Charles zum Stehen gekommen, wo sie ihm nun ihren Arm dabot und ihn lächelnd fragte: "Und? Lukas sich haben gefreut über Wiedersehen mit vierbeiniges Freund?". Wannabe nickte: "Und ob er das hat! Der gute alte Lukas war ganz aus dem Häuschen. Und ein wenig nett geplaudert haben wir auch. Was allerdings seinen Zustand angeht, so bin ich - ehrlich gesagt - doch ein wenig besorgt. Seine Stimmung wechselt innerhalb von Sekunden - einer emotionalen Achterbahnfahrt gleich - von himmelhoch jauchzend nach zu Tode betrübt. Und in seinem Kopf spukt dabei zu allem Leidwesen auch immer noch der absurde Gedanke, daß Crawler noch leben könnte". Yelena Svensson senkte traurig ihren Kopf, und hakte sich dann stillschweigend bei Charles Wannabe unter. Gemeinsam gingen sie wortlos einige Meter auf dem langen Flur entlang, bis sie schließlich vor der halboffenen Tür des Zimmers mit der Nummer 613 zum Stehen kamen. Im Innern jenes Zimmers erblickten sie - zusammengekauert in einem Bett liegend, einem Embryo gleich - einen greisen, fast kalköpfigen Mann, dessen permanent zur Decke starrende Augen nur noch kleinen Schlitzen ähnelten. Von einem Tropfenständer, an dem ein Folienbeutel mit einer milchigbreiigen Flüssignahrung baumelte, führte ein dünner durchsichtiger Schlauch bis zur Bauchdecke des Mannes, in der er durch eine mit Kompressen sorgsam abgedeckte Öffnung verschwand. Eine am Tropfenständer angebrachte Pumpe, in die jener Schlauch eingespannt war, preßte in voreingestellter Geschwindigkeit tropfenweise den geschmacklosen Nahrungsbrei in den Magen jenes bedauernswerten Mannes, an dessen Körper - weiter unten angebracht - noch ein zweiter, etwas dickerer Schlauch gleichzeitig dafür sorgte, daß der beim Stoffwechsel als Abfallprodukt anfallende Harn in einen am Bettgestell hängenden Urinbeutel abgeleitet wurde. Neben dem Bett auf einem Stuhl aber saß mit gesenktem Kopf eine ältere Frau und streichelte unentwegt über die rauhgewordene Hand des im Bett Liegenden. Leise schluchzend lehnte Yelena Svensson bei diesem Anblick ihren Kopf an Charles Wannabes Schulter, während ihre heisere Stimme ihm zuflüsterte: "Bosche moij! Armes Mensch! Ich gesprochen vor ein paar Tagen mit jenes Frau dort, welches sein verheiratet mit Mann in Bett. Er noch bis vor ein Jahr genauso munter gewesen wie Luki. Dann man nach plötzliches Hirnschlag diagnostiziert bei ihm vaskuläres Demenz. Er in kurzes Zeit alles haben vergessen. Erst nur wie er heißen und wo er leben. Bald er nicht mehr haben erkannt sein Frau und sein Kinder. Nach weiteres Monat er nicht mehr gefunden Weg zu Toilette. Früher stets so liebes Mann sein geworden plötzlich mißtrauisch und aggressiv. Dann er vergessen zu essen und trinken. Er nach und nach aufgehört mit Laufen und Reden. Schließlich er nicht mehr gewußt, wie man schlucken. Und nun er liegen nur noch in Bett, bis auf eine Stunde, die Personal ihn mit Hebegerät mühsam setzen in Pflegerollstuhl jedes zweites Tag. Sein Blick sein starr und leer. Schauch sorgen für Einfuhr von flüssiges Essen und Trinken, anderes Schlauch für Ausfuhr. Breites Windelhose sorgen, daß Stuhlgang nicht landet auf Bettlaken. Über Elektrokasten gesteuertes Luftmatratze unter Hintern und zusätzliches Umlagern durch Pflegekräftige sollen verhindern, daß Schultern, Po und Fersen dabei werden wund. Bei jedes Bewegung schmalgewordenes Gesicht von Mann nur noch sich verzerren vor Schmerzen. Du mir bitte sagen, gutes Charles, das man doch nicht mehr wirklich können nennen erfülltes Leben?!". Wannabe mußte bei dem Anblick jenes bedauernswerten Mannes unweigerlich an seine, im selben Haus, nur auf einem anderen Wohnbereich seit Jahren im Koma liegende Noch-Ehefrau Janet denken. Und so seufzte er tief und erwiderte mit tränenschwerer Stimme: "Nein, das ist wahrlich kein Leben mehr. Nur noch ein bloßes Dahinvegetieren und Daraufwarten, daß einen der Tod vom qualvollen Leiden erlöst. Und entgehen kann man dem wohl nur, wenn man sich schon frühzeitig im vollen Beitz seiner geistigen Kräfte zum Abfassen einer Patientenverfügung entschließt, die zumindest klarstellt, daß man für sich selbst keine das Leiden auf künstliche Art und Weise unnötig in die Länge ziehenden lebensverlängernden Maßnahmen wünscht. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, wenn ein derart schreckliches Schicksal einen von uns oder gar den armen Lukas ...". Charles Wannabe sah sich in diesem Moment außerstande, jenen schrecklichen Gedanken zuende zu denken. Und natürlich wollte er ihn auch der - sich inzwischen nur noch fester an ihn anlehnenden - Svenssongattin zumuten. Betreten schwiegen beide und suchten in Gedanken, jeder für sich allein, nach einem Ausweg. Sie fanden ihn schließlich in stummer Übereinkunft darin, daß sich ihre Füße langsam erneut in Bewegung setzten und damit den deprimierenden Anblick jenes unausweichlichen Endstadiums der grausamen Erkrankung mit dem harmlos klingenden Namen Demenz hinter sich ließen. Wieder hatte Wannabe seinen Blick gesenkt, schämte er sich doch ein wenig, Yelena die aus seinen Augenhöhlen hervorquellenden Tränen ganz offen zu zeigen. Zu tief war in seinem Unterbewußtsein noch immer die strenge Erziehung durch seinen unbarmherzigen Vater verwurzelt, dessen eisige Stimme ihn in solchen Momenten immer wieder nachhaltig anzuherrschen schien: "Hör endlich auf zu heulen, Du Memme! Echte Männer weinen nicht!".

Recht unsanft riß ihn Yelena aus seinen Gedanken an jenes, bis dato nie vollständig aufgearbeitete Kindheitstrauma. Unvermittelt war sie stehengeblieben und hatte dabei auch ihn am Ärmel seiner Jacke festgehalten, wozu sie völlig entsetzt ausrief: "Charles, Du aufpassen!". Ein Schreck durchfuhr sämtliche Glieder des Angesprochenen. Seine dabei weit aufgerissenen und nach vorn starrenden Augen aber erblickten direkt vor seinen Füßen auf dem Linoleum des Flurbodens mit einer über den Kopf gezogenen Wolldecke im Schneidersitz auf dem Boden kauernd einen sonst gänzlich unbekleideten älteren Herrn, der ihm zitternd und voller Angst in den Augen entgegenstarrte. Dazu murmelte er immer wieder ganz außer sich: "24 ... 24 ... 24 ...". Einen kurzen Moment lang brauchten alle Beteiligten, um sich vom ersten Schreck zu erholen. Dann aber flüsterte Yelena Charles zu: "Das da sein Herr William Gaids. Er oft kommen aus sein Zimmer und setzen sich in Decke gemummelt mitten in Flur auf Boden. Anderes Bewohner hinter Rücken ihn oft nennen deshalb Häuptling Sitting Bill aus Stamm von Sussex-Indianer, weil er ursprünglich gelebt in Villa von südenglisches Landschaft mit gleiches Namen. Er früher gewesen großes Mann und Chef von weltweites Unternehmen. Aus kleines Ein-Mensch-Betrieb er über Jahre haben geschaffen weltberühmtes Betriebs-System für Fenster. Dann in Jahr 1995 gekommen plötzliches Absturz durch Virus. Er gehabt an sich harmloses Bluttranfusion, wobei durch unreines Konserve er sich infiziert mit HIV. Drei Jahre später, 1998, als er schon gewesen sehr schwach, er noch zusätzlich gehabt Hirnstammbluten. Seitdem er halbseitig gelähmt und leiden an Sprachstörung mit Namen Globales Aphasie. Er zwar noch alles recht gut verstehen, aber selbst er nicht mehr können sprechen klar. Alles, was ihm seither noch über Lippen kommen, sein Zahlenwort 24. Egal, was immer er uns wollen sagen, er immer nur bringen endlos Serie von 24 heraus". Mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns streckte Charles Wannabe dem zitternden Mann vor ihm daraufhin sogleich die Hand entgegen und wisperte freundlich lächelnd: "Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie übersehen habe, Mister Gaids! Aber ich war wohl zu sehr in Gedanken!". Vorsichtig löste der am Boden Kauernde seine rechte Hand von der ihn umhüllenden Decke und legte sie in die ausgestreckte Charles Wannabe, wozu er augenzwinkernd, sichtlich ruhigerwerdend, raunte: "24 ... 24 ... 24!". Ein sekundenlanges Händeschütteln beider Männer folgte. Offensichtlich verstand man sich auf Anhieb auch ohne große Worte. Schließlich löste Charles Wannabe den Händedruck und schickte sich an Yelenas Seite bereits an weiterzugehen, als forschen Schrittes - recht aufgeregt wirkend - Pfleger Adam East aus dem Dienstzimmer heraus direkt auf sie zugelaufen kam. Schon von weitem rief er über den Flur: "Misses Svensson?! Ich habe vorne ein Telefongespräch für Sie!". Fragend schauten sich Yelena und Charles in die Augen. Dann löste sich Yelena von Charles und enteilte schnurstracks in Richtung Dienstzimmer. Pfleger Adam hingegen begab sich in unvermittelt raschem Tempo zum zurückgebliebenen Privatdetektiv und dem - immer noch direkt vor ihm - am Boden hockenden Heimbewohner. Dort angelangt ging der Pflegeassistent sogleich locker federnd selbst in die Hocke, so daß er sich letztlich auf gleicher Augenhöhe mit dem wolldeckummantelten Bill Gaids befand. Adams Blick suchte den des scheuen Mannes, dann sprach er mit ruhiger Stimme: "Na, Mister Gaids, haben Sie es sich wieder auf unserem lauschigen Flur ein wenig gemütlich gemacht? Ich nehme an, Sie haben momentan keine Lust aufzustehen und wieder in Ihr Zimmer zurück zu gehen?!". Kopfschüttelnd erwiderte der Angesprochene klar und deutlich: "24 ... 24 ... 24!". Adam East nickte: "Na gut! Aber dann erlauben Sie mir vielleicht, daß ich Ihnen aus Ihrem Zimmer noch ein Kissen hole, auf dem Sie sitzen können. Nicht daß Sie sich auf dem kühlen Fußbodenbelag noch einen Schnupfen holen! Ok?!". Nun nickte auch William Gaids unter seiner Decke und willigte großzügig ein mit einem leise dahingemurmelten: "24 ... 24 ... 24!". Der Pfleger aber erhob sich und verschwand für einen kurzen Augenblick im naheliegenden Bewohnerzimmer, aus dem er Sekunden später mit einem dicken weichen Kopfkissen zurückkehrte. Dann kniete er sich auf den Boden und schob das Kissen langsam und ganz vorsichtig unter den sich dabei ganz leicht anhebenden nackten Unterleib des Mannes. Schließlich betrachtete Adam East sein Werk sichtlich zufrieden und sprach zu dem nun weich aufs Kissen Gebetteten: "Na sehen Sie, so ist es doch auch gleich viel bequemer. Die Zimmertür laß ich Ihnen gleich angelehnt, falls Sie zur Toilette müssen oder sich am Ende doch wieder entschließen sollten, lieber in Ihrem Sessel vor Ihrem vom Sohnemann eigens für Sie eingerichteten wunderschönen Kaminfeuerbildschirmschoner sitzen zu wollen. Bis später, mein Bester!". Langsam erhob sich Adam East wieder, während sich ihm und Wannabe vom Lift her mit quietschenden Reifen eine etwa 30jährige Frau in rasantem Tempo auf einem jener versnobten Cityroller näherte. Die üppig geschminkte Dame mit dem hochgesteckten, blondhaarigen Haar in ihrem engsitzenden schwarzgrauen Kostüm kam direkt naben den drei versammelten Mannsbildern zum Stehen. Wobei Stehen eigentlich wohl kaum der richtige Ausdruck zu sein schien, für das, was ihr Körper in seiner schier unbezähmbaren Hibbeligkeit permanent an Zuckungen und wildem Gestikulieren hervorbrachte. Während sie Charles Wannabe in ihrer recht arrogant wirkenden Art mit dem aufgesetzt wirkenden Dauergrinsen dabei von Anfang an kaum eines Blickes würdigte, blickte sie abfällig erst auf den am Boden hockenden Bewohner und dann auf den vor ihr stehenden Pfleger, den sie schließlich mit schriller Stimme recht unverhohlen ankeifte: "Was bitte soll das? Warum sitzt der da splitterfasernackt in aller Öffentlichkeit unten auf dem Boden? Was sollen denn die anderen Bewohner und ihre Angehörigen denken, wenn sie den da sitzen sehen? Schaffen Sie ihn gefälligst wieder auf sein Zimmer, Hilfspfleger West!". Adam East ließ seine Schultern zucken: "East, Miss Smith! Mein Name ist Adam East! Und was den Herrn da am Boden angeht, der übrigens auch einen Namen hat: Er möchte dort sitzenbleiben. Und gegen seinen Willen werde ich ihn gewiß nicht ins Zimmer bringen". Die Dame mit der blonden Hochsteckmähne bließ vor ihm ihre Wangen auf und stämmte entrüstet beide Hände in die schmalen Hüften: "Mister North! Wollen Sie damit etwa allen Ernstes sagen, daß sie sich weigern, meinen klaren Anweisungen Folge zu leisten?! Also in diesem Fall muß ich Sie ...". In diesem Moment unterbrach Charles Wannabe den Redefluß jenes hier aus heiterem Himmel so autoritär auftretenden Modepüppchens: "Ja, ganz recht! In diesem Fall müssen Sie Mister East zu seiner aus pflegerischer Sicht völlig korrekten Handlungsweise beglückwünschen. Ich weiß zwar noch nicht, wer Sie sind, da Sie es bei Ihrem überstürzten Eintreffen auf ihrer hier im Heim völlig unpassenden Möchtegern-Angeber-Gehhilfe ja weder für nötig erachteten, mich zu grüßen, noch sich mir vorzustellen. Aber ich geh mal davon aus, daß Sie hier etwas zu sagen haben und nicht nur als eine weitere ambitionierte Anwärterin auf den Titel 'Britains Next Topmodel' Ihre soziale Kompetenz ein wenig unter Beweis stellen wollen. Sollte ich mit meiner Annahme richtig liegen, so wissen Sie sicher auch, daß man einen Demenzkranken in seinem Handeln weder zurechtweisen noch mit Zwang begegnen soll, nur weil er etwas tut, was in unseren Augen gegen die Normen des sogenannten Normalen verstößt. Pfleger East hat diesen Grundsatz jedenfalls eben geradezu beispielhaft umgesetzt, indem er dafür sorgte, daß Mister Gaids hier ganz ungefährdet bequem und warm sitzt, und zwar solange, bis der Bewohner selbst wieder in sein Zimmer zurückkehren möchte. Und wie Sie leicht sehen können, wenn Sie sich mal bemühen, dem Mann in die unter der Decke hervorleuchtenden Augen zu schauen, ist der Betroffene mit dieser Handlungsweise selbst auch äußerst zufrieden". Unter ihrem puderblassen Teint wurde die Hochsteckblondine mit einem Male puterrot, und wutschnaubend zischte sie den ihr ins Wort gefallenen Privatermittler an: "Was fällt Ihnen denn ein?! Sehen Sie nicht, daß ich mich hier mit meinem Untergebenen Mister South unterhalte?! Was glauben Sie denn überhaupt, wer Sie sind?". Seelenruhig erwiderte der so Angekeifte, die Hände vor dem Bauch ineinander verschränkend: "Na bitte, nun kommen wir ja am Ende doch noch dazu, uns einander vorzustellen! Gestatten, Wannabe mein Name, Charles Wannabe, Privatdetektiv! Und mit wem habe ich das zweifelhafte Vergnügen?". Wie aus dem Schlot einer Dampflok schnaufte es inzwischen aus den auffällig nervös zuckenden Nasenflügeln der Wasserstoffblondine. Ihre zusammengepreßten Lippen aber durchdrang, untermalt vom hintergründigen Knirrschen der Zähne ein spitzes: "Smith! Miss Sandra Smith! Übrigens, Surprise, Surprise, bin ich seit einer Woche die amtierende Leiterin dieses Heims! Und ich bitte mir in meinen vier Wänden etwas mehr Respekt aus, Mister Warnerbee!". Charles Wannabe aber lächelte nur milde: "Respekt?! Und ich dachte nach Ihrem respektlosen Auftreten gegenüber Ihrem Personal und einem Vertreter aus den Reihen Ihrer Kundschaft hier schon, dieses Wort gäbe es in Ihrem Wortschatz am Ende gar nicht! Vielleicht könnten Sie es mir ja mal buchstabieren, Miss Smith&Wesson?! Ach lassen Sie nur, am Ende verkommt unser so launiges Geplänkel damit noch zu einer fragwürdigen Neuinterpretation des gleichnamigen Aretha-Franklin-Klassikers! Und um dem und weiteren Peinlichkeiten fürs Erste aus dem Wege zu gehen, empfehle ich mich hiermit für heute mit den besten Grüßen an den möglichen zukünftigen und sicher schon heute sehr bedauernswerten Herrn Gemahl, Misses Smieth-Fliege! Auf mich wartet nämlich eine Audienz bei Ihrer Majestät, der Queen, müssen Sie wissen! Habe die Ehre!". Damit ließ er die sprachlose Mitdreißigerin samt ihrem an die Wand gelehnten kindischen Aluminiumroller links liegen und begab sich würdevollen Schrittes kopfschüttelnd in Richtung Fahrstuhl, wo der brave, wohlerzogene Vierbein schon sehnsüchtig mit dem Schwanz wedelnd auf sein Herrchen wartete.

Adam East, der die plötzliche Sprachlosigkeit seiner frischgebackenen Einrichtungsleiterin genutzt und sich unmittelbar nach dem Detektiv auf den Weg zurück in Richtung Teeküche gemacht hatte, aber trat von hinten an den wartenden Wannabe heran und tippte ihm behutsam auf die Schulter, wozu er flüsterte: "Vielen Dank, Mister Wannabe!". Charles Wannabe aber erwiderte: "Nichts zu danken! Ich hab nur gesagt, was ich denke! Sollten Sie ab und zu auch tun, Mister East, das befreit unheimlich! Sollten Sie freilich an Ihrer Anstellung und den Ihnen hier anvertrauten Menschen hängen, so hilft es wahrscheinlich auch, sich daheim in die Mitte einer Dartscheibe das Foto seiner Vorgesetzten zu pinnen. Soll übrigens als netten Nebeneffekt auch zur Folge haben, daß sich die eigene Trefferquote beim Dartspiel rasch recht deutlich erhöht, hab ich mir sagen lassen. Dazu sollten Sie wissen, daß mein Konterfie vermutlich während meiner aktiven Dienstzeit beim Yard und als Chef der Antiterroreinheit CI7 wohl schon so manche Dartscheibe geziert haben dürfte. Aber die Zeiten sind, was mich betrifft, zum Glück längst vorbei. Und wenn Sie mich aus meiner heutigen Sicht fragen, gehören derart arrogante Kotzbrocken wie mein früheres Ich und solche hochnäsigen Barbies auf Extasy wie die da, die mit ihrem nicht vorhandenen Einfühlungsvermögen und ihrer unnahbaren Gefühlskälte auch noch den letzten Rest verbliebener Menschlichkeit aus unserer Gesellschaft zu vertreiben suchen, nicht in die Führungspositionen - schon gar nicht in so sensiblen Bereichen wie den unseres Gesundheitswesens". Adam East schmunzelte kurz und machte dabei auf dem Hacken kehrt. Und während er dann seine Schritte bereits weiter in Richtung der Teeküche lenkte, wo schon der bereitgestellte Wärmewagen mit dem Mittagessen auf ihn wartete, drehte er sich noch einmal zu dem am Lift stehenden Wannabe um und sprach: "Ach übrigens: Sie können mich ruhig Adam nennen, Mister Wannabe, das tun schließlich alle hier, außer unsere liebenswerte Oberschwester Ruth und ein gewisses Modepüppchen. Bei letzterer hab ich übrigens auch gar nicht das Verlangen auf ein trautes Du und Du! Einen schönen Tag noch, Sir!". Charles Wannabe winkte dem - zur Vorbereitung auf das anstehende Austeilen des Mittagessens - Enteilenden noch nach, wobei er bei sich dachte: 'Ein feiner Kerl! Von diesem Schlag sollte es gerade in der Pflege von alten und kranken Menschen noch viel mehr geben. Aber ich fürchte leider Gottes, es handelt sich dabei in unserer heutigen Gesellschaft eher um seltene Ausnahmeerscheinungen. Nicht, daß die Vertreter dieses für die Härte der Aufgabe völlig unterbezahlte Menschenschlags nicht allesamt voller Leidenschaft hochmotiviert in den Job starten würden, doch viele waren schon nach wenigen Jahren dank all der Widrigkeiten, die ihnen im Pflegealltag begegneten, komplett ausgebrannt und desillusioniert. Nur den Wenigsten gelang es, sich in einem harten täglichen Kampf mit sich selbst und den unzähligen Vorschriften ein Stück ihrer anfänglichen Naivität und übersprühenden Lebensfreude über die mühevollen und von Rückschlägen und Anfechtungen aus allen Richtungen geprägten Jahrzehnte ihrer Tätigkeit hinweg zu bewahren. Diese Wenigen aber sind die wahren Helden der Pflege'. Nachdenklich drückte er den Knopf neben dem Lift, worauf sich dieser auch sogleich vom Keller her - deutlich hörbar - in Bewegung setzte. Bedächtigen Schrittes begab sich der gute Charles, um sich die Wartezeit bis zum Eintreffen des Fahrstuhls zu verkürzen, derweil noch einmal selbst zum nahegelegenen Dienstzimmer, wo er - in der Tür stehenbleibend - der dort immer noch mit ihren Medikamenten beschäftigten Schwester Ruth kleinlaut und voller Schuldbewußtsein vermeldete: "Maam, ich muß Ihnen leider mitteilen, daß der von mir ausgeliehene Unterteller durch ein bedauerliches Mißgeschick meinerseits kaputtgegangen ist. Ich werde ihn, wenn es recht ist, sogleich in vollem Umfang ersetzen. Ob wohl 10 Pfund für die Kaffeekasse des Wohnbereichs als angemessene Entschädigung ausreichen?!". Die angesprochene Fachkraft drehte sich - soweit es ihr Bauchumfang und die Enge des Raumes zuließen - mürrisch blickend zu ihm um und krächzte: "Na ausnahmsweise, aber nächstes Mal passen Sie gefälligst besser auf, wenn Sie mit Ihnen nur leihweise anvertrauten Dingen herumhantieren!". Damit entriß sie mit ihren voluminösen Finger Charles Wannabes Hand eine von ihm eilends aus seiner Jackentasche hervorgezogene Zehnpfundnote und verstauten sie in der üppig untersetzten Brusttasche ihres Schwesternkittels, um sich anschließend wieder voll und ganz ihren Pillen zuzuwenden. In ihrem Rücken aber erspähte der schon wieder im Gehen begriffene Privatdetektiv eine kreidebleich regungslos dasitzende Yelena, die mit großen entsetzten Augen direkt durch ihn hindurchzustarren schien. Sichtlich besorgt drang Charles zwischen Oberschwester Ruth und dem an der entgegengesetzten Wand aufgestellten Medikamentenwagen hindurch zu der Svenssongattin vor und berührte daraufhin sanft deren Schultern. Wie vom Blitz getroffen, durchzuckte es dabei die - in seinen Augen völlig verstörte und geistig total abwesende Yelena, die fortan leise stammelnd und unter Tränen in schauriger Monotonie immer wieder die gleichen beiden Sätze wiederholte: "Oh, wie ich das nur sollen erklären mein Luki? Bosche moij, mein liebes Gott, gutes Freund Jack sein tot!" ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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sven1421

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11

Samstag, 15. September 2012, 15:28

INSPEKTOR SVENSSON: ABSCHIEDSVORSTELLUNG

"Die Zeiten ändern sich unentwegt. Was mir eben noch vertraut und bekannt erschien, ist mir plötzlich völlig fremd. Namen und Worte sind Schall und Rauch. Längst vergangen Gedachtes wird mit einem Male wieder brandaktuell. Und eine unglaubliche Bedrohung schwebt einmal mehr über meinem Leben und dem eines von mir geliebten Menschen. Ich bin Inspektor Lukas Svensson, und was nun begonnen hat, sind die unwiderruflich letzten Tage meines Lebens".

DIE FOLGENDE EPISODE IST GEWIDMET DEM UNAUSLÖSCHLICHEN ANDENKEN AN
MARY JANE KELLY UND AN DIE ANDEREN OPFER DES RITUALMÖRDERS VON WHITECHAPEL IM JAHRE 1888!

EPISODE 11: Warte, warte nur ein Weilchen

Aufgeregt machte sich am darauffolgenden Tag nach dem obligatorischen Mittagsschlaf Lukas Svensson in seinem Zimmer auf der Bettkante sitzend mit zittrigen Fingern am obersten Knopf seines strahlendweißen Oberhemds zu schaffen. Mühsam versuchte er dabei immer wieder, Knopf und Knopfloch zu vereinen, bis es ihm schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit auch gelang. Völlig außer Puste und dennoch sichtlich zufrieden schaute er anschließend an sich herab, wo ihm nun alle 6 Metallknöpfe der langen Knopfleiste ordentlich geschlossen in Reih und Glied entgegenblitzten. Ein gewisser Stolz beschlich ihn, diese nicht ganz leichte Aufgabe allein gemeistert zu haben, ganz ohne fremde Hilfe. Nicht einmal seine Yelena, mit der er sich sonst in solchen Situationen die mühevolle Arbeit an der Knopfleiste zu teilen pflegte, hatte ihm diesmal geholfen. Ja, mehr noch! Sie hatte ihn - als er mit dem Zuknöpfen begann - noch nicht einmal gefragt, ob er dafür ihre Hilfe benötigte. Stattdessen war sie wortlos im Bad verschwunden, wo sie nun schon seit einer Viertelstunde weilte. Irgendwie wirkte sie eh schon den ganzen Tag seit dem Aufwachen merkwürdig verändert, ja fast abwesend. Eigentlich sogar schon seit dem Nachmittag des Vortages, nur daß sich Lukas daran nicht mehr zu erinnern vermochte - hatte doch die letzte Nacht einmal mehr bei ihm viele der Erinnerungen an das Geschehen vom vergangenen Tag verschwinden lassen. Voller Besorgnis zerbrach sich Svensson den Kopf, was seine Frau wohl derart intensiv beschäftigen mochte. Er hatte sie seit dem Morgen sogar schon mehrfach darauf angesprochen, aber sie hatte auf sein Nachfragen entweder gar nicht reagiert oder aber ausweichend. Vor ihrem Verschwinden im Bad hatte sie beispielsweise gemeint, sie müsse sich ja noch einmal zurechtmachen, bevor der Besuch einträfe. Ach ja, richtig - der Besuch. Das war noch so eine mysteriöse Sache. Nicht daß seine Tochter Lisa Yelena und ihn seit dem Einzug im Heim nicht öfters besuchte, aber zum einen machte sie das meist spontan und ohne telefonische Vorankündigung und zum anderen tat sie dabei im Vorfeld selten so geheimnisvoll. Wie hatte sie sich gestern am Telefon noch gleich ausgedrückt?! Lukas versuchte sich krampfhaft, ihren genauen Wortlaut zu rekapitulieren - doch alles, woran er sich erinnern konnte, war, daß er sie sich irgendwo notiert hatte. Die zitternden Finger seiner linken Hand öffneten die Schublade seines Nachtisches und zogen einen kleinen Notizzettel mit einer Unmenge krakeliger Zeichen darauf hervor. Gleichzeitig griff seine rechte Hand nach der auf dem Nachttisch abgelegten Lesebrille, die er sich alsdann umständlich auf die Nase setzte. Ganz dicht hielt er sich nun die hervorgekramte Notiz vor die hochgradig linsenverstärkten Augen und las - laut vor sich her murmelnd: "Anruf meiner Tochter Lisa am Montag, dem 23.März des Jahres 2015 um 18 Uhr 25: Sie sagt, sie kommt am Dienstag, dem 24.März zum Fünf-Uhr-Tee, aber nicht allein, sondern in Bekleidung ... äh, nein, Begleitung ... um Yelena und mir, ihrem Vater, etwas Wichtiges zu mitzuteilen". Etwas Wichtiges also! Hatte es am Ende doch noch geklappt mit ihrer Bewerbung zum Studium am neu gegründeten Liverpooler John-Lennon-Musikkonservatorium. Aber wer war denn dann die angekündigte Begleitung?! Ihre Mutter, seine Exfrau Nina vielleicht?! In Gedanken nahm Svensson die Lesebrille wieder ab und legte sie - wie auch den Notizzettel - achtlos neben sich aufs Bett. Vorsichtig stützte er sich daraufhin mit beiden Handflächen auf der Bettkante ab und erhob sich langsam, woraufhin er schweren Schrittes zum angelehnten Fenster hinüberwankte, es aufstieß und - sich am Fensterrahmen abstützend - hinausschaute. Untem am Teich krochen - der Anziehungskraft der Erde folgend - kleine feine Tautropfen an den langen schmalen Blätter der weit aus dem kühlen Erdreich hervorragenden Schneeglöckchen herunter. Lukas, der vom sechsten Stock aus nach unten blinzelte, konnte sie freilich nicht erkennen - weder die winzigkleinen Tautropfen noch die weißgrünen Frühlingsboten, auf denen sie sich bedingt durch die hohe Luftfeuchte und den schwachen Sonnenschein gebildet hatte. Ohne Sehhilfe nahm er von jenem Naturschauspiel nur recht verschwommene Umrisse und Formen wahr, wodurch die - vor ihm ausgebreitete - Landschaft im Fensterrahmen in ihrer blühenden Pracht sich gleichsam in ein impressionistisches Meisterwerk verwandelte. Und mit diesem Umstand wandelte sich auch jene an sich negative Eigenschaft, im Alter immer schlechter sehen zu können, in etwas angenehm Positives. Statt sich von unwichtigen Nebensächlichkeiten ablenken zu lassen und sich über jeden Fussel und jedes lose Fädchen an der Hose, jede neue Falte im Gesicht und jedes Staubkorn auf dem Boden aufregen zu müssen, bekam er hiermit nunmehr den Blick für die Gesamtheit der Schöpfung und dadurch für das große Ganze. Die Welt um ihn herum verlor all ihre Schärfe und Kantigkeit und gewann stattdessen zugleich an wohltuender Weichheit. Ausgiebig ein- und ausatmend genoß Lukas in vollen Zügen die neugewonnene Sichtweise, als er in seinem Rücken ein leises Klopfen an der Zimmertür vernahm.

Svensson, der sich daraufhin langsam umdrehte und zum Bett zurücklief, blieb nach dem instinktiv dahingestammelten "Herein!" gerade noch genug Zeit, um sein Oberhemd ordentlich in die Hose zu stecken und glattzustreichen. Dann wurde auch schon mit voller Wucht die Tür aufgestoßen und eine wunderschöne, junge Frau mir schulterlangen, blonden Haaren stürzte auf Lukas zu und warf ihre Arme um seinen Hals, wozu sie freudestrahlend ausrief: "Daddy! Wie schön, Dich zu sehen! Vor allem, Dich so wohlauf zu sehen, schließlich dachte ich schon, Du wärst am Boden zerstört, wenn Du erfahren würdest, daß ...". Weiter kam Lisa Svensson nicht, denn im Hintergrund war inzwischen die Badtür aufgesprungen und aus dem Türrrahmen fiel ihr die dortstehende Yelena ins Wort: "Auch, Du sicher meinen, er nur schwer werden verkraften, daß gefohen sein böses Verbrecher mit Namen Cypher". Lisa wollte auf diese Aussage Yelenas zwar scheinbar noch etwas erwidern, aber ein durchdringender Blick aus Yelenas plötzlich zu kleinen Schlitzen zusammengekniffenen Augen, brachte sie zum Schweigen. Stattdessen starrte sie die neue Frau ihres Vaters fragend an. Yelena Svensson aber entlockte ihrem eben noch fast versteinert wirkenden Gesicht ein Lächeln, wozu sie Lisas Hand ergriff und eingehend zu schütteln begann: "Schön, daß Du sein gekommen zu Besuch zu uns. Was Du davon halten, wenn wir zwei Frauen jetzt rasch aus Teeküche noch holen ein wenig Tee und Backwaren für uns allen Drei!". Und während Lisa sie noch immer völlig sprachlos anstierte, drang aus dem Türrahmen der immer noch weit offenstehenden Zimmertür eine rauhe Baßstimme an die Ohren der versammelten Svenssons: "Tolle Idee, Muchachos! Nur das es heißen muß, Tee und Gebäck für uns alle Vier!". Die Svenssonfrauen verdrehten fast gleichzeitig ihre Köpfe in Richtung Tür, und auch Lukas machte einen langen Hals, um an den beiden Damen vorbei einen Blick auf den Urheber jenes kühnen Zwischenrufs zu erhaschen. Was den Dreien da in voller Größe entgegengrinste, war ein stattlicher Mann in Flanellhemd und Jeanshose, einen Gürtel mit großer Cowboyschnalle um die breiten Hüften, wildlederne Westernboots an den Füßen und einen schwarzen Cowboyhut tief ins Gesicht gezogen. Unter der Hutkrempe aber tönte es sogleich kaugummikauend: "Die junge Lady und ihr Daddy kennen mich ja bereits, aber der Dame mit dem bezaubernden Wildost-Akzent sollte ich mich vielleicht noch einmal vorstellen!". Mit diesen Worten stiefelte der etwa vierzigjährige Mann mit seinem stoppligen Dreitagebart schnurstracks lässig auf die Svenssongattin zu, ergriff ihre Hand und hauchte ihr - eh sie noch wußte, wie ihr geschah - einen zarten Kuß auf den Handrücken, wozu seine rauhe Stimme leise flüsterte: "Gestatten, Gnädigste! John Wayne, mein Name. Ein echter Klassiker des Westens, das müssen sie zugeben. In meinem Fall folgt jenem allerdings noch ein weiterer Name, nämlich Powerich!". An dieser Stelle meldete sich nun Lisa Svensson lächelnd zu Wort: "Ja, und die Betonung liegt dabei eindeutig auf dem Wörtchen 'noch', mein Lieber!". Sie versetzte dem Mannsbild mit dem Cowboyhut dabei einen sanften Buff in die Rippen, wobei der Westernheld sich alle Mühe gab, keine Miene zu verziehen. Stattdessen griff er sich stilecht an die Hutkrempe und raunte: "So, und nun sollten die Ladies sich mal um den Proviant kümmern, während wir Männer ein wenig miteinander plaudern, okay?!". Als Antwort zog ihm Lisa Svensson lachend den Hut nun vollends ins Gesicht und erwiderte kopfschüttelnd: "Elendiger Macho!". Dann hakte sie sich bei Yelena unter, und beide Frauen begaben sich bedächtigen Schrittes auf den Flur, wo sie - während der kurzzeitig sehbehinderte Cowboy hinter ihnen immer noch mühsam seinen Hut zu richten versuchte - hinter sich die Zimmertür schlossen und in Richtung Teeküche enteilten.

Während die beiden Svenssonfrauen so Arm in Arm über den Flur liefen, meinte Lisa zu Yelena: "Also jetzt, wo wir unter uns sind - Sag mal, Tante Lena, was sollte denn das da eben, als Du mir im Gespräch mit Daddy quasi über den Mund gefahren bist?". Yelena senkte ihren Kopf und murmelte leise: "Ich nicht gekonnt anders! Du Luki fast hättest angesprochen auf etwas, was er noch gar nicht wissen". Lisa blieb erschrocken stehen: "Du meinst, Du hast ihm noch gar nicht gesagt, was seinem Freund Jack zugestoßen ist?! Und das, obwohl es doch schon in ganz London und Umgebung längst Thema Nummer 1 ist?! Die Zeitungen und die Nachrichten berichten ja seit dem Bekanntwerden jenes grauenvollen Verbrechens kaum noch über irgendetwas anderes! Meine Güte, Yelena, Du mußt es ihm sagen, und zwar so schnell wie möglich! Was meinst Du, wie er es aufnimmt, wenn er es durch Zufall von jemand anders erfährt? Du kannst ihm doch die Wahrheit nicht einfach verheimlichen!". Voller Entrüstung stemmte Yelena die Handflächen ihrer angewinkelten Arme in die Hüften: "Du mir wollen etwas sagenwollen von Wahrheit und nix heimlich tun vor Lukas?! Geraden Du, Lisa?! Oder Du ihm haben schon erzählt, daß Du seit geraumes Zeit gar nicht mehr wollen studieren Musik und daß Du nach heimliches Studium von ganz anderes Fach längst gesucht und gefunden neues Arbeit?! Wann Du ihm wollen dieses Wahrheit sagen?!". Nun war es Lisa, die betroffen ihr Haupt senkte und recht kleinlaut erwiderte: "Du hast ja recht, Tante Lena! Wer im Glashaus sitzt, sollte wohl nicht mit Steinen werfen. Aber okay ist es trotzdem nicht, Daddy etwas so Wichtiges zu verheimlichen - von Dir ebensowenig wie von mir! Zumal Du noch nicht einmal alles weißt. Dank meinem neuen Job, bin genau ich es nämlich jetzt, der den Fall von Jack ab morgen mit auf dem Tisch hat. Aber das ist jetzt wirklich top secret! Noch nicht einmal mein Johnboy weiß davon! Also psst!". Eindringlich legte die Svenssontochter ihren ausgestreckten Zeigefinger über ihre sich eng zusammenpressenden Lippen und schaute dabei Yelena erwartungsvoll in die Augen. Die aber bekräftigte ihren Willen zur Verschwiegenheit einfach mit einem deutlichen Nicken ihres Kopfes, wobei sie nach einem kurzen Moment der Stille sogleich lächelnd hinzufügte: "Nun Du aber endlich packen Dein Karten auf Tisch! Dieses charmantes Cowboy Du jetzt also schon nennen Dein und Johnboy?! Dann es wohl inzwischen sein etwas ziemlich Ernsthaftes?!". Lisa nickte ihr zu: "Ja, er hat mir neulich abend nach dem Linedance in der österreichischen Westernkneipe 'Wolfgang's Vier-Eck', wo einst seine Mutter Theresa alias Resi als Bedienung gejobbt hat und von wo sie sein Vater Hondo nach Dienstschluß immer mit seinem Traktor abgeholt hat, vor versammelter Mannschaft einen Heiratsantrag gemacht. Einen Heiratsantrag mit allem Drum und Dran ... Kniefall, Rosen und Verlobungsring. Okay, okay, letzterer war aus dem Bubblegum-Automaten und trug statt einem Edelstein in seiner Mitte eine kleine My-Little-Pony-Figur. Aber es war trotzdem alles so unheimlich romantisch, das ich prompt Ja gesagt hab. Naja, zugegeben, ich habe an mein Ja-Wort noch eine kleine Bedingung drangeknüpft. Mein kleiner Macho müßte nämlich mirzuliebe seinen Nachnamen opfern. Nun ja, und für diese letzte Entscheidung hat er sich bei mir noch etwas Bedenkzeit auserbeten! Aber kein Problem, liebes Lenchen, die kann er haben. Am Ende entscheidet er sich ganz bestimmt für mich und meinen Namen, Du wirst sehen!". Der letzte Satz klang dabei in den Ohren Yelenas - bei der sich Lisa nun rasch wieder unterhakte - ein wenig so, als wolle die Svenssontochter damit mehr ihre eigene Unsicherheit vertreiben als die berechtigten Zweifel bei ihr, der neuen Frau an der Seite von Lisas Vater. Und während Lisa und Yelena Svensson nun ihren unterbrochenen Gang zur Teeküche fortsetzten, sprach die Svenssongattin beruhigend: "Du da ganz sicher haben recht! Und darum wir jetzt uns machen kein Sorgen mehr um unseres beides Männer und lieber in alles Ruhe zusammen - wie Sprichwort sagen - warten ab und trinken Tee!".

Derweil die Frauen in der Teeküche auf einem Tablett alles für die bevorstehende Teetime besorgten, hatten Lukas und John Wayne einander gegenübersitzend am Holztisch inmitten des Zimmers platzgenommen und begonnen, sich miteinander zu unterhalten. Ging es dabei zunächst um harmlose Themen wie Wetter und Fußball, schnitt Lukas mit einem Mal ohne Umschweife ein recht heißes Eisen an, indem er nachfragte: "Sagen Sie mal, Powerich, was meinte denn meine Tochter vorhin damit, daß die Betonung bei der Nennung ihres Nachnamens auf dem Wörtchen 'noch' läge?". Ein wenig verlegen kratzte sich John Wayne an seiner Stirn, wobei er den Cowboyhut endlich einmal auf seiner Stirn nach oben bewegte, so daß darunter seine großen ozeanblauen Knopfaugen zum Vorschein kamen. Dabei stammelte er verunsichert: "Sir, also meine ... äh, Ihre Lisa ... Ihre Tochter und ... und ich, wir wollen ... natürlich nur, wenn Sie nichts dagegenhaben. Also dann ... dann würde ich .. ich Sie gern um ihre Hand anhalten!". Svensson gefiel die plötzliche Unsicherheit des sonst stets so fest verwurzelt und nicht zu erschüttern auftretenden jungen Mannes, und so gedachte er, ihn noch ein wenig nervöser zu machen, indem er echauffiert mit gespielt ernster Miene ausrief: "Sie wollen mich um meine Hand anhalten! Also mein lieber Freund! Zu einen teile ich Ihre Neigung nicht, und zum anderen bin ich glücklich verheiratet!". Schweißperlen bildeten sich auf Powerichs Stirn, wozu er verzweifelt zu stottern begann: "Aber Sir, das ... das ist ein ganz ... ganz dämliches Miß ... Mißverständnis! Ich will doch nicht Ihre Hand, sondern ihre! ... Also die von ... von Lisa!". Innerlich grinste Lukas, doch äußerlich blieb er hart: "Wie jetzt?! Nur die Hand?! Wollen Sie ihr die etwas abtrennen?! Sind Sie gar so ein Perverser?!". Powerichs Stirn war inzwischen schweißnaß, sein Mund hingegen völlig ausgetrocknet. Svensson beschloß, daß er ihn lang genug gequält hatte und verkündete grinsend: "Beruhigen Sie sich wieder, mein Freund! War doch alles nur ein Scherz! Ich hoffe, Sie gönnen einem alten Vater wie mir den kleinen Spaß auf Ihre Kosten?! Und was Ihren verunglückten Antrag angeht: Wenn mein kleines Mädchen Ja sagt, dann tu ich es selbstverständlich auch!". John Wayne war sichtlich erleichtert über diese Wendung zum Guten. Er zog ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und tupfte sich damit rasch die Stirn trocken. Lukas aber schob ihm von der Tischmitte her ein sauberes, leeres Glas nebst einer Glaskanne mit kühlen Eistee entgegen. Ein Ausdruck tiefster Dankbarkeit zog in Powerichs Gesicht ein. Und mit noch immer leicht zittriger Hand goß sich der selbsternannte Großstadtcowboy das bereitgestellte Glas voll und leerte es in einem Schluck. Er wischte sich die feuchten Lippen mit dem behaarten Handrücken trocken und sprach nun wieder mit deutlich fester Stimme: "Danke für Ihr Einverständnis, Sir! Doch wissen Sie, das Ganze hat noch einen klitzekleinen Haken. Lisa besteht nämlich darauf, daß ich meinen Namen ablegen und den Ihren annehme!". Svensson schüttelte den Kopf: "Das sieht Ihr mal wieder ähnlich! Ihre Mutter hat sie so erzogen, wissen Sie! Und auch den Dickkopf, um soetwas durchzusetzen, hat sie zweifellos von meiner Ex! Beste emanzipatorische Erbmasse sozusagen! Dagegen hatte ich seinerzeit bei Lisas Mutter schon keine Chance! Und wenn Sie mich fragen: Sie haben auch keine! Wenn Sie Lisa wirklich wollen, dann müssen Sie Ihrer großen Liebe zuliebe wohl oder übel Ihren Namen opfern!". John Wayne nickte nachdenklich. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und verkündete: "Also gut, ich tu's! Das ist mir meine Lisa wert!". Freudig packte Svensson die Hand des in diesem Moment über beide Ohren strahlenden Cowboys und flüsterte: "Ich glaube, das hier ist der Beginn einer langen Freundschaft!". Nun zog sich auch Lukas ein leeres Glas aus der Tischmitte heran. Powerich aber ergriff die Glaskanne und goß damit Eistee in beide Gläser ein. Dann packten er und Svensson je eines der befüllten Glasgefäße. Sie stießen sie klirrend aneinander, prosteten sich augenzwinkernd zu und nahmen je einen kräftigen Schluck. Und noch während sich beide Männer mit ihren Handrücken die klebrigen Überreste des kühlen Teegenußes von den Lippen wischten, begann Powerich leise: "Lukas, äh ich meine Mister Svensson, Sir?!". Lukas aber winkte schmunzelnd ab: "Ich denke, wir bleiben gleich bei Lukas und John Wayne. Schließlich sind wir in Kürze ja eh verwandt!". Der Mann mit dem Cowboyhut nickte begeistert und hub dann von neuem an: "Also gut, Lukas! Ich hab da ein Problem, unsere Arbeit betreffend!". Der Exinspektor sah in fragend an: "Und damit wenden Sie sich ausgerechnet an mich?! Sehen Sie mich an! Ich bin schon seit langem Pensionär, wohne im Heim und habe womöglich schon vergessen, wer Sie sind und worüber wir uns unterhalten haben, sobald Sie wieder gegangen sind. Was kann ich Ihnen denn da noch nützen?!". Powerich aber beugte sich zu Svensson herüber und sah ihm tief in die Augen, wozu er sprach: "Sie, Lukas, sind schon jetzt eine lebende Legende. Von dem Reichtum Ihrer Erfahrung profitieren zu können, wäre für mich ein echtes Privileg!". Diese Worte rührten den Exkriminalisten zu Tränen. Und leise schluchzend beugte auch er sich noch ein wenig weiter zu Powerich herüber und raunte: "Vielen Dank für Ihre Worte! Also gut, mein Sohn, wie kann ich Ihnen helfen?".

Powerich dachte kurz nach, dann sagte er: "Ich hab da gestern als Zusammenarbeit mit dem Yard in meiner Funktion als stellvertretender CI7-Boß einen neuen Fall übertragen bekommen. Einen schrecklichen Fall, kann ich Ihnen sagen! Einen, der einem aufgrund seiner sinnlosen Brutalität ganz schön an die Nieren geht - selbst einem im Grunde genommen so hartgesottenen Burschen wie mir. Vielleicht haben Sie davon ja schon in den Nachrichten gehört oder in der Zeitung gelesen?!". Svensson schüttelte den Kopf: "Bedaure, nicht daß ich wüßte! Fernseher und Radio waren heute die ganze Zeit aus, da meine Frau seit dem Aufstehen über leichte Migräne klagte. Und nach dem Kauf der Tageszeitung ist Yelena ein kleines Mißgeschick mit unserer warmen Frühstücksmilch passiert, wodurch die Titelseite und der Hauptteil leider verklebten und unbrauchbar wurden". John Wayne nickte mitleidig: "Nun ja, dann also ganz von vorn! Vorgestern, am Sonntag Judica - auch 'Schwarzer Sonntag' genannt - wurde in den frühen Morgenstunden in einer Seitengasse im Hinterhof einer kleinen Spelunke mit dem Namen 'Mary Jane's End' in der Dorset Street Nummer 26 im Londoner Stadteil Whitechapel der grausam entstellte Leichnam eines älteren Mannes aufgefunden. Laut ersten Notizen vom Tatort, die ich gestern per Email zugeschickt bekam, ist dem 50jährigen, bis auf seine Unterhose komplett entblößten Opfer in Höhe der Kehle vermutlich mit einem großen, scharfen Messer nahezu der komplette Hals samt Halsschlagader und Luftröhre bis hin auf die Rückenwirbel durchtrennt worden, was auch die Todesursache darstellt. Das Gewebe des Halses wurde um den Knochen herum vollständig abgetrennt. Unterhalb des übriggebliebenen Halsknochens erstreckte sich auf dem Zementboden eine großflächige, zum Zeitpunkt des Auffindens der Leiche bereits angetrocknete Blutlache. Rund um den Leichnam herum fanden sich überall zahllose Blutspritzer. Der Kopf des Toten war nach links gedreht. Sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit in alle Richtungen zerschnitten worden. Die blassen Lippen waren mehrfach tief eingeschnitten. Ohren, Nase, Lippen, Wangen und Augenbrauen wurden vom Täter fast vollständig abgeschnitten und entfernt. Der linke Arm war durch mehrere Wunden in Zickzackform verstümmelt an den Körper angelegt, der rechte gleichermaßen zugerichtet leicht vom Körper weg abgespreizt - die Finger an beiden von Hautabschürfungen geradezu übersäten Händen hatten sich verkrampft. Die Beine, deren obere Hautschicht komplett entfernt worden war, waren unnatürlich weit nach außen gespreizt und angewinkelt. Das männliche Geschlechtsteil wurde komplett mit einem einzigen Schnitt vom restlichen Körper abgetrennt und später in Tatortnähe in einer Abfalltonne gefunden. Haut und Gewebe des Unterleibs wurden in mehrere großen Hautlappen zerschnitten und anschließend entfernt. Brustwand und Bauchwand wurden zwischen den Rippen durchtrennt, wodurch der gesamte Brustinhalt sichtbar war. Der Bauchhöhle wurden sämtliche innere Organe entnommen, die größtenteils in alle Himmelsrichtungen verstreut neben dem Opfer aufgefunden wurden. Lediglich das aus dem von unten geöffneten Herzbeutel entnommene Herz fehlte". Sichtlich erblaßt und angewidert schaute Powerich am Ende seiner ekelerregenden Beschreibung des Leichenfundes zu Svensson herüber, dem ebenfalls die Farbe aus dem faltenreichen Gesicht gewichen war und fragte: "Wer zum Teufel tut so etwas? Das ist doch nicht die Tat eines menschlichen Wesens, das ist in meinen Augen vielmehr das wilde Wüten einer gefühllosen Bestie". Nickend stimmte ihm der Exinspektor zu, wobei er zugleich einwarf: "Und dennoch ist auch dieses grausame Verbrechen wohl von einem Menschen an einem Menschen begangen worden, so unglaublich das auch klingen mag. Weißt Du, mein Sohn, das Verbrechen an sich ist durchaus keine Ausnahmeerscheinung, das Verbrechen fortwährend immerdar. Solange es Menschen gibt, existiert es und wird auch weiterhin existieren. Dabei unterscheide ich persönlich zwei Gruppen von Verbrechen. Merkmal der ersten Gruppe ist, daß es begangen wird an den Schwachen. Merkmal der zweiten Gruppe ist, daß es begangen wird von den Schwachen. Wenn Du also eine Erklärung suchst für jenes wie auch für jedes andere Verbrechen, dann suche sie am besten in den tiefsten Abgründen Deiner eigenen Seele. Da wirst Du sicher ein Echo finden. Und diesem konsequent Echo folgend, wirst Du letzten Endes auch den Täter ergreifen können. Und genau das ist es, worum es in unserem Beruf geht: Den Tätern das Handwerk zu legen und damit das Verbrechen zu bekämpfen. Als Kriminalisten ist das unsere allererste Pflicht!". Dankbar reichte Powerich Svensson die Hand: "Lukas, Sie haben mir sehr geholfen! Ich sehe meine Arbeit wie auch den aktuellen Fall jetzt in einem ganz neuen Licht! Und ich werde alles daran setzten, den Mörder zu stellen und ihm ein für allemal das schreckliche Handwerk zu legen". Lukas nickte zufrieden, wobei er gleichzeitig nachfragte: "Wissen Sie, mein Lieber, woran mich die grausame Schilderung jenes Leichenfunds eben die ganze Zeit erinnert hat?". Powerich schüttelte mehrmals seinen wohlbehüteten Kopf hin und her, während Svensson schon völlig gedankenversunken fortfuhr: "An ein altes deutsches Lied über den Metzger Fritz Haarmann, der als geistesgestörter Serienmörder im Hannover der zwanziger Jahre des 20.Jahrhunderts sein Unwesen trieb. Wir haben das Lied damals als Kinder oft beim Spielen in den Trümmern Berlins gesungen. Moment mal ... ich habs gleich ... Ich glaube ... Ja richtig, das ging so: 'In Hannover an der Leine, Rote Reihe Nummer 8, wohnt der Massenmörder Haarmann, der schon manchen umgebracht. Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu Dir! Mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Schabefleisch aus Dir! Aus den Augen macht er Sülze, aus dem Hintern macht er Speck, aus den Därmen macht er Würste, und den Rest, den schmeißt er weg'". Powerich kratzte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger an der halbkahlen Stirn und entgegnete: "Ja, da gibt es durchaus Parallelen. Aber ebenso auch zu den Taten eines berüchtigten englischen Serienkillers aus der Vergangenheit. Vielleicht nennt die Presse unseren derzeitigen Täter ja auch 'The Jack Ripper' und nicht nur, weil der Vorname des inzwischen anhand der Fingerabdrücke identifizierten Opfers Jack ist - Jack Holmes, um genauer zu sein, Besitzer einer Autowerkstatt und ehemals einschlägig bekannter Falschspieler in den Unterweltkreisen Londons".

Wieder wurde Lukas Svensson blaß, diesmal noch blasser als zuvor. Er sackte auf seinem Stuhl förmlich in sich zusammen, während seine blassen Lippen unentwegt stammelten: "Oh mein Gott! Nicht doch Jack!". Powerich sprang mit einem Satz von seinem Stuhl hoch, und seine Arme griffen geistesgegenwärtig unter die Achselhöhlen seines zusammensinkenden Gegenüber. Dabei fragte er ängstlich: "Lukas, was ist mit Ihnen?! So reden Sie doch! Was haben Sie denn? Kannten Sie diesen Jack?". Kaum merklich nickte der kreidebleiche Exinspektor und flüsterte leise: "Ja, er war ein Freund! Ein guter Freund ...". Dann aber wurde es mit einem Male dunkel um ihn ...

Nur unter größten Mühen gelang es Lukas Svensson nach einer gefühlten Ewigkeit, seine Augen wieder zu öffnen, wobei er wie durch einen Schleier hindurch das aufgeregte Tuscheln mehrerer Stimmen um sich herum registrierte. Eine weibliche Stimme, die er allein schon aufgrund ihres wundervollen russischen Akzents sofort seiner Gattin zuzuordnen vermochte, erkundigte sich: "Liebes Herr Doktor, Sie mir bitte sagen, ob es jetzt stehen sehr schlimm um mein Mann?!". Eine tiefere männliche Stimme, die in Lukas' Ohren wie die jenes Arztes klang, der vor einigen Tagen mit ihm einen Wissenstest durchgeführt hatte, antwortete ihr hierauf: "Soweit ich das nach meiner Untersuchung hier beurteilen kann, hatte Mister Svensson infolge immenser Streßeinwirkung einen kurzzeitigen Kreislaufkollaps. Das ist weder schlimm noch ungewöhnlich. Es ist vielmehr die übliche Art, mit der ein menschlicher Organismus zum purem Eigenschutz auf eine plötzliche psychische Belastung reagiert, den er in seinem momentanen Zustand einfach nicht zu verarbeiten vermag. Der Körper fährt seinen Kreislauf sozusagen herunter und startet ihn dann neu, wie es ein Computer mit seinem Betriebssystem zu tun pflegt, wenn ein schwerwiegender Fehler auftritt. Unklar ist allerdings noch, ob unser Patient durch dieses spontane Ereignis, was seine Demez angeht, einen weiteren Schub erlitten hat. Das kann ich erst mit Bestimmtheit sagen, wenn Mister Svensson wieder wach ist. Ich hab ihm auf alle Fälle erst einmal ein leichtes Beruhigungsmittel gespritzt. Was ihm in nächster Zeit gut tun würde, ist etwas mehr Ruhe!". Aus dem Hintergrund ertönte nun die rauhe Stimme eines weiteren Mannes: "Ich glaube, das ist jetzt unser Stichwort! Doc, Maam, wir verabschieden uns dann mal! Lisa hat heute abend noch einen wichtigen Termin, und ich muß wieder zurück an meinen Schreibtisch. Es gilt schließlich, ein Verbrechen aufzuklären. Und das duldet leider keinen Aufschub! So long!". Aus selber Richtung aber ergänzte eine junge, weibliche Stimme, die zweifellos Svenssons Tochter Lisa gehörte: "Auf Wiedersehen, Herr Doktor! Danke für Ihr schnelles Erscheinen nach unserem Anruf!". Ein paar Schritte von hochhackigen Schuhen kamen daraufhin deutlich näher, und das leise Schmatzen eines zarten Kusses drang an Lukas' Ohr, wozu die nun vom Bettende her kommende Stimme Lisas leise hauchte: "Tschüß, Tante Lena! Bestell Daddy bitte noch einmal ganz liebe Grüße von Johnnyboy und mir! Und gib Du ihm doch bitte unser kleines Mitbringsel, daß ich ihm da auf seinen Nachttisch gestellt hab". Einen Moment lang war es still im Raum. Dann entfernten sich die Schritte der hochhackigen Schuhe langsam wieder, und es gesellten sich dabei kurz darauf noch ein paar weitere, recht dumpfe Cowboystiefelschritte hinzu. Die Zimmertür öffnete und schloß sich leise knarrend, dann kehrte erneut einen Moment lang Stille ein. Eine Stille, die schließlich erst die Stimme des herbeigerufenen Mediziners wieder unterbrach: "Ich hoffe, ich habe die Zwei jetzt nicht vertrieben?! Das würde mir dann natürlich leidtun. Aber nach so einem Zusammenbruch ist nunmal Ruhe vonnöten. Ruhe, Entspannung und frische Luft! Nun, wie ich gesehen habe, Misses Svensson, steht dort in der Ecke am Schrank ein zusammengeklappter Faltrollstuhl?! Wenn Sie Ihren Mann damit vielleicht nachher nach dem Aufwachen draußen ein wenig spazierenfahren könnten, Misses Svensson?!". Wieder meldete sich Yelenas aufgeregte Stimme zu Wort: "Ja, selbstverständlich ich das können! Ich alles tun, wenn nur mein Luki schnell wieder kommen auf Beinen! Bosche moij, das eh alles sein mein Schuld. Ich ihm hätten gleich sollen erzählen von schlimmes Nachricht, das ich erfahren über Jack Holmes gestern an Telefon durch sein Partner Luigi Rigatoni ...". Leise murmelnd meldete sich nun auch Lukas Svensson zu Wort: "Mein Gott, Yel! Du hast es schon gestern gewußt und mir verschwiegen?! Wie konntest Du so etwas nur tun?!". Bedrückende Stille herrschte mit einem Male im Raum, nur unterbrochen durch ein sich ständig abwechselndes leises Schluchzen aus den Kehlen beider Svenssoneheleute. Der immer noch mitanwesende Mediziner war es schließlich, der dieses betretene Schweigen nach mehreren Minuten brach, indem er Yelena recht energisch aufforderte: "Misses Svensson! Helfen Sie mir bitte mal, Ihren Mann aufzurichten, warm anzuziehen und in den Rollstuhl zu setzen. Und dann fahren Sie ihn eine große Runde um den schönen Teich hinterm Haus. Abschließend aber gönnen Sie sich Beide auf meine Kosten einen leckeren Eiscafe im Erdgeschoß". Das Knistern eines seinen Besitzer wechselnden Geldscheins war zu vernehmen, dann wurde der noch immer recht wacklige englische Patient Lukas Svensson mit einem Ruck und der Kraft von vier vereinten Händen erst einmal zum Sitzen gebracht und dann mit einem weiteren Rück in den in aller Eile entfalteten und ans Bett herangeschobenen Rollstuhl verfrachtet. Hier bekam er von seiner vor ihm knienden Frau rasch die Schuhe angezogen eine warme Wolldecke um die Beine gewickelt, während der Arzt in seinem Rücken recht mühselig die Arme in die langen Ärmel eines dicken schwarzen Anoraks stopfte. Nach dem Richten des Anoraks und dem Schließen des Reiverschlusses an dessen Vorderseite begab sich Yelena kurzerhand hinter den Rollstuhl und begann, ihn samt seinem Insassen in Richtung Zimmertür zu schieben. Der Doktor, der den Beiden vorangegangen war, öffnete ihnen die Tür und schloß sie anschließend hinter den Svenssons wieder, welche ihn noch über den langen Gang hinweg bis zum Fahrstuhl begleiteten, mit dem sie dann alle Drei gemeinsam wortlos ins Erdgeschoß fuhren. Am Haupteingang verabschiedete sich der Mediziner mit einem letzten, kurzen Händedruck von seinem Patienten und dessen Frau, wozu er mit Blick auf seine Uhr murmelte: "Oha, ich muß mich sputen! Da wartet noch eine Zwillingsgeburt auf mich!". Und während er hastigen Schrittes zu seinem unmittelbar vor der Tür geparkten Auto entschwand, schob Yelena ihren nun auf seltsame Weise gänzlich verstummten Lukas in Richtung des hinteren Ausgangs, den sie kurz darauf gemeinsam durchquerten, um eine ausgedehnten Spazierfahrt an der frischen Frühlingsluft zu unternehmen.

Während Yelena und Lukas dann eine gute Dreiviertelstunde später im Erdgeschoß im hauseigenen Cafepavillion "Paradise" des Pflegeheims saßen und schweigend ihren Eiscafe schlürften, trat unbemerkt von den Beiden ein älterer, vollbärtiger Herr von hinten an Lukas Svensson in seinem angebremsten Rollstuhl heran und tippte ihm auf die Schulter: "Mister Svensson?! Inspektor Svensson vom Scotland Yard?! Sie sind es doch, nicht wahr?!". Sichtlich überrascht dreht sich der Angetippte um und sah jenem ganz in Schwarz gekleideten Mann mit seinem schlohweißen Rauschebart tief in die funkelnden Augen, wozu er fragte: "Ja bitte, Sie wünschen?". Der Bärtige lächelte nur und meinte: "Dann erinnern Sie sich also gar nicht mehr an mich?!". Svenssons Schultern zuckten: "Nun ja, vielleicht! Also eigentlich nicht! Aber mit dem Erinnern ist das mit mir in letzter Zeit auch so eine Sache, wissen Sie?! Ich leide nämlich an Demenz. Wenn Sie mir also eventuell ein wenig auf die Sprünge helfen könnten?!". Der Fremde nickte: "Ach, wissen Sie, es ist ja auch schon lange her. Und ich hab mich gewiß in all den Jahren auch ziemlich verändert. Aber Sie, Sie habe ich gleich schon von weitem wiedererkannt. Sie haben sich gar nicht verändert, sind von Ihrer charismatischen Erscheinung her immernoch ganz der Alte. Freilich, als wir uns kennenlernten, da standen wir Zwei noch auf verschiedenen Seiten des Gesetzes. Was mich angeht, so kannte mich damals alle Welt nur unter meinem Pseudonym Rabbi Finkel, in Wirklichkeit aber hieß ich mit bürgerlichem Namen ...". Noch ehe er Gelegenheit hatte, seinen Satz zu vollenden, fiel im der Exinspektor ins Wort: "Stern! Aber natürlich! Der Emigrant David Stern, in Polizeikreisen auch 'Der Fälscher von London' genannt. Sie waren damals mein erster Fall und meine erste Festnahme beim Yard. An Ihnen war einfach alles falsch - der Titel Rabbi selbstverliehen, der Bart und die schwarze Lockenpracht angeklebt, das zerschlissene Rabbikostüm bei einem Londoner Pfandleiher für ein Pfund erstanden. Und wie sieht's heute mit Ihrer Echtheit aus?!". Schmunzelnd griff er bei diesen Worten dem hinter ihm stehenden Mann an den Bart und zog vorsichtig daran. Rasch ließ der so Attakierte ein leises "Autsch!" verlauten, um dann sogleich augenzwinkernd hinzuzufügen: "Nein, mein Lieber, inzwischen ist an mir fast alles echt. Und das verdanke ich nicht zuletzt auch Ihnen. Wer weiß, wohin ich angesichts meiner kleinen und größeren Gaunereien damals gekommen wäre, hätten Sie bei Ihren Vernehmungen seinerzeit nicht auch meine schwere Kindheit im Warschauer Ghetto genauer beleuchtet, wo Schwindeln, Fälschen und Stehlen einfach dazugehörte, wenn man überleben wollte. Vor Gericht fand diese Tatsache dann ebenfalls Berücksichtigung, und so kam es bei mir zu einer verhältnismäßig milden Haftstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten, von denen ich wegen guter Führung nur 18 Monate absitzen mußte. Welch ein Massel für mich!". Neugierig geworden hakte Svensson nach: "Und Sie sind anch Ihrer vorzeitigen Entlassung nie wieder straffällig geworden?". Eindringlich schleuderte der alte Mann auf seinen Schultern den Kopf hin und her: "Bin ich denn meschugge! Nein, ich war zwar immernoch ein ausgekochtes Schlitzohr, aber ich hab fortan meine kunstvolle Begabung des perfekten Nachahmens nur noch dazu benutzt, die berühmten Gemälde alter Meister ganz legal zu kopieren. Auch damit ließ sich auf ehrlichem Wege ganz ordentlich Rebbach machen. Und als nunmehr rechtschaffen gewordener Bürger hatte ich dabei auch bald eine Frau für mich gefunden, die ich ehelichte. Obwohl uns der Segen eines Kindes verwährt blieb, lebten wir dennoch all die Jahre lang glücklich und zufrieden. Doch dann starb meine Frau Sarah vor einem Jahr an Krebs. Und seither ging es auch mit meiner Gesundheit kontinuierlich bergab. Ich leide zunehmend an Schwindelanfällen. Am Ende kehrt damit der Schwindel also doch wieder zu dem altgewordenen Schwindler zurück - welch eine Ironie des Schicksals, nicht wahr?! Gegen einen Einzug in dieses Heim hab ich mich allerdings noch eine ganze Weile hartnäckig gesträubt. Schließlich befindet sich hier hinterm Teich ein wenig verborgen von jenem davorgelegenen bewaldeten Hügel mit dem wohlklingenden Namen Purgatory Hill ein Bestattungsinstitut namens 'Portaperlinferno' mit einem Krematorium samt großem Feuerofen in seinem Kellergewölbe. Und das erweckt bei mir als Jude, dessen ganze Familie bis auf mein Mamele und mich in Treblinka ihr Leben ließ, halt noch immer ein eigenartig ungutes Gefühl, wenn Sie verstehen?!". Lukas Svensson verstand und senkte traurig den Blick. Yelena, die dem intensiven Männergespräch bislang stillschweigend gelauscht hatte und nun die aufkommende Bedrücktheit in den Augen ihres leidgeprüften Mannes erkannte, bemühte sich nun um eine rasche Entspannung der Situation, indem sie den älteren Mann mit einer einladender Geste ansprach: "Bitte, Sie entschuldigen, daß ich mich noch gar nicht haben vorgestellt! Ich sein Misses Svensson und sehr erfreut zu machen Bekanntschaft von Sie, Mister Stern. Sie sich nicht wollen ein wenig setzen hier zu uns?!". Der Eingeladene trat sogleich einen Schritt auf die Svenssongattin zu, ergriff ihre ihm entgegengestreckte Hand und drückte ihr mit seinen spröden Lippen einen sanften Kuß auf, wozu er erwiderte: "Das würde ich liebend gern tun, aber zuerst möchte ich doch mein Zimmer auf dem Wohnbereich Fidelitas beziehen. Verzeihen Sie mir bitte diese kleine Unhöflichkeit, Teuerste!". Yelena aber sah ihn erstaunt an und erwiderte: "Fidelitas?! Aber das ja sein gleiches Etage wie bei uns?! Sie schon wissen, welches Nummer von Zimmer sie werden haben?". Der Rauschebart nickte: "Zimmer 6-1-3!". Nun war es Yelena, die traurig den Blick senkte: "Aha, ja! Das gewesen ehemaliges Zimmer von bettlägriges Mann in Endstadium von Demenz, welches ich noch gestern haben gesehen durch offenes Zimmertür, als ich über Flur sein gelaufen mit Besuch von mein Mann und mir. Das aber gegangen rasch. Armes Kerl erst geschlossen haben Augen zu Beginn von vergangenes Nacht. Und heute schon nächstes Mieter kommen!". Die Schultern David Sterns zuckten: "Tja, so spielt das Leben nunmal. Leider! Ich stand ja schon seit ein paar Monaten als Anwärter auf ein Zimmer hier auf der Warteliste und heute vormittag kam dann recht überraschend ein Anruf vom Asssitent der Einrichtungsleiterin Misses Smith. Aber jetzt entschuldigen Sie beide mich bitte, ich werde erst einmal in aller Ruhe mein Zimmer beziehen und mich dann ein wenig ausruhen. Der plötzliche Umzug war doch recht anstrengend, und man ist ja schließlich auch nicht mehr der Jüngste. Wenn Sie möchten, dann können Sie mich ja die nächsten Tage mal in meinem neuen Zuhause besuchen kommen, Lukas!". Mit einem kräftigen Händedruck für Lukas und einem erneuten sanften Handkuß für Yelena verabschiedete sich der vollbärtige Mann und schlurfte dann langsam vondannen - in der Hand einen großen Holzkoffer. Einen unheimlich alten Holzkoffer, auf dessen Rückseite auch nach all den Jahren, die er - seinem Besitzer gleich - inzwischen wohl schon auf dem Buckel zu haben schien, noch immer der gelbgraue Kreideumriß eines verblichenen Davidsterns zu sehen war.

Yelena Svensson ergriff in diesem Moment die zitternde rechte Hand ihres Mannes und flüsterte unter Tränen: "Ach Luki, Du mir doch bitte nix mehr sein böse jetzt! Leben doch einfach sein viel zu kurz für zwei Menschen, die lieben sich so wie Du und ich, um ewig zu schwiegen sich an gegenseitig. Es mir schließlich ja auch so sehr leidtun, daß ich nicht gleich Dir haben gesagt, als ich gestern erfahren von greuliches Verbrechen an Dein Freund Jack!". Lukas' linke Hand legte sich bei diesem Worten streichelnd über ihren Handrücken, wozu er voller Sanftheit erwiderte: "Ist schon gut, Liebes! Du hast ja recht! Ich weiß doch, daß Du es im Grunde genommen nur gut gemeint hast. Du glaubtest, Du müßtest mich vor dieser schrecklichen Wahrheit beschützen. Das aber ist leider nicht möglich, wie Du ja siehst! Du kannst den Tod nicht von mir fernhalten! Ich war zeitlebens von ihm umgeben - als meine Tante Minna bei unserer Flucht aus Ostpreußen an einer Lungenentzündung starb, beim tödlichen Autounfall meiner Eltern, beim sinnlosen Mord an meinem Onkel wie auch tagtäglich während meiner gesamten Tätigkeit als Polizist. Und nun, da ich zu allem Übel auch noch die unaufhaltsame Krankheit des Vergessens in mir trage, kommt der Tod meinem Gefühl nach nur mit umso schneller auf mich zu. Manchmal, wenn ich des Nachts wach werde und erst einmal gar nicht weiß, wo ich bin, lausche ich im Dunkeln dem Ticken unserer Wanduhr und glaube, im eintönigen Tack-Tack der Sekunden jene gewaltigen Schritte zu erkennen, mit denen Gevatter Tod nun auf mich zu macht. Und das ist ja wohl auch gar nicht so abwegig, wenn man bedenkt, wie eng hier auf Erden - gerade in göttlichen Maßstäben betrachtet - Leben und Tod zeitlich wie auch räumlich beeinander liegen. Du hast ja selbst gehört, was David Stern uns eben erzählt hat. Wie in dem frühen literarischen Meisterwerk 'Die Göttliche Kommödie' befinden sich selbst hier im Herzen Englands die Tür zum Himmel Heavensdoor und das Tor zur Hölle Porta per l'Inferno, lediglich durch einen kleinen Hügel namens Purgatory Hill als Berg der Läuterung getrennt, geradezu unheimlich dicht nebeneinander". Und während Yelena recht betreten durch einen Strohhalm im vor ihr stehenden Glas den Rest ihres Eiscafes ausschlürfte, ergänzte Lukas: "Na los, Yel, laß uns zurück auf unser Zimmer fahren. Zum einen bin ich ein wenig neugierig auf das Mitbringsel von Lisa, von dem ihr Zwei da noch während meiner geistigen Umnachtung gesprochen habt. Zum anderen möchte ich Luigi Rigatoni anrufen, um ihn zu bitten, uns Bescheid zu geben, sobald er weiß, wann Jacks Beisetzung stattfindet. Du begleitest mich doch dahin, oder?! Meinetwegen auch in diesem Rollwagen hier!". Yelena nickte, während sie sich langsam von ihrem Platz erhob. Sie zog daraufhin eine leicht zerknüllte Fünfpfundnote aus ihrer Mateltasche und legte sie auf den dafür bereitstehenden leeren Unterteller in der Tischmitte. Zur Beschwerung des schönen Scheins und gleichzeitig als Trinkgeld für die Servicekraft im Cafe legte sie dann noch ein ebenfalls aus der Mateltasche hervorgezaubertes Fünfzigpencestück obenauf und begab sich dann zügigen Schrittes hinter ihren Mann. Sie löste die Bremsen des Rollstuhls und schob ihn in Richtung Lift. Händchenhaltend fuhren die Eheleute Svensson nur wenige Momente später in der sie umgebenden Fahrstuhlkabine zum sechste Stockwerk auf, wo Yelena auf flinken Füßen Lukas samt seinem Gefährt zurück ins Zimmer rollte. Und während sie sich hier zunächst ihres Mantels zu entledigen begann, rollerte ihr Gatte - nun selbst auf beiden Seiten Hand an die großen Rollstuhlräder anlegend - im Schrittempo in Richtung ihres Nachttisches zum dort stehenden Telefon. Dabei begutachtete er unschlüssig die unzähligen Kurzwahltasten am unteren Ende des Apparats und fragte schließlich: "Du Yel, welcher Knopf ist nochmal der von Jack Holmes Werkstatt". In seinem Rücken am Kleiderschrank überlegte es kurz, dann vermeldete Yelena: "Zweites Reihe von oben, drittes Taste von links!". Lukas nahm den Hörer ab und betätigte vorsichtig den besagten schwarzen Knopf. Am anderen Ende ertönte ein kurzes Freizeichen, dann die Stimme eines mittelalten Italieners: "Si, Jacks 24! Rigatoni am Apparat! Wer spricht?". Lukas nannte dem Gesprächspartner seinen vollständigen Namen und sein Anliegen, worauf ihm sogleich die schluchzende Stimme Luigis entgegenschallte: "Dio mio, Signore Svensson! Das ist ja alles so schrecklich! Ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht! Diese feigen Schweine haben Jack am Samstagabend einfach in einen Hinterhalt gelockt. Es gab gegen 23 Uhr 45 einen Anruf. Die krächzende Stimme eines alten Mann behauptete, er sei mit seinem Mercedes im Londoner East End auf der Höhe der Dorset Street Numero 26 vor dem Lokal 'Mary Jane's End' liegengeblieben. Erst wollte Jack den Auftrag gar nicht annehmen, da es schon verdammt neblig war an jenem Abend, aber dann ließ er sich doch bequatschen. Ich selbst war schon auf dem Sprung, da mein Flieger in Richtung Bella Italia auf mich wartete, wo ich bei meinen Eltern den Sonntag verbringen wollte. Ich fragte Jack noch, ob ich ihn begleiten und dann erst am Sonntagmorgen fliegen sollte, aber er meinte nur, es gäbe ja keinen Grund, daß wir uns Beide nach einer arbeitsreichen Woche den Start ins wohlverdiente Wochenende versauen. So bin ich dann also geflogen. Und als ich Montagfrüh zurückkam, war Jack verschwunden. Dafür las ich in der Zeitung von dem grausamen Mord in jener Nacht vom Samstag auf den Sonntag und meldete mich sofort bei der Polizei, die mich auch gleich ins Leichenschauhaus zitierten. Porcha miseria, wie hat dieses Monster den armen Jack zugerichtet. Da gab es nichts mehr, was von seinem Gesicht übrig war. Und die wenigen Überreste seiner Haut hingen ihm überall in Fetzen vom arg zerschundenen und geschändeten Leib. Allein an seinen beiden markanten Tätowierungen auf den zerkratzten Handrücken konnte ich ihn zweifelsfrei identifizieren. Terribile, einfach schrecklich!". Lukas setzte sich bei dieser Schilderung ein dicker Kloß im Halse fest. Schweratmend keuchte er schließlich in den Telefonhörer: "Luigi, Yelena und ich würden unserem Freund jack gern das letzte Geleit geben. Könntest Du uns bitte informieren, wenn die Gerichtsmedizin ihn zur Bestattung freigegeben hat?!". Einen Moment lang herrschte Totenstille in der Leitung, dann meldete sich die überraschte Stimme des kleinen Italieners zurück: "Bestattung?! Ach ja, Sie können das ja nicht wissen! Es gibt gar keine Bestattung! Wir waren doch vor ein paar Monaten mit unserer Werkstatt knapp bei Kasse, und es standen ein paar wichtige Umbauten an. Zudem dachte Jack daran, endlich eine Spezialwerkstatt für Oldtimer aus Übersee aus unserem Laden zu machen. Nur woher wir das Geld dafür nehmen sollten, wußten wir nicht. Und dann klingelte eines Tages ein Vertreter an Jacks Haustür. Der auf einem Bein hinkende und merkwürdig nach Schwefle riechende Mann überredete Jack, seinen Körper nach dem Ableben der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Das Ganze sollte so vonstatten gehen, daß Jacks sterbliche Hülle nach seinem Ableben komplett in flüssiges Harz eingegossen und anschließend in gefrorenem Zustand öffentlich aufgebahrt und zur Schau gestellt wird. Der Vertrag, den er dafür mit einer Firma namens 'Human Amber Incorporated' abschloß, gewährte ihm im Gegenzug eine Sofortrente von 666 Pfund wöchentlich bis an sein Lebensende und noch zwei Jahre darüber hinaus an einen von ihm zuvor Begünstigten seiner Wahl. Unser guter Freund Jack erlag dem Lockruf des großen Geldes und unterschrieb. Tja, und nun wandert er nach der Freigabe seiner Leiche direkt in die Hände jener dubiosen Firma, deren eigentümlicher Eigentümer laut Eintrag im Handelsregister ein gewisser Lord de Vilfort sein soll". Sichtlich perplex über jene Offenbarung ließ Lukas Svensson den Hörer wie in Trance niedersinken, wobei er auf der Telefongabel landete und damit das Gespräch abrupt beendete.

Es vergingen einige Sekunden, dann riß den Exinspektor ein recht geräuschvolles Läuten aus seiner Erstarrung. Das Geräusch, welches Svensson sofort durch Mark und Knochen ging, aber entstammte eben jenem, von ihm gerade so achtlos aufgelegten Telefon. Wieder ergriff Lukas den Hörer und führte ihn an sein Ohr, dem sogleich die - immer wieder von heftig knackenden Störgeräuschen unterbrochene - dem Exkriminalisten irgendwie recht bekannt vorkommende Stimme eines Mannes scheinbar auf Deutsch entgegenschrie. Was genau die Männerstimme da brüllte, verstand Lukas nicht gleich, und so hakte er schließlich ungläubig nach: "Hä?! Grütze aufessen?! Wer spricht denn da?". Erst jetzt verschwand mit einem Mal das störende Knacken aus der Leitung und in lupenreinem Deutsch tönte es Svensson aus dem Hörer nun als Antwort entgegen: "Was soll denn die Scheiße, Lukas! Ich hab doch nichts von Grütze oder Aufessen gesagt. Ich sagte: Götze hier, Georg Götze aus Essen! Der Detektiv mit der Ute, der knackigen Ute aus dem U.T.E., dem Unter-Tage-Essen-Eßlokal in Essen. Menschenskind, dreimal Essen in einem Satz, da bekommt man ja direkt Hunger! Aber nun mal zum eigentlichen zum Grund meines Anrufs: Ich wollte Dir eigentlich nur mitteilen, daß es in dem mir von Dir anvertrauten Fall Deines verstorbenen Onkels Fritz etwas Neues gibt. Ich hab da nämlich in Berlin-Kreuzberg die Freundin einer Mieterin aus dem Aufgang Deines Onkels aufgetrieben, die aussagt, sie habe bei ihren Besuchen im Hausflur zeitweise fast täglich Deinen Onkel mit einem Mann gesehen ...". Aufgeregt fiel ihm der Exinspektor ins Wort: "Hab ich's doch gewußt! Er lebt also doch! Das war bestimmt Crawler, dieser Mistkerl!". Am anderen Ende war ein deutliches Räuspern zu vernehmen: "Tut mir leid, Dir die Hoffnung rauben zu müssen. Aber dieser Crawler war es auf keinen Fall. Zum einen hab ich der Augenzeugin das Foto gezeigt, das Du mir von Derrik Crawler überlassen hast. Und sie hat ihn nicht als den erkannt, der bei Deinem Onkel aus- und einging. Zum andern war besagter Mann jenseits der Fünfzig und immer wie ein ganz feiner Pinkel angezogen. Auch sein Auftreten soll dabei jedes Mal so etwas abgehoben Blaublütiges gehabt haben. Nicht, daß er eingebildet war, das nicht! Er hat der Frau laut deren Aussage sogar die schwere Haustür aufgehalten, beim Grüßen jedes Mal eine tiefe Verbeugung gemacht und Sie als Gnädigste angeredet. Ja, und einmal hat Sie Deinen Onkel vor seiner Wohnung bei der Verabschiedung des Unbekannten sagen gehört: 'Also Basti, bloß keene Panik! Och wenn ick von die Art und Weise, wie Du det Ding jedreht hast, jar nich bejeistert bin - unser kleenet jemeinsamet Jeheimnis ist bei mir durchaus jut aufjehoben! Zwee olle Fritzen - und det och noch jleich in doppelten Sinn - müssen doch zusammenhalten, wa?! Und wenn mir doch mal wat zustoßen sollte, hab ick mir och da schon abjesichert, mit Police sozusagen! Denn jeht dat Janze nämlich uf postalische Route schnurstracks Bäck Tu Se Ruuts, und bleibt dabei dennoch voll und janz In Se Fämilly, wie der Inglischmänn zu sagen pflejen tut!'. Nun ja, was immer das auch bedeuten mag. Aber vielleicht kannst Du als sein Neffe damit ja mehr anfangen als ich?! Ich für meinen Teil bleibe auf alle Fälle weiter dran an dem Fall! Aber jetzt gehts erstmal für ein paar Tage und Nächte aus dem Wilden Osten der Hauptstadt wieder heimwärts in den Pott zu meiner Ute. Schöne Grüße übrigens, auch an Deine Yelena! Und tschüß!". Am anderen Ende war aufgelegt worden, noch bevor Lukas überhaupt die Gelegenheit hatte, sich zu verabschieden. Was um alles in der Welt hatte das alles nur zu bedeuten?! Wer war dieser ominöse Basti? Was für ein Geheimnis verband ihn mit Onkel Fritz? Worin bestand die erwähnte Absicherung durch eine Police? Und was bedeuteten jenes berlinerisch angehauchten Floskeln 'Back To The Roots' und 'In The Family' in der Aussage seines Onkels? Früher hätte sich der Exinspektor über diese Fragen stundenlang den Kopf zerbrochen, heute aber hielten ihn seine Demenz und Yelenas Fürsorge fürs Erste davon ab. Seine über alles geliebte Gattin war nämlich inzwischen auf leisen Sohlen von hinten an den grübelnden Svensson herangetreten und entledigte ihn nun mit ein paar Handgriffen seines Anoraks und der Wolldecke über seinen Beinen. Dann fuhr sie ihn im Rollstuhl auf seiner Bettseite an den Nachttisch heran, wo ihn - hübsch in silberfarbene Folie eingepackt - noch das nachmittägliche Mitbringsel seiner Tochter Lisa und ihres Verlobten erwartete. Mit zittrigen Händen begann der Exinspektor daraufhin von seinem Platz im Rollstuhl aus langsam mit dem Enthüllen, wobei sich zur selben Zeit Yelena neben ihm niederkniete und mit geübten Fingern nach und nach auch all seine Hüllen fallen ließ. Irgendwann griff sie dem nur noch in Unterhemd und Slip dasitzenden Lukas unter die Arme und setzte ihn behutsam vom Rollstuhl aufs Bett um. Das nunmehr leere Gefährt Svenssons hingegen schob sie in Richtung Schrank, wo sie es sogleich durch ein kurzes Hochziehen der Sitzflächenmitte rasch wieder zusammenfaltete. Dann begab sie sich auf ihre Seite des Betts und begann, auch sich ihrer Kleidung zu entledigen. Immer wieder ging dabei ihr Blick zu Lukas hinüber, der inzwischen mit dem Geschenkauspacken fertig war und in dessen Händen sich nun ein großer blauer Keramiktopf mitsamt der aus seiner erdigen Mitte ihm erblühenden Sonnenblume langsam zu drehen begann. Svenssons Augen aber strahlten beim Anblick der leuchtendgelb umblätterten Blüte mit ihrem kernigen Innern. Und Yelena beugte sich übers Bett seinem Ohr entgegen und säuselte: "Na, sie Dir gefallen? Ich glaube, sie fast noch schöner sein als die, welches Lisa und ihres Mutter Dir haben geschenkt an Abend vor Beginn von Neues Jahr 2015 und die uns sein verdurstet bei Umzug von Wohnung in Heim auf langes Weg mit Ubahn". Sanft drückte sie dazu ihrem Strahlemann einen Kuß auf die im fahlen Licht der Deckenleuchte rosaglühende linke Wange. Sie wollte ihm schon voller leidenschaft die Arme um den Hals schlingen, als ein erneutes Telefonläuten sie zur Unterbrechung jenes Vorhabens zwang. Rasch richtete die Svenssongattin ihren Oberkörper wieder kerzengerade auf und riß dann mit Schwung den Telefonhörer an ihr Ohr. Am anderen Ende meldete sich Lisa Svensson, die sich nach dem Befinden ihres Vaters erkundigte. Yelena erzählte ihr ausführlich, was der Doktor noch zu ihr gesagt hatte und von dem kleinen Ausflug den sie daraufhin mit Lukas unternommen hatte. Lisa am anderen Ende aber hörte ihr die ganze Zeit über aufmerksam und erleichtert zu. Erst als Yelena ihren deteillierten Bericht nach ungefähr fünf Minuten beendet hatte, fragte die Svenssontochter: "Und, Tante Lena, hat sich Daddy über sein Geschenk gefreut?!". Yelena aber drehte sich kurz um und schaute zu Lukas herüber, der zu ihrem Erstaunen mit gut gefüllten Wangen deutlich kauend vor seiner neuen Sonnenblume saß, in deren Blüte schon einige Kerne zu fehlen schienen. Die freien Stellen im dunkelbraunen Kernverband waren dabei keineswegs willkürlich angeordnet. Ganz im Gegenteil: Sie bildeten bei genauerem Hinschauen sogar fast so etwas wie ein lächelndes Gesicht. Lukas Svensson aber blickte die ganze Zeit über in eben dieses Gesicht und flüsterte dazu mit vollem Mund: "Ach, wie sehr hab ich Dich vermißt! Aber jetzt, wo Du endlich wieder bei mir bist, wird am Ende ganz bestimmt doch noch alles gut! Du wirst schon sehen, Sunny Flower!" ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Samstag, 15. September 2012, 15:37

INSPEKTOR SVENSSON: ABSCHIEDSVORSTELLUNG

"Die Zeiten ändern sich unentwegt. Was mir eben noch vertraut und bekannt erschien, ist mir plötzlich völlig fremd. Namen und Worte sind Schall und Rauch. Längst vergangen Gedachtes wird mit einem Male wieder brandaktuell. Und eine unglaubliche Bedrohung schwebt einmal mehr über meinem Leben und dem eines von mir geliebten Menschen. Ich bin Inspektor Lukas Svensson, und was nun begonnen hat, sind die unwiderruflich letzten Tage meines Lebens".

EPISODE 12: Dejavu

Mit einem Dejavu begann für den gerade erst wachgewordenen Ex-Inspektor der nächste Morgen, auch wenn er selbst sich aufgrund seiner fehlenden Erinnerung dessen gar nicht wirklich bewußt war. Alles begann einmal mehr damit, daß Svenssons Ohren ein leises Klopfen an der Tür vernahmen. Lukas zog sich die Bettdecke bis zum Hals hoch und machte sich dann wie gewohnt in Richtung Tür mit einem deutlichen "Herein!" bemerkbar. Langsam wurde im Gegenzug die Klinke heruntergedrückt, und die Zimmertür öffnete sich einen Spalt breit. Vor Svenssons erwartungvollen Augen bahnten sich dabei in der Nähe des Zimmerbodens im selben Moment nach und nach immer mehr weißgraue Wollfusseln den Weg ins Zimmer. Was jenen Fusseln folgte, war ein langer Besenstil, an dessen anderem Ende eine zauberhafte junge Frau im kurzen rosa Baumwollkittel zum Vorschein kam. Die rosaverpackte Schönheit blinzelte dem Zimmerherrn zu und hauchte dabei: "Bonjour, Monsieur Svensson! Sie erinnern sisch doch, daß ihr Zimmer und mein Mob heute wieder ein kleines Rendevouz 'aben?!". Ja, Svensson erinnerte sich wieder! Es war ja Mittwoch, wie ihm der Wandkalender deutlich zeigte, und mittwochs kam sie! Sie. Sie? Meine Güte, wie war noch gleich ihr Name?! Es war irgendetwas Paradiesisches. Ja, genau, sie hieß Eva, genau wie die biblische Urmutter der ganzen Menschheit. Eva Douce, um genau zu sein. Lukas lächelte der jungen Frau, die gerade vor seinen Augen ihren Wischmob am Fußende seines Betts anlehnte, zu und sprach: "Salut, Mademoiselle Eva!". Anerkennend nickte die gebürtige Französin dem deutschstämmigen Svensson zu: "Sie lernen schnell, Monsieur Lukas! Und das, obwohl isch eigentlisch immer nur einmal pro Woche zum Abstauben vorbeikomme". Von der leicht geöffneten Zimmertür her räusperte es sich mit einem Mal, und eine Lukas wohlvertraute Stimme meinte: "Ich vielleicht sollen lieber noch bleiben draußen, bis Sie sein fertig mit Saubermachen und neues Lektion in Französisch für mein Mann, Fräulein Eva?". Es war Yelena Svensson, die gerade von ihrem täglichen Morgenspaziergang am Teich zurückgekommen war und nun schon mit einem Fuß die Schwelle zum Zimmer überschritten hatte. Eva und Lukas rissen nahezu gleichzeitig ihre bislang aufeinander ausgerichteten Köpfe herum und schüttelten diese dabei eifrig. Und während Yelena Svensson raschen Schrittes auf ihren Mann zusteuerte und ihm einen zärtlichen Kuß auf die errötete Wange preßte, fügte die junge Reinigungskraft schmunzelnd hinzu: "Isch glaube, das ist nischt nötisch, Madame Jelena! Zu dritt macht es eh bestimmt gleisch doppelt soviel Spaß!". Aus dem Halbdunkel des Flurs schallte es in diesem Moment in tiefem Baß: "Howdy, bahnt sich hier etwa schon am frühen Morgen eine Menage a Trois an?!". Wieder gingen sämtliche Blicke zur Tür, in der sogleich die erhabene Gestalt John Wayne Powerichs, gefolgt von der Lisa Svenssons, auftauchte. Yelena Svensson stürmte - am Bett und dem angelehnten Wischmop vorbei - unvermittelt auf die beiden unerwarteten Gäste zu und schloß sie nacheinander fest in ihre Arme. Dazu fragte sie sichtlich gerührt: "Was Ihr Zwei denn machen schon so früh an Morgen hier?". Lisa Svensson aber schaute über ihre Schulter hinweg zu ihrem Vater herüber und antwortete: "Nun, wie wollten einfach mal schauen, wie es Dad geht". Sie zwinkerte dem im Bett liegenden Ex-Inspektor zu und ließ ihren Blick dann zu ihrem zukünftigen Mann schweifen, dessen weit aufgerissene Augen momentan allerdings starr in Richtung der im oberen Bereich großzügig geöffneten Knopfleiste des dort recht prall ausgefüllten rosa Kittels der Reinigungkraft gerichtet zu sein schienen. Um jene Erstarrung zu lösen, drückte die Svenssontochter daraufhin die Spitzen ihrer langen Fingernägel von Daumen und Zeigefinger kräftig in den Hosenboden Powerichs, wozu sie ihm leise ins Ohr zischte: "Ich sagte gerade, WIR wollten schauen, wie es MEINEM DADDY geht! Daß es der Oberweite von Fräulein Eva soweit ganz vorzüglich geht, bedarf - soweit ich das beurteilen kann - hingegen momentan keineswegs einer so eingehenden Prüfung, mein Lieber! Ich denke, es ist an der Zeit, daß wir uns heut abend im stillen Kämmerlein mal wieder etwas eingehender mit dem Unterschied befassen, der besteht zwischen ungebunden und in festen Händen sein". John Wayne versuchte seinem schmerzverzerrten Gesicht ein dezentes Schmunzeln abzuringen, wobei er der noch immer unvermindert zukneifenden Lisa zuflüsterte: "Entschuldige, Honey, aber ich denke, ich spüre schon jetzt recht eindringlich, was es heißt, bei Dir in festen Händen zu sein!". Und in Richtung der imposanten Reinigungskraft fügte er kleinlaut hinzu: "Sorry, Maam!". Dann senkte er reumütig seinen Blick, zugegebenerweise nicht, ohne dabei noch einmal ausgiebig die unter der Enge des Baumwollstoffs deutlich hervortretende Poebene Evas in Augenschein zu nehmen. Lisa hingegen beendete nun kopfschüttelnd ihren recht unsanften Übergriff auf John Waynes Gesäß, von dessen unbeschadeter Hälfte sie sich sodann mit einem leichten Klatschen ihrer ausgebreiteten Handfläche verabschiedete, um nun zu ihrem Dad hinüber zu schreiten und ihm zur Begrüßung - sich über ihn beugend - einen sanften Kuß auf sie rechte Wange zu hauchen.

Im selben Moment klopfte es an der angelehnten Zimmertür und Pfleger Adam East stürmte mitsamt einem vollbeladenen Frühstückstablett in den Raum, wozu er verkündete: "Guten Morgen, Ladies and Gentlemen!". Schwungvoll balancierte er dabei seine herrlich duftende, leckere Fracht in Richtung des Tisches, die Augen stur geradeaus gerichtet. Zu spät bemerkte er, daß ihm Evas am Bettende schräg angelehnter Mob, den Weg versperrte. Seine Füße stolperte darüber und geriet ins Straucheln. Und während es John Wayne Powerich geistesgegenwärtig noch gerade eben gelang, dem Pflegehelfer dessen stark hin und her schaukelndes Tablett zu entreißen, war der sichere Fall des jungen Mannes selbst nicht mehr abzuwenden. Der Länge nach schlug Adam East hin. Sein Kopf knallte dabei mit der nur dürftig behaarten, stoppligen Hinterseite auf den Linoleumfußboden, wo er direkt zwischen den - in grauen Gesundheitslatschen steckenden - zierlichen Füßen von Reinigungskraft Eva zu liegen kam. Schockbedingt für einen Moment völlig unfähig, sich zu rühren, starrte Adam nach oben, wobei ihm sogleich schwarz vor Augen wurde. Das war allerdings keineswegs ein Zeichen dafür, daß er die Besinnung verlor - zumindest nicht physisch und als Folge des Sturzes. Er hatte aus seiner mißlichen Lage heraus vielmehr einen ungewollten Einblick auf das schwarze Seidenunterhöschen gewonnen, welches unter dem baumwollenen Ummantelung des Arbeitskittels am oberen Ende von Evas unsagbar langen, schlanken Beinen zu erkennen war. Zu all der spontanen Verzückung, die dieser sinnliche Anblick in Adams jungen Schädel auslöste, gesellte sich in selber Sekunde allerdings auch ein dumpfer Schmerz, der klar erkennbar seiner angeschlagenen hinteren Kopfhälfte entsprang. Sein erster Gedanke war dabei: 'Autsch! Das wird bestimmt eine Beule geben!'. Und da er seinen Blick dabei noch immer steif auf das schwarze Höschen Evas ausgerichtet hatte, trat ein zweiter Gedanke unweigerlich hinzu: 'Au wei, ich befürchte fast, unter diesen Umständen gibt da sogar mehr als nur nur die eine Beule!'. Ganz vorsichtig und wie in Zeitlupe hob East seinen Kopf ein wenig an und starrte nun in Richtung seiner Unterhose, wo zu seinem Leidwesen erste Anzeichen darauf hindeuteten, daß sich seine Befürchtung bestätigen könnte. Rasch versuchte er, dem ganzen entgegenzuwirken, indem er an etwas dachte, was seine aufkommende Erregung in ähnlichen Situationen stets wunderbar zu dämpfen vermocht hatte - seine wohlbeleibte Vorgesetzte Oberschwester Ruth im Bikini. Die Vorstellung verfehlte auch diesmal ihre Wirkung nicht, so daß sich Adam East nun ganz beruhigt wieder erheben konnte. Eva griff dem Pflegehelfer dabei - ohne lang zu zögern - ein wenig unter die Arme und zog in zu sich herauf. Adam aber schloß die Augen und ließ es einfach mit sich geschehen. Du liebe Güte, sie duftete herrlich wie eine Rose und ihre Arme waren so stark, daß man selbst als gestandenes - und erst recht als gestraucheltes - Mannsbild glatt schwach werden konnte! Er stand wieder - und um der Versuchung einer erneut aufkommenden Erregung zu wiederstehen, verwendete er gedanklich noch einmal die bildliche Vorstellung von der kräftig betagten Fachkraft Ruth im engen Strandzweiteiler. Putzfrau Eva Douce aber hauchte in seinem Rücken aufgeregt: "Merde, was 'abe isch da nur wieder angestellt?!". Adam dreht sich langsam zu ihr um, öffnete seine Augen und zwinkerte ihr zu: "Sie haben da wohl mehr etwas abgestellt als angestellt, nämlich Ihren Mob. Aber keine Sorge, es geht mir trotz Ihres kleinen ungewollten Mobbings schon wieder gut! Nur in meinem Kopf brummt es noch ein wenig!". Eva lief bei diesen Worten ganz panisch hinter ihn und besah sich den Hinterkopf des Pflegers, wozu sie entsetzt ausrief: "Mon dieu, was für eine 'äßlische Beule. Das muß aber doch sischer 'öllisch wehtun, oder?! Soll isch da nischt vielleischt einmal ein wenig blasen?!". Adam lag bei diesem ungewollt zweideutigen Angebot der kleinen Französin bereits ein eindeutiges Ja auf den Lippen. Dann aber machte er - schon angesichts der mitanwesenden Zaungäste und wegen der Tatsache, daß alles, was er im Eifer des Gefechts hier so von sich gab, später auch leicht vor jedem weltlichen wie auch vorm Jüngsten Gericht gegen ihn verwendet werden konnte - doch lieber erst einmal von seinem Recht zu schweigen Gebrauch. Eva freilich pustete trotzdem munter drauf los und streichelte zwischendurch immer wieder sanft über Adams stoppelbeharrten Hinterkopf. Schließlich ließ sie von seiner Rückseite ab, trat wieder vor ihn hin und raunte leise mit leichtgesenktem Blick: "Wie kann isch das nur wieder gutmachen?!". Adam brauchte da nicht großartig lang zu überlegen. Er sah in jenem schmerzhaften Mobbingerlebnis und seinen Nachwirkungen vielmehr endlich seine Gelegenheit, der - von ihm schon seit einer kleinen Ewigkeit - heimlich angebeteten Eva einen Vorschlag zu unterbreiten, den sie in dieser Situation nicht ablehnen konnte: "Nun, wie wäre es denn, Mademoiselle Eva, wenn Sie mir die Freude machen würden, mit mir essen zu gehen?! Ich hab nämlich morgen mein 10jähriges Dienstjubiläum hier im Heim und würde dieses Ereignis gern in kleinem Rahmen feiern! Genauer gesagt vielleicht: Nur Sie und ich?!". Lukas schaute bei diesen Worten blinzelnd zu seiner Yelena herüber. Seine Gattin aber verstand sofort und blinzelte umgehend zurück. Ja, es war tatsächlich wie ein Dejavu für das Svenssonpaar, was sich da grad vor ihren Augen zwischen Adam und Eva abspielte. So, als erlebten sie die überraschende Verabredung zu ihrem eigenen ersten Date noch einmal. Und während Yelena und Lukas gespannt zu den jungen Leuten hinübersahen, hob sich der Blick von Reinigungskraft Eva langsam, ihre langen Wimpern klapperten mehrmals und sie erwiderte lächelnd: "Isch nehme Ihre Einladung naturellement gern an, Adam, auch wenn isch gar nischt so rescht weiß, wie isch zu dieser Ehre komme! Nur morgen ist es leider völlig impossibile, da isch den ganzen Nachmittag bis spät in die Nacht 'inein hier saubermachen muß. Auf sämtlischen Fluren wird nämlisch der Fußboden mit Wachs 'ohlraumversiegelt". Adam, der vom Sturz immer noch ein wenig wacklig auf den Beinen war, sah Eva tief in die Augen und erwiderte dabei mit strahlend verklärtem Blick: "Macht nichts, Mademoiselle Eva, dann holen wir das eben bei nächster Gelegenheit nach! Ich freu mich jedenfalls schon jetzt darauf!". Damit ergriff er behutsam ihre, in einem gelben Gummihandschuh steckende rechte Hand und hauchte ihr einen sanften Kuß auf den Unterarm. Eva aber klapperte nun nur noch mehr mit den Wimpern, dann fuhr sie sich mit dem gummibehandschuhten Zeigefinger ihrer Linken durch das leichtgelockte Haar und flüsterte dem Pfleger zu: "Oui, isch freue misch auch schon sehr!". Mit einem weiteren zarten Unterarmliebkosung verabschiedete sich Adam von Eva, ließ sich von John Wayne Powerich das von diesem inzwischen leergeräumte Tablett zurückgeben und machte sich dann - noch sichtlich schwankend - auf den Rückweg in Richtung Zimmertür. Eva lief rasch an ihm vorbei und hielt dem im Gehen Begriffenen die Tür auf. Yelena und Lisa Svensson aber eilten rasch hinzu und stützten den Pfleger von je einer Seite, um ihn sodann über den langen Flur hinweg bis zum Dienstzimmer zu begleiten.

Reinigungskraft Eva hingegen widmete sich - leise die Melodie der Marseillaise vor sich her pfeifend - nun wieder voll und ganz ihrer Reinigungstätigkeit. Zunächst putzte und wischte sie im Badezimmer, durch dessen offenstehende Tür stets genaustens beobschtet von den beiden im Zimmer zurückgebliebenen Mannsbildern Lukas und John Wayne. Und während sich vor ihren Augen Eva auf die Zehenspitzen stellte und mit nach oben ausgestreckten Armen mittels eines Staubwedels versuchte, die Deckenlampe über der Dusche abzustauben, raunte Lukas Svensson plötzlich anerkennend: "Olala, was für eine Poebene!". John Wayne sah den im Bett liegenden Ex-Kollegen entgeistert an und flüsterte: "Also Lukas! Das hätte ich jetzt nicht von Dir erwartet!". Svensson schaute ihn unschuldig an: "Warum denn nicht! Ich bin doch schließlich auch nur ein Mann, wenn auch ein glücklich verheirateter. Wird eine schön anzusehende Frau denn weniger attraktiv, nur weil man in festen Händen ist?! Nein, mein Lieber, meine Yelena und ich leben da streng nach der Devise: Gucken darf man, nur eben nicht anfassen! Und wir fahren ausgesprochen gut damit. Schließlich genießt es meine holde Gattin ja auch, zweimal die Woche vom knackigen hauseigenen Physiotherapeuten Antonio nach allen Regeln der Kunst fachmännisch durchgeknetet zu werden. Ein wenig Freiraum gehört nunmal zu einer funktionierenden Ehe dazu. Zuviel gegenseitig verordnete Enge hingegen zerstört über kurz oder lang jede Partnerschaft, ebenso wie ständiges Mißtrauen und krankhafte Eifersucht". John Wayne nickte nachdenklich: "Da hast Du gewiß recht, Lukas! Von Dir und Deiner Yelena können Lisa und ich noch eine Menge lernen, was Beziehungssachen angeht". Wieder folgten die beiden Männeraugenpaare dem munteren Treiben der putzenden Französin, die nun die Reinigung des Badezimmers beendet hatte und mittels eines langstiligen Besens zum Ausfegen des Zimmers überging. Sie fegte dabei geradezu akkribisch bis in jede kleinste Zimmerecke hinein über den Linoleum des Zimmerbodens und schließlich auch unter den Betten. Dabei förderte ihr dünnborstiges Reinigungsutensil mit einem Male auch ein leicht angestaubtes größeres Stück Papier zutage, das sie erstaunt aufhob, mit leichtem Pusten sanft entstaubte und dann an Lukas Svensson weiterreichte, wozu sie sprach: "'oppla, Monsieur Svensson, isch glaube, das 'ier ist ein Briefumschlag von Ihnen! Wie der wohl unter das Bett gekommen ist?". Lukas betrachtete das Stück aufgerissene Briefkuvert mit ebenso weit aufgerissenen Augen von allen Seiten. Stückchenweise kehrte die Erinnerung an jenen Morgen zurück, an dem er erst die warme Milch über dem Umschlag verschüttet und dann seine geheime Botschaft auf der Innenseite entdeckt hatte. Wieder las er, was Onkel Fritz ihm da auf so rätselhafte Art und Weise mitgeteilt hatte: "Was ich Dir als mein Erbe hinterlasse, ist, geprägt von der Vergangenheit Deiner Neuen Heimat, dem Bilde nach an die Großmutter Europas erinnernd, gefärbt in eintönig himmlischer Coleur, in schlichter Form unscheinbar auftretend, dem Anschein nach kaum mehr als einen Penny wert und dennoch aufgrund seiner Seltenheit eine kleine majestätische Kostbarkeit. Suche Dein Erbteil über Dich selbst hinausgehend in unmittelbarer Nähe eines ehemaligen Palastes. Befreie es behutsam aus jener unwürdigen Umgebung und führe es in Deinem und meinem Namen zum krönenden Abschluß unseres gemeinsamen Lebenswerkes wieder seiner rechtmäßigen Besitzerin zu. Hüte Dich dabei jedoch vor demjenigen, der scheinbar mit eiskalter Hand danach greift!". Wieder entdeckte er auf der Kuvertaußenseite den merkwürdig abgekürzten Absendervermerk "S. FRITZ, B. BERLIN, GERMANY". Irgendetwas im Kopf des Ex-Inspektors sagte ihm in diesem Augenblick, daß er inzwischen alle Puzzleteile zusammen hatte, um jenes letzte Rätsel seines dahingeschiedenen Onkels lösen zu können. Allein, die mittlerweile gravierenden Mängel in seiner Fähigkeit, sich zu erinnern, hinderten ihn noch daran. Es brauchte jetzt schon soetwas wie ein kleines Wunder, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Reinigungskraft Eva Douce hatte derweil - der Überlegungen Svenssons ungeachtet - den zusammengefegten Schmutz und Staub vom Fußboden des Svenssonzimmers zusammengefegt und in den blauen Müllsack ihres draußen auf dem Flur geparkten Putzwagens verfrachtet, worauf sie sich kurz und knapp von den anwesenden Herren und den in diesem Moment zurückkehrenden Svenssonfrauen verabschiedete: "Au Revoir, Mesdames et Messieurs! Wir sehen uns dann nächsten Mittwoch wieder! Einen schönen Tag noch!". Während Yelena, Lisa und John Wayne ihren Gruß erwiderten, starrte Lukas Svensson weiter wie gebannt auf das Stück Papier, daß er nun in seinen Händen immer schneller zu drehen begann. Dabei verschwammen ihm in seiner Aufregung langsam all die Buchstaben, das Schwarz der Trauerflor-Umrandung sowie das Grün und Blau der beiden aufgeklebten Marken. Sie verwandelten sich schließlich sogar zu einer Art reißendem Strudel, der sämtliche seiner bislang hellwachen Sinne mit sich hinabzog in die Tiefe - die dunkle Tiefe einer Bewußtlosigkeit, die ihn plötzlich überkam. Aus jener Tiefe heraus glaubte er dabei merkwürdigerweise noch kurz das Schnaufen einer alten Dampflok zu hören. Dann sank der leicht aufgerichtete Oberkörper Svenssons vor aller Augen auf das hinter ihm liegende Kopfkissen zurück und seine Augenlieder senkten sich Millimeter um Millimeter, bis sie am Ende ganz zugefallen waren ...

Totale Finsternis umhüllte den Ex-Inspektor, während sich sein begonnener Fall unaufhaltsam fortsetzte. Um sich herum nahm Lukas dabei nichts mehr wahr, außer dem scheinbar immer näher kommenden Geräusch jener unsichtbaren, schnaufenden Dampflok. Es war ihm, als stürze er in eine Art tiefen Tunnel. Dann endlich - nach einer gefühlten Ewigkeit - tauchte vor seinem geistigen Auge ein schmaler Lichtschein am unteren Ende jenes Tunnels auf. Und mit der einsetzenden inneren Erleuchtung wandelte sich auch der Eindruck, den der ganze Fall bislang bei ihm hervorrief. Glaubte er eben noch, den Boden unter den Füßen verloren zu haben, so empfand er es jetzt wie ein Schweben über den Dingen. Die Schwere des Seins und die beklemmende Furcht vorm ständigen Vergessen fielen mit einem Male gänzlich von ihm ab. Durch sämtliche Ebenen seines erinnerungslückenhaften Bewußtseins hindurch rauschte er förmlich immer tiefer und tiefer. Dort, wo er schließlich ankam - tief in der demenzfreien Zone seines eigenen Unterbewußtseins - war die Welt seiner Erinnerungen noch völlig in Ordnung. Geradezu schwerelos ließ er sich in aller Ruhe die letzten Zentimeter auf den unter ihm noch immer stetig anwachsenden Lichtkegel zu treiben, bis dieser die ihn umgebende Dunkelheit vollkommen vertrieben hatte. So mußte sich wohl ein Neugeborenes fühlen, wenn es am Ende des anstrengenden Geburtsprozesses endlich das Licht der Welt erblickte. Lukas begann, sich im Geiste umzuschauen und all die neuartigen Eindrücke um sich herum aufzusaugen. Was er dabei erblickte, war eine hölzerne Tischplatte, die der seines Nachttischs im Heim verblüffend ähnelte. In ihrer Mitte lag ein wenig zerknüllt und milchbefleckt jener Kondolenzbrief von seinem Onkel Fritz, der ihn überhaupt erst hierher gebracht hatte. Darunter lugte unscheinbar das silberne Armband hervor, welches ihm sein Freund Jack aus L.A. anläßlich seiner Hochzeit mit Yelena geschenkt hatte. Jener Armreif, der so schlicht daherkam und es dennoch aus technischer Sicht in sich hatte. Über jenem Schmuckstück aber ruhte in gebührendem Abstand parallel zur rechten Kante des schwarzumrandeten Briefkuverts ein dunkelblauer Kopierstift von der Art, mit der Lukas im unermüdlichen Kampf gegen den unaufhaltsamen Vorstoß der eigenen Vergeßlichkeit zwischenzeitlich seine zahlreichen Notizen zu machen pflegte. Jene Post-It-Notizen, die er dann überall hinklebte, ohne sie jemals zu finden, wenn er sie wirklich brauchte. Hier unten aber war das anders. Hier brauchte er weder Stift noch Klebezettel - hier arbeitete sein Gehirn wie früher noch völlig fehlerfrei und auf Hochtouren.

Wieder vernahm Lukas das deutliche Dampflokschnaufen, das ihn an seine Kindheit erinnerte, wenn seine Bande des Schreckens und er am Bahnhof Friedrichsstraße gestanden und die ankommenden und abfahrenden Züge bestaunt hatten. Auch jetzt staunte Lukas wieder wie ein Kind, denn vor seinem geistigen Auge verwandelte sich von einer Sekunde auf die andere der schwarze Trauerrand des Briefkuverts komplett in einen Schienenstrang, auf dem wie aus dem Nichts heraus mit gewaltigem Lärm eine uralte Dampflok mit ihm als Lokomotivführer auftauchte. Lukas der Lokführer - mein Gott, wie oft hatte er als kleiner Junge davon geträumt. Und jetzt, da er ein alter Mann war, ging jener Traum auf diese Art und Weise doch noch in Erfüllung. Der kleine Lokführer Lukas zog derweil in seiner Dampflok auf den Schienen ganz gemächlich seine Kreise um das Kuvert herum, so wie die Gedanken seines älteren Alter Ego wieder um das geheimnisvolle briefliche Vermächtnis seines Onkels zu kreisen begannen. Dabei verschwammen erneut all die Buchstaben, die beiden Briefmarken und auch die Trauersymbolik mit dem Palmwedel und dem Kreuz. Ja, sogar der milchigweiße Untergrund veränderte sich, indem er sich horizontal in drei gleichgroße rechteckige Abschnitte aufteilte, von denen sich das obere schwarz, das mittlere rot und das untere golden verfärbte. Im roten Mittelfeld aber tauchte nur eine Sekunde später in Form eines Hammers und eines aufgeklappten Zirkels, die sich übereinanderliegend inmitten eines nach oben offenen Kranzes goldgelber Getreideähren befanden, das Staatswappen der ehemligen DDR auf. Ihm folgten im oben angrenzenden schwarzen Feld auf der linken Seite ein recht gewaltiges, quaderförmiges Gebäude mit einer goldfarben verspiegelten, gläsernen Front. Im Zentrum dieser Glasfront aber entdeckte Lukas bei genauerem Betrachten erneut das ehemalige ostdeutsche Staatswappen. Und dabei kam ihm plötzlich der Gedanke, daß es sich bei diesem Gebäude dann zweifellos um jenen Palast der Republik handeln mußte, von dem ihm Onkel Fritz vor ein paar Jahren bei seiner Führung durch Berlin erzählt hatte. Ach ja, der gute, alte Onkel Fritz! Der konnte einem was erzählen! Auch jetzt glaubte Lukas, durch das laute Dampflokschnaufen hindurch die wohltuende, tiefe Baßstimme seines Oheims zu vernehmen, die ihm einen kleinen Passus der geheimnisvollen Botschaft vom Innenleben des Briefkuverts vortrug: "Suche Dein Erbteil über Dich selbst hinausgehend in unmittelbarer Nähe eines ehemaligen Palastes!". Was er wohl damit gemeint hatte? Etwa jenen längst abgetragenen Palast einer untergegangenen Epoche dort? Erst jetzt registrierte Lukas grübelnd ein überdimensionales Geldstück, daß rechts neben dem Gebäudequader aufgetaucht war. Jene Münze, die dem ersten Anschein nach aus Aluminum zu bestehen schien, trug die Prägung "10 Pfennig" und die Jahreszahl "1972" unter einem stilisieren Eichenblatt, was alles in allem den weisen Svensson zu der kühnen These veranlaßte, daß es sich hierbei ebenfalls um ein ostdeutsches Zahlungsmittel aus Zeiten der DDR handelte. Zehn Pfennig, das war - wie der Berliner zu sagen pflegte - ein Groschen. Die Bezeichnung "Groschen" erinnerte Lukas dabei zwangsläufig wieder an seine Zeit als Kind im noch grenzfreien Nachkriegsberlin. Da hatte es nämlich so einen alten zigarrenstummelpaffenden Kauz namens Brechtbert gegeben, der während der Naziherrschaft als linker Autor verfolgt worden und schließlich ins ausländische Exil gegangen war. Im Herbst 1948 war er in den Ostteil der deutschen Vierzonenhauptstadt zurückgekehrt, wo er inzwischen am Aufbau einer Akademie der Künste und am Aufbau eines Schauspielensembles mitarbeitete. Immer, wenn ihn sein Weg zur Arbeit dabei an den Ruinen vorbeiführte, in denen Klein-Lukas und seine Rasselbande spielte, hatte er den Bengels drei Zehnpfennigstücke in die schmuddligen Hände gedrückt, weshalb er bei den Jungens seinerzeit kurzerhand nur noch der "Drei-Jroschen-Opa" hieß. Ja, und eben so ein Groschen war es, der sich Jahre später nun mitsamt dem DDR-Wappen und den Glaspalast vor Lukas' erstauntem geistigen Auge komplett grün zu verfärben begann, um dann sogleich im Schwarz-Rot-Gold des Hintergrunds wieder unterzutauchen. Im Ex-Inspektor selbst hingegen tauchte im selben Moment schlagartig eine Erinnerung auf, die ihn der Lösung des rätselhaften Briefgeheimnisses gleich ein gewaltiges Stück näherbringen sollte. Dabei war es doch nur ein altes deutsches Kinderlied, dessen erste Strophe ihm in den Kopf schoß: "Grün, ja grün, sind alle meine Kleider. Grün, ja grün, ist alles, was ich hab. Darum lieb ich alles, was so grün ist, weil mein Schatz ein Jäger ist". Mit einem Male sah sich Lukas als Jäger, genauer gesagt als Jäger des verlorenen Schatzes. Und in seinen Gedanken vereinte sich der versunkene Palast mit dem Zehnpfennigstück und dem DDR-Wappen auf grasgrünem Untergrund zu einer zackigen Marke - jener Marke, die vorweihnachtlich abgestempelt im rechten oberen Eck den Brief seines Onkels Fritz zierte. Vor seinem Geiste verschwanden Lok, Schienen und dreifarbig geteilter Hintergrund - und der schwarzumrandete Brief kam erneut zum Vorschein. Ganz oben die grüne Marke, darunter sein Name. Dazu aber hörte er wieder seinen verstorbenen Onkel flüstern: "Suche Dein Erbteil über Dich selbst hinausgehend in unmittelbarer Nähe eines ehemaligen Palastes!". Über sich selbst hinauszugehen, das war in diesem Falle ja vielleicht ganz plastisch gemeint. Lukas sollte über sich selbst - sprich über seinem Namen - hinausgehend nach dem Schatz suchen. Und zwar in der Nähe des ehemaligen Palastes, der auf jener grünen Marke abgebildet war ... Die Lösung schien ihm schon zum Greifen nah ...

Da wendete sich plötzlich das Blatt. Nun ja, eigentlich wendete sich vor seinem Blick das Kuvert und zeigte ihm seine Kehrseite, die ihn in alle vier Himmelsrichtungen gleichmäßig in Dreiecke unterteilt empfing. Viergeteilt - so wie einst sein Berlin. Im nördlichen Abschnitt stand dabei schwarz auf weiß allerdings nicht "Sie verlassen jetzt den Demokratischen Sektor!" sondern vielmehr "Absender: Fritz". Und im südlichen Abschnitt warnte auch keineswegs ein Schild: "You Are Leaving The British Sector!". Stattdessen zierte den Umschlag dort ein Gemälde des Alten Fritz, wie die Preußen den wohl berühmtesten ihrer einstigen Könige zu nennen pflegten. Im östlichen Umschlag-Sektor tauchte inzwischen der Familienname "Salomon" auf, im westlichen Sektor die zugehörige Verwandtschaftsbezeichnung "Onkel". Soweit, sogut! Doch dann kam es erneut zu einer Wende, was Ost und West betraf. Links im Westen tauchte plötzlich der Vorname "Sebastian" auf, rechts im Westen hingegen der Begriff "Diener". Jene deutliche Veränderung in der Ost-West-Beziehung verunsicherte Lukas nur eine Sekunde, dann brach innerlich in ihm grenzenloser Jubel aus. Aber natürlich! Das war es! Er hatte sich doch gleich gewundert, warum sein Onkel ungewöhnlicherweise auf die Briefrückseite notiert hatte "Absender: S. FRITZ, B. BERLIN, GERMANY". Jetzt war es ihm klar! Das war eine versteckte Botschaft des Onkels an seinen Neffen, die ihm den wahren Absender offenbaren sollte. Jenen ehemaligen Diener Ihrer Majestät, der Königin von England, Queen Elizabeth II. - Sebastian Fritz. Nun machte auch Onkel Fritz' Äußerung gegenüber seinem unbekannten Besuch, von der ihm Georg Götze am Telefon Bericht erstattet hatte, Sinn. Wie hatte sich der Onkel da doch ausgedrückt: "Zwee olle Fritzen - und det och noch jleich in doppelten Sinn - müssen doch zusammenhalten, wa?!". Nun, die zwei alten Fritzen, das waren Onkel Fritz selbst und eben jener "Basti" alias Sebastian Fritz. Derselbe Sebastian Fritz, der sich laut Aussage Charles Wannabes mit einem gestohlenen kostbaren Kleinod der englischen Königin aus dem Staub gemacht hatte und dann im vergangenen Herbst in Bernau bei Berlin - oder wie es beim Absender des Briefes hieß: B. BERLIN - erdolcht aufgefunden worden war, nur Papierleim, eine Lupe und die Pinzette aus einem Nageletui vor sich auf dem Tisch. Aber Moment mal! Ein Brieföffner und Papierleim, eine Lupe und eine Pinzette. Gerade die letzten beiden Dinge klangen doch verdammt nach den Utensilien eines Philatelisten, also eines Briefmarkensammlers ...

Weiter kamen Lukas' Gedanken nicht. Denn vor seinen Augen drehte sich das Briefkuvert nun wieder auf seine Vorderseite zurück. Lukas erblickte erneut seinen Namenszug auf dem Umschlag und die grüne Marke oben rechts, neben der noch eine andere blaue Marke aufgeklebt war. Sollte etwa jene zackenlose, schlichte Marke des Rätsels Lösung ... Lukas, der aus seiner zwischenzeitlichen Abwesenhkeit wie aus dem Nichts zurückgekehrte Lokführer, umkreiste inzwischen auf dem ebenfalls wieder aufgetauchten Schienenweg erneut das trauerumrandete Briefkuvert. Nochmals verschwammen all die Dinge auf dem Umschlag vor Svenssons Augen. Wieder teilte sich der zurückbleibende milchigweiße Grund horizonal in drei gleichgroße Rechtecke. Nur das diesmal das obere blau und das untere weiß war. Lediglich das mittlere Rechteck erschien erneut in dunklem Rot. Blau-Rot-Weiß, das waren auch die Farben des Union-Jacks, die Farben von Lukas' neuer britischer Heimat. Im Zentrum des roten Feldes tauchte nur einen Augenblick später wie zur Bekräftigung dieses Gedankens die Statue der früheren Herrscherin Englands Queen Victoria, der sogenannten Großmutter Europas, auf mit der Königskrone auf dem stolzen Haupt und mit Zepter und Sovereigns Orb - einem kreuzgekrönten Reichsapfel - in den leicht nach vorn gestreckten Händen. Ein Lächeln wie das der Mona Lisa zeigte ihr Antlitz dabei freilich nicht, und doch schien sich in Lukas' geschultem Auge hinter der versteinerten Fassade noch ein kleines kostbares Geheimnis zu verbergen - ein Victorias Secret sozusagen, wenngleich wohl auch weniger schlüpfrig. Im oberen blauen Rechteck tauchten derweil rechterhand eine malerische Insel mit zwei Bergen auf, links hingegen erneut ein Geldstück, diesmal eine alte Zwei-Pence-Münze aus dem Jahre 1888. Das war jenes Jahr, in dessen Herbsttagen seinerzeit der White-Chapel-Mörder Jack The Ripper durch seine grausamen Morde an fünf Prostituierten ganz London in Angst und Schrecken versetzte. Zwangsläufig wurde Lukas an seinen Freund Jack Holmes erinnert, der nun vor kurzem auf ähnlich schreckliche Weise sein Leben lassen mußte. Um sich von diesem belasteneden Gedanken abzulenken, starrte Lukas solange auf die Dreierkombination aus Queen Victoria, Zwei-Pence-Stück und der geheimnisvollen Insel, bis sie selbst wie auch ihr Umfeld ihm dabei in tiefstem dunklen Marineblau erschienen. Und im unteren schneeweißen Feld tauchte in selber Sekunde in blauer Schrift, wie dem kitschigen Werbeprospekt eines Reiseveranstalters entlehnt, ein Schriftzug auf mit dem Slogan "Die Blaue Küste des Staates Mauritius". Oberhalb jenes blumig-formulierten Schriftzugs aber vereinten sich alle drei blau eingefärbten Symbole derweil schlußendlich auf ihrem dunkelblauem Untergrund in Svenssons Gedanken zu einer einzigen Briefmarke. Jener himmelblauen Marke, die alsgleich - nach der Rückumwandlung des Blau-Rot-Weiß des dreigeteilten Hintergrunds in ein schlichtes milchiges Weiß - nun ganz nebenbei auch wieder oben rechts ein wenig eingerückt den, von allen anderen Dingen befreiten, blütenreinen Briefumschlag auf der Tischplatte zierte. Der merkwürdige blaue Werbeslogan im unteren Teil des Umschlags aber verblaßte bei dem ganzen Prozedere nur teilweise, wobei von ihm am Ende nur noch die Wortkette "Die Blaue Mauritius" zurückblieb. Und während nacheinander Lokführer, Lok und Schienenkreis nun, endlich am Ende ihrer kurzen Ich-versteh-nur-Bahnhof-Mission angelangt, ein letztes Mal geisterhaft das Weite suchten, schlug Lukas bereits umso geistesgegenwärtiger triumphierend die Hände über seinem kahlen Haupt zusammen. Das also war des Rätsels Lösung. Das war jenes verschwundene Kleinod, mit dessen Suche die Queen höchstpersönlich seinen Freund Charles Wannabe beauftragen wollte. Das war es, was Onkel Fritz in seiner verschlüsselten Botschaft meinte, als er schrieb: "Was ich Dir als mein Erbe hinterlasse, ist, geprägt von der Vergangenheit Deiner Neuen Heimat, dem Bilde nach an die Großmutter Europas erinnernd, gefärbt in eintönig himmlischer Coleur, in schlichter Form unscheinbar auftretend, dem Anschein nach kaum mehr als einen Penny wert und dennoch aufgrund seiner Seltenheit eine kleine majestätische Kostbarkeit". Die Blaue Mauritius - aus dem Besitz des Englischen Königshauses auf unglaublichen Umwegen in den Besitz von Lukas Svensson gelangt. Seinen exbeamteten Neffen hatte der Berliner Onkel somit gemeint, als er verkündete: "Und wenn mir doch mal wat zustoßen sollte, hab ick mir och da schon abjesichert, mit Police sozusagen!". Die "Police", das war Lukas als Ex-Scotland-Yard-Beamter selbst. "Denn jeht dat Janze nämlich uf postalische Route schnurstracks Bäck Tu Se Ruuts, und bleibt dabei dennoch voll und janz In Se Fämilly, wie der Inglischmänn zu sagen pflejen tut!" bedeutete demnach nichts anderes, als daß Fritz Salomon in weiser Voraussicht zur eigenen Absicherung jenen Kondolenzbrief an seinen entfernten Verwandten Lukas selbst verfaßt und mit jener wertvollen Marke bestückt hatte - und das auf die wohl auffälligste unauffällige Weise, die man sich überhaupt nur vorstellen konnte, nämlich als schlichtes Postwertzeichen auf einem Briefumschlag. Was für ein raffinierter Schachzug, mein Lieber!

Aus dem Hintergrund drangen plötzlich erst leise, dann immer kräftiger und feierlicher anmutend, die Anfangstakte des "God Save The Queen" der britischen Nationalhymmne an das Ohr des, in seiner spontanen Begeisterung über die gemachte wertvolle Entdeckung, ohnehin längst völlig überwältigten Ex-Inspektors. Dazu tauchte kurz darauf wie aus dem Nichts auf der linken Hälfte des weißen Umschlags gekrönten Hauptes in schlichtem Schwarz-Weiß die noch junge Gestalt der amtierenden englischen Königin Elizabeth II. auf, ein steil nach oben gerichtetes Schwert in beiden Händen haltend. Unterhalb der blauen Wertmarke hingegen erschien erneut Svenssons vollständiger Name, während rechts neben ihr anstelle der DDR-Palast-Marke nun das Siegel der Queen "E II R" erschien. Unter Lukas' Name hingegen zeigte sich derweil schwarz auf weiß die Unterschrift der Königin. Und nebenan am Koperstift wurde zeitgleich langsam und bedächtig der - im leichten Atem des längst auf Wolke 7 schwebenden Exkriminalisten Svensson wehende - Union Jack gehißt. Mit stolzgeschwellter Brust führte Lukas die rechte Handfläche zur Ehrenbezeugung an seine Stirn. So hielt er sekundenlang inne und genoß jenen erhebenden Moment des Ruhmes. Erst als die Hymmne langsam verklang, ließ er seine Hand wieder sinken. Auch die britische Flagge senkte sich dabei vor seinen Augen, bis sie inmitten des Kopierstifts auf Halbmast stand. Über sich in weiter Ferne vernahm Lukas Svensson dazu die schaurig-schöne Melodie einer Drehorgel, wobei jener hölzerne Kasten durch seine unzähligen Pfeifen in ständig gleichbleibender Leier die "Moritat von Mackie Messer" zum Besten zu geben schien. Auf dem Kuvert aber verschwand sogleich die Blaue Mauritius und mit ihr alles Königliche, stattdessen kehrte der altbekannte schwarze Trauerrand wieder zurück. Links unterhalb des Briefkuverts erschien zu gleicher Sekunde auf der Holzplatte ein kleiner Kochtopf, in dem in einer blutroten, zähflüssigen Soße unzählige Fleischstücken und Teile von Innereien wild vor sich her kochten, wodurch in kürzester Zeit ein geradezu pestilenzartiger Gestank an Svenssons empfindsame Nase drang. Inmitten des Topfes aber tauchte zu Lukas' Entsetzen aus jenem stinkenden Fleischhaufen der Kopf seines toten Freundes Jack Holmes auf, der ihm mit dämonisch tiefer Stimme verkündete: "Jack-Pott, Lukas!". Im schwarzumrandeten Umschlag erschien unterdess nochmals der Namenszug Lukas Svenssons, während rechts oben wieder die vertraute Trauersymbolik von Palmwedel und Kreuz und auf gleicher Höhe ganz linksaußen eine Marke mit dem Aufdruck "R.I.P 2015" und dem Bildnis eines zweihändigen menschlichen Kerzenhalters sichtbar wurden. Die grausige Stimme von Jack Holmes' Kopf, welcher sich nun nach und nach in einen knöchernen Totenschädel verwandelte, aber ergänzte: "Doch Deine Entdeckung lockt auch meine Killer an!". Damit verschwand Jack samt Pott auch schon wieder von der Bildfläche, unmittelbar gefolgt von der gespenstischen Ruhe-In-Frieden-Marke sowie vom halbmastgeflaggten Union Jack. Schließlich verstummte auch noch das eintönige Leierkastenspiel. Zurück blieb einzig und allein der Briefumschlag, der sogleich wieder seinen Urzustand annahm. Lukas aber grübelte noch einen Moment über all das Gesehene und Gehörte nach, dann verlieh ihm die Entdeckung seines unheimlich kostbaren Briefgeheimnisses spürbaren Auftrieb, der ihn mit Lichtgeschwindigkeit wieder aus dem eigenen Unterbewußtsein herauskatupultierte und damit ins Bewußtsein zurückkehren ließ.

Hatte der ganze Zustand der Bewußtlosigkeit für das Empfinden von Svensson selbst wohl eine gute halbe Stunde gedauert, so waren doch in der Realität kaum mehr als anderthalb Minuten verstrichen. Und so standen alle zum Zeitpunkt seiner Ohnmacht im heimischen Zimmer Anwesenden auch nahezu unverändert um ihn herum, als er die Augen plötzlich und unerwartet ganz von selbst wieder aufschlug. Zum allseitigen Erstaunen riß er förmlich sein Bettdeck beiseite und richtete seinen eben noch bleischwer zurückgefallenen Oberkörper nahezu mühelos wieder auf. Dabei schaute er direkt in die traurig-besorgten Gesichter seiner Tochter Lisa und seiner Frau Yelena, die neben dem Bettrand standen. Beide seiner Hände ganz ruhig erhebend streichelte Lukas über die tränenbedeckten Wangen jener zwei wichtigsten Menschen in seinem Leben und flüsterte ihnen dabei zu: "Kein Grund zur Sorge, Ihr zwei Beiden! Ganz im Gegenteil! Ich fühle mich so gut wie seit langem nicht mehr! Was für Euch wie eine Ohmacht meinerseits anmutete, war vielmehr eine wunderbare und alles entscheidende Entrückung meiner Person. Denn während meine Augen äußerlich geschlossen waren, wurden sie mir im Unterbewußtsein innerlich geöffnet. Um Euch das jetzt allerdings in allen Einzelheiten zu erklären, fehlt mir momentan leider Gottes die Zeit! Ihr entschuldigt mich?!". Damit sprang er, während Lisa und Yelena sichtlich überrascht zur Seite wichen, geradezu wie ein Jüngling aus dem Bett auf, ergriff das von Yelena während seiner kurzen Ohnmacht auf dem Nachttisch abgelegte Briefkuvert und den danebenliegendenKopierstift, schlüpfte in seine, am Fußende des Bettes bereitstehenden Hausschuhe und enteilte in ihnen sofort in Richtung Kleiderschrank, wo er den bereitstehenden Rollstuhl mit einem einzigen Handgriff zur vollen Entfaltung brachte und sich darauf niederließ. Lukas rief den noch etwas abseits stehenden Powerich zu sich und sprach mit fester Stimme: "So, mein Lieber! Und nun zeig mir mal als mein Schwiegersohn in spe, ob Du schon in der Lage bist, die Geschicke der Svenssons sicher zu lenken. Fürs Erste würde es mir dabei freilich genügen, wenn Du mich in meinem Rollstuhl lenkst, und zwar bis in das Zimmer 613 zu meinem alten Bekannten David Stern!". John Wayne kam sich ein wenig überrumpelt vor, was er sich aber keineswegs anmerken ließ. Stattdessen führte er Daumen, Ring- und Zeigefinger seiner rechten Hand mit zackiger Bewegung an die Hutkrempe seines Cowboyhuts und erwiderte, während er sich raschen Schritts hinter dem mobilen Svenssonsitz postierte: "Howdy, Partner! Auf geht's, Lukas!". Die rauhen Hände des jungen Kriminalisten umschlossen die beiden Rollstuhlgriffe und lenkten das Gefährt samt Insasse zielsicher auf die Tür zu, die dabei quasi in letzter Sekunde geistesgegenwärtig von der hinzugestürmten Lisa Svensson aufgerissen wurde und durch deren Rahmen hindurch Lukas und John Wayne nun auf den Flur gelangten. Auf dem Korridor beschleunigte Powerich die ohnehin schon rasnate Fahrt nochmals und bremste dann recht abrupt vor der Tür mit der Nummer 613. Fast wäre der auf solch ein waghalsiges Manöver keineswegs vorbereitete Ex-Inspektor aus dem Sitz geschleudert worden, aber Johnnyboy Powerich packte ihn im letzten Moment am Hemdskragen. Ein paar Sekunden dauerte es, bis sich beide Mannsbilder von dem kurzen Schreck erholt hatten, dann schaute Lukas zu seinem Fahrer auf und raunte: "Du brauchst nicht auf mich zu warten! Was ich mit Mister Sterns Hilfe zu erledigen hab, braucht ein wenig Zeit! Vielleicht nutzt Du ja die Gunst der Stunde, um unsere beiden Ladies mal auf einen Eiskaffee im heimischen Cafe-Pavillon einzuladen?!". Wieder griff sich John Wayne an seine Hutkrempe und erwiderte dabei augenblinzelnd: "Wird gemacht, Sir! Und Dir für Deine geheimnisvolle Mission derweil schonmal gutes Gelingen! Bin ja gespannt, wohin das Ganze hier wohl noch führt!". Lukas aber senkte den Kopf und nickte verstohlen. Und während er dem bereits pfeifend vondannen ziehenden Powerich nachschaute, flüsterte er leise: "Ich auch, mein Junge! Ich auch!". Aus dem Gedächtnis heraus wiederholte er dazu in Gedanken noch einmal die letzten Worte aus der mysteriösen Nachricht seines Onkels: "Befreie Dein Erbteil behutsam aus jener unwürdigen Umgebung und führe es in Deinem und meinem Namen zum krönenden Abschluß unseres gemeinsamen Lebenswerkes wieder seiner rechtmäßigen Besitzerin zu!". Nun denn, genau das hatte er gerade vor! Einzig und allein der abschließende Nachsatz von Onkel Fritz bereitete ihm noch immer arges Kopfzerbrechen! Was sollte das nur bedeuten, dieses "Hüte Dich dabei jedoch vor demjenigen, der scheinbar mit eiskalter Hand danach greift!". Wen der alte Fritz mit dieser rätselhaften Bemerkung wohl gemeint hatte?! Nun, wenn der Onkel im Nachhinein - wie mit allem bislang - rechtbehielt, dann würde sich auch das wohl schon bald zeigen! Beherzt klopfte der zu allem entschlossene Ex-Inspektor an die vor ihm liegende Zimmertür, die wenige Augenblicke später von einem sichtlich überraschten und höchst erfreuten David Stern geöffnet wurde und sich hinter dem daraufhin zügig eingefahrenen Rollstuhlfahrer Lukas sogleich wieder schloß.

Es verging etwa eine Viertelstunde. Schließlich öffnete sich die Tür des Bewohnerzimmers Nummer 624, und auf den neonröhrenbeleuchteten Flur traten die beiden Svenssondamen, die sich - Yelena rechts und Lisa links bei dem in ihrer Mitte zügig voranschreitenden John Wayne Powerich eingehakt hatten. Zu dritt begaben sie sich nach dem Schließen der Zimmertür schnellen Fußes in Richtung Lift, wo sie auf auf den Heimbewohner Joe Gaubellt trafen, der dort recht nervös auf und ab lief und irgendetwas von "totalem Sieg" und "vernichtender Niederlage" vor sich her brabbelte. John Wayne musterte den merkwürdigen, komplett in hellbraun gekleideten Kauz aufmerksam von oben bis unten, während seine rechte Hand zeitgleich bereits die Taste zum Rufen des Fahrstuhls betätigte. Es dauerte noch anderthalb Minuten, bis der Lift im sechsten Stockwerk angelangt war und seine feminin klingende, computergenerierte Stimme beim langsamen Sich-Öffnen der Türe verkündete: "Sechste Etage. Wohnbereich Fidelitas". Rasch bestiegen Yelena, Lisa und ihr Cowboy die Fahrstuhlkabine, wobei sich im letzten Moment auch Gaubellt zu ihnen gesellte. Letzterer grüßte nun zackig, die Hacken seiner pechschwarzen Schnürstiefel zusammenknallend die beiden Damen, dann wandte er sich mit leicht verächtlichen Gesichtsausdruck John Wayne zu und murmelte dabei leise: "Yankee!". Der Fahrstuhl aber setzte sich in selbem Moment knarrend und ächzend in Bewegung, so daß das abfällige Gemurmel des ehemals äußerst aktiven Rechtsextremisten den anderen Anwesenden überhaupt nicht erst zu Ohren gelangte. Den Rest der etwa dreißigsekündigen Liftreise verbrachten die vier Insassen dann in gemeinschaftlicher Stille, auch wenn ihre Gedanken dabei durchaus weit auseinandergingen. Gaubellt sinnierte mal wieder angestrengt darüber, wie es wohl wäre, wenn ihm in einem Sportpalast Millionen von Gleichgesinnten zujubeln würden - ihm, den man schon von Kindesbeinen an wegen seines Buckels stets gehänselt und verspottet hatte, wobei er sich immer wieder schwor, daß er sich eines Tages an all jenen Spöttern grausam rächen würde. An der Seite eines starken Leiters wollte er ganz England von diesen widerlichen Mißgeburten und mit ihnen vom allem Fremdartigen säubern, wenn nur erst die Zeit dazu gekommen wäre. So hatte man es ihm seit seinem jugendlichen Beitritt zur "Nationalen Initiative Englands", der NIE, immer wieder eingetrichtert und daran glaubte er nun felsenfest - solange vermutlich, bis er wie alle Menschen eines Tages dran glauben müssen würde. Erst dann - wenn es zu spät zur Umkehr war - würde er wohl bemerken, welch schwachsinnigem Irrglauben er damit aufgesessen war und an welche selbstzerstörerische Rattenfängerideologie er den Großteil seines kostbaren Lebens verschwendet hatte. Yelena Svensson, die mit minimalem Abstand hinter Gaubellt stand, bewegten derweil ganz andere Gedanken. Irgendwie machte sie sich immernoch Sorgen um ihren Lukas, der nach dem Erwachen aus seiner kurzzeitigen Ohnmacht plötzlich so ganz anders gewesen war. Wie geheimnisvoll er sich dabei ausgedrückt hatte?! Und was er wohl jetzt im Zimmer von seinem alten Bekannten David Stern gemeinsam mit diesem ausheckte?! Lisa Svensson hingegen hatte noch immer ganz deutlich den Klang des eben gehörten Fahrstuhlglöckchen im Ohr, der sich in ihren Gedanken sogleich in den hellen reinen Klang kirchlicher Hochzeitsglocken verwandelte. Vor ihrem inneren Auge aber bewegte sie sich dabei in einem cremefarbenen Kleid, auf Händen getragen von ihrem Johnnyboy im dunkelblauen Anzug, vom Torbogen einer kleinen Londoner Vorstadtkapelle aus hin zur davor bereitstehenden Pferdekutsche, die die beiden Frischvermählten in die Honeymoonsuite des Londoner Kensington-Hotels und damit in Form eines großen samtweichen Himmelbetts nonstop in den siebeten Himmel der Liebe beförderte. Auch ihr Angebeteter dachte in diesem Moment an eine solche Flitterwochensuite in einem großen Hotel, wobei abwechselnd zu beiden - in der Enge der stickigen Liftkabine dicht an ihn gepreßten - Ladies hinüberblinzelte. Dabei flogen seine Gedanken zurück zu den Tagen seiner exzessiven jugendlichen Sturm- und Drangzeit, als er nach einer durchtanzten Nacht in einem verräucherten Nobeldiscoschuppen die heißbegehrten und stadtbekannten Zwillingsschwestern Paris und Romy erstmal kräftig abgefüllt und dann auch noch gleich im Doppelpack ins Hilton abgeschleppt hatte. Ein Taxi war mit dem flotten, angeheiterten Dreier direkt zum Luxushotel gedüst, wo beim Concierge erstmal fünf druckfrische schottische Hundertpfundnoten, welche der gute Johnnyboy zwei Tage zuvor am Roulettetisch eines Spielkasinos gewonnen hatte, ganz diskret ihren Besitzer wechselten. Der dadurch motivierte Angestellte trug die drei beschwipsten Gäste auf Anraten seines großzügigen Geldgebers nicht ganz wahrheitsgemäß als Geschwister John, Jane und Jill Doe ins Gästebuch ein und sah dabei auch noch wohlwollend darüber hinweg, daß die beiden wasserstoffblondierten Zwillinge aufgrund ihres recht niedrigen Intelligenzquotienten sowie des dafür umso höheren Restalkohols im blauen Blut beim Unterschreiben nur zu jeweils drei Kreuzen in der Lage waren. In der Suite angelangt hatten die Hilton-Sisters, wie John Wayne sie angesichts ihres gemeinsamen Zwischenstop im Nachhinein stets zu nennen pflegte, es dann immerhin noch geschafft, sich in kürzester Zeit sämtliche Edelklamotten vom wohlparfümierten Leib zu reißen. Schien bei den Beiden wohl schon fast soetwas wie ein angeborener Reflex zu sein. Auch Johnboy hatte sich, berauscht vom Alkohol und dem Anblick der gleich doppelt nackten Tatsachen, seiner gesamten Cowboykluft bis auf Socken, Stiefel und Stetson entledigt und war - nach dem raschen Ziehen einer mitgebrachten Koksline - zu den Mädels aufs Bett gekrabbelt, wo er sich dann auf dem Rücken liegend in seiner ganzen bloßen Männlichkeit minutenlang genüßlich im großen Deckenspiegel betrachtete, bevor er sich schließlich für den verbleibenden Rest der Nacht in ständig wechselnden Konstillationen und Stellungen ausgiebig den beiden lallenden unverhüllten Schönheiten zu seiner Rechten und seiner Linken widmete. Am nächsten Morgen hatte er sich dann in aller Frühe heimlich, still und leise aus dem Staub gemacht, die beiden grunzenden Mädels mit zerzausten Haaren und überall angetrockneten Körperflüssigkeiten sowie der noch offenen Zimmerrechnung im total zerwühlten Bett zurücklassend. Ja, so war er früher gewesen - früher, bevor er solide wurde und mit 21 Jahren in den Polizeidienst eintrat. Mit diesem Gedanken kehrte John Wayne aus der Vergangenheit in die Gegenwart und damit auch aus der Weite der einstigen Betthäschenspielwiese in die Enge der jetztzeitlichen Pflegeheimfahrstuhlkabine zurück, wo sein verstohlener Blick ungesehen von Lisa nun geradewegs auf dem Hintern seiner Schwiegerstiefmutter in spe Yelena landete. Der triebhafte Teil seines männlichen Hirns stieß dabei lautlos einen bewundernden Pfiff aus. Man oh man, diese Misses Svensson hatte schon ein heißes Gestell für ihr betagtes Alter. Und auch an anderen Stellen schien bei ihr alles noch recht knackig zu sein, wie sein nun schräg nach oben fortschweifender Blick pfeilschnell registrierte. Powerich schüttelte bei diesen Gedanken innerlich den Kopf hin und her, wobei sich seine an Yelenas blusenverhüllter Oberweite kurzzeitig haftengebliebenen Augen rasch wieder zu lösen begannen. Um Himmels willen! Was tat er denn da?! Diese Frau könnte schließlich seine Mutter sein. Und was noch viel schlimmer war: Sie war sogar im Begriff, in Kürze die Mutter seiner Frau zu sein. Da durfte man soetwas nicht einmal denken, oder?! Ehe er sein Grübeln und seine die verbundenen Selbstvorwürfe vertiefen konnte, öffnete sich vor seiner Nase endlich die Fahrstuhltür, begleitet von einem anmutig computergenerierten "Erdgeschoß. Wohnbereich Adele". Nacheinander traten erst Joe Gaubellt und dann auch Yelena, Lisa und John Wayne ins Freie des Flurs. Jener in drei Richtungen abgehende Flur aber führte sie auf geradem Weg nach ein paar Schritten allesamt zum Foyer und damit auch zum Haupteingang des Heims. Hier trennten sich nun kurzzeitig die Wege der Vier. John Wayne entließ seine beiden weiblichen Begleiterinnen aus der Obhut seiner eingehakten Arme, wobei er ihnen vorschlug, doch schonmal ins Cafe zu gehen, während er draußen vor dem Eingang rasch noch eine Zigarette rauchen wollte. Die Svenssonfrauen nickten einmütig und enteilten. Powerich aber trat daraufhin für ein paar kurze nikotinlastige Lungenzüge ins Freie, während Joe Gaubellt mit vor dem Unterleib zusammengefalteten Händen neben der Rezeption stehenblieb und dort eingehend ein Plakat mit der Aufschrift "Deutsche Wanderausstellung: Entartete Kunst - Nach Berlin, Paris und Rom jetzt auch in London" betrachtete.

Dabei wurde Gaubellt am nahegelegenen Empfangsthresen mittels seiner - noch von früher her auf unauffälliges Lauschen und Bespitzeln bestens trainierten Ohren - Zeuge einer interessanten Konversation, die ein Mann mittleren Alters mit schwarzgetönter Sonnenbrille, einem schwarzen Lederhut und einem recht unansehnlichen dunkelbraunen Trainingsanzug mit gelb-roten Streifen sowie einer breiten Binde mit drei Punkten im gelben Kreis am Ärmel und einem Aufnäher mit der Aufschrift "ASV" über dem Herzen mit einer hinzugetretenen Schwester vom Wohnbereich Adele führte. Die junge Schwester im weißen Kittel erklärte dem braunen Joggingsanzugträger dabei gerade: "Tut mir schrecklich leid, aber ich bin nicht berechtigt, Ihnen Auskünfte über unsere Bewohner zu erteilen. Wenden Sie sich dazu doch bitte an unsere Heimleiterin Miss Smith!". Der Sonnenbebrillte aber gab nicht so leicht auf und raunte leise: "Ach, liebes Schwesterchen Annie, nun seien Sä mal nicht so barsch und sagen Sä mir doch, in welchem Ihrer vielen schönen Appartements mein alter Freund Herr Lukas Svensson wohnt. Gucken Sä mal, Ihr liebreizendes Plappergüschchen kann es mir ja auch ganz leise ins Horchorgan flüstern, damit es kein Anderer nich hört!". Damit neigte er ihr erwartungsvoll sein Ohr zu. Die Pflegekraft aber schüttelte nur energisch den Kopf und erwiderte: "Bedaure, Mister Blindman, aber das werde ich keinesfalls tun. Ich muß mich da strikt an meine Vorschriften halten! Und nun entschuldigen Sie mich, ich habe Feierabend!". Damit entwich die rothaarige Schwester ihrem aufdringlich neugierigen Gesprächspartner. Und während sie forschen Schritts in Richtung der Personalumkleideräume entschwand, erhaschte der sich gerade in ihre Richtung umdrehende Joe Gaubellt noch einen kurzen Blick auf das Namensschild an ihrem Kittel. Annie Walker hieß das temperamentvolle Ding! Doch nicht ihr oder ihrer feuerroten Mähne galt nun Gaubellts plötzlich erwachendes Interesse, sondern jenem Fremden, den sie am Empfang recht verdattert zurückgelassen hatte und der nun bereits wieder auf dem Weg nach draußen zu sein schien. Hatte er bei den kurzen Sätzen jenes Unbekannten nicht das Wort "Herr" sowie einen leichten ostdeutschen Akzent herausgehört?! Aufgeregt klopfte Gaubellt dem im Gehen begriffenen, vermeintlichen Exilostgermanen von hinten auf die Schulter. Der Mann drehte sich ruckartig um, richtete sich samt der verspiegelten Brillengläser ganz auf den unerwarteten Angreifer aus und knurrte schließlich: "Mensch, Kerl, was wollen Sä von mir?". Joe Gaubellt lächelte: "Nun, ich kann Ihnen vielleicht helfen. Sie suchen doch nach unserem heimlichen Leiter und Kamerad, ihrem deutschen Landsmann Herrn Svensson, nicht wahr?!". Sichtlich verblüfft erwiderte der Sonnenbebrillte: "Nu! Und Sä wissen, wo der sich aufhält?!". Das Lächeln von Gaubellt wurde noch breiter, und die Hacken zusammenknallend sprach er mit einem Funkeln in den sonst oftmals so trüben Augen: "Jawoll, das weiß ich! Ich hab zwar die Zimmernummer nicht im Kopf, aber ich kann Sie zu ihm hinführen. Und das, wenn Sie wollen, sogar gleich jetzt sofort!". Leicht erschrocken schüttelte der Brillenträger sein lederbehütetes Haupt: "Nein, danke, aber ich möchte den Kameraden Svensson gern überraschen. Zudem geht es um eine recht heikle Angelegenheit. Darum bitte vorerst noch kein Sterbenswort zu Niemandem! Ich würde Herrn Svensson auch erstmal viel lieber ganz in Ruhe unter vier Augen sprechen, wenn hier nicht soviel los ist wie jetzt. Morgen Nacht vielleicht, wenn das ginge?!". Gaubellt dachte nach: "Ich glaub, nachts verschließen die hier alle Eingänge ganz fest. Da kommt dann keiner mehr raus und erst recht keiner mehr rein! Aber ich weiß zum Glück, daß man die Hintertür zum Teich von innen auch ohne Schlüssel aufkriegt - einfach per Knopfdruck auf einen roten Schalter, rechts neben der Tür". Ein teuflisches Grinsen umspielte die bis dahin nahezu unbeweglichen Gesichtszüge seines unbekannten Gegenüber im Trainingsoutfit: "Sehr schön! Dann werden Sä mich morgen nacht um halb elf an der Hintertür reinlassen, verstanden?!". Wieder knallten Gaubellts gestiefelte Hacken geräuschvoll aneinander: "Zu Befehl, mein Herr!". Er schüttelte dem Lederhut dabei voller Dankbarkeit die Hand. Und während der sportlich anmutende Herr sich rasch wieder von seinem neuen Befehlsempfänger abwendete und in Richtung der besagten Hintertür zum Teich abtrat, murmelte Gaubellt mit stolzgeschwellter Brust: "Endlich wieder eine Aufgabe von nationaler Tragweite für mich! Vielleicht bricht ja jetzt doch unsere Stunde an, die Stunde des letzten Kampfes! Und ich bin an ganz vorderster Stelle mit dabei. Morgen nacht um halb nach Elf!". Joe Gaubellt hatte diesen Gedanken noch gar nicht richtig zuende gedacht, da baute sich vor seiner Nase der eben vom Umziehen nach Schichtende zurückgekehrte Pflegehelfer Adam East vor ihm auf und meinte kopfschüttelnd: "Aber, aber, Herr Gaubellt! Sie wissen doch ganz genau, daß Sie unseren Wohnbereich nur in Begleitung des Personals verlassen sollen, da Sie sich sonst doch nur wieder nach draußen verlaufen und am Ende von der Polizei gesucht und heimgefahren werden müssen. Kommen Sie, ich bringe Sie doch lieber gleich wieder zurück auf Fidelitas". Damit hakte er den anfangs noch etwas mürrischen Senior unter, begleitete ihn bis zum Fahrstuhl und von dortaus mit dem gerade wieder im Erdgeschoß eintreffenden Lift zurück auf seinen, ihm vertrauten Wohnbereich.

Powerich stand derweil immer noch draußen vor dem Heimgebäude im Windschatten des überdachten Haupteingangsbereichs und entzündete mit ruhiger Hand und seinem darin befindlichen silbernen Feuerzeug bereits den zweiten von Ober- und Unterlippe sicher eingekreisten Glimmstengel. Er nahm einen ersten tiefen Zug, wobei er genüßlich die Augen schloß. Dann entfernte er durch Umklammerung des schmalen Zigarettenleibs mit Zeige- und Ringfinger der rechten Hand den glühenden Fremdkörper aus seinem Mund, um durch die sich so bildende Lücke den von seinen Lungen ausgestoßenen Rauch in kleinen Ringen kunstvoll in den eh schon leichtbewölkten Nachmittagshimmel zu entsenden. Ja, das gelegentliche Rauchen und ein guter Schluck goldbraunen Whiskeys zum stilechten Ausklang eines harten Arbeitstages waren die einzigen Laster, die Powerich aus seiner exzessiven Jugendzeit mit ins gesetztere Alter übernommen hatte. Das sowie ein paar kleine Schwächen ... eine für schnelle Autos, eine weitere für die hervorstechenden Reize des weiblichen Geschlechts und eine letzte für jede Art noch von Hand gemachter Musik. Musik, wie sie auch in diesem Augenblick geradewegs aus unmittelbarer Nähe an sein Ohr drang. Neugierig geworden, riß Powerich seine Augen wieder auf und erspähte dabei nur ein paar Meter entfernt einen jungen Drehorgelspieler in einem verschlissenen, fast bis auf den Boden reichenden, schwarzen Ledermantel. Der Mann, dessen ungepflegtes Gesicht nahezu komplett von einem ebenso ungepflegten Vollbart und zwei gigantischen schwarzen Augenbrauen verdeckt wurde, hatte sich mit seinem ungewöhnlichen Instrument direkt vor dem Haupteingang aufgebaut. Zu allem Überfluß trug der Bedauernswerte, wie John Wayne bei genauerer Betrachtung feststellte, auch noch seinen kompletten linken Arm samt der Hand in einem stark angegrauten Vollgipsverband, fest in der Waagerechten gehalten durch eine schwarze Dreiecktuchschlinge um den Hals. Mit der freibeweglichen Rechten hingegen drehte er unentwegt die Kurbel seines arg ramponiertem und auch deutlich in die Jahre gekommenen Leierkastens der Marke "Bell C. Boob", dessen stark angerostete Pfeifen an der Vorderfront unter höllischem Zischen und Fauchen wieder und wieder ein und dieselbe schaurige Melodie hervorbrachten - die jener berühmten Moritat des Mackie Messer aus der Feder der beiden Deutschen Bertolt Brecht und Kurt Weill. Dazu aber krächzte die Stimme des Bärtigen nun aus voller Kehle einleitend: "Geschätztes Publikum, ich bringe Ihnen jetzt die in sechs kleine Häppchen zerteilte, gestochen scharf formulierte Geschichte einer dunklen Gestalt unserer Tage zu Gehör, übertitelt: Die Moritat von Jackie Messer". Unmittelbar daran anschließend sang der Bartträger im Einklang mit der gleichbleibenden Melodieführung des von ihm angekurbelten Instruments seine neuerdichteten Verse: "Die Verträge des Herrn HAI-Fish, ... die bestechen vor Gericht. ... Der Jack-Ripper hat ein Jackknife, ... das auf andre Art besticht! -- Eines frühen Sonntagmorgens ... lag ein toter Mann im Dreck. ... Jemand schlitzte ihm den Bauch auf, ... jenem Opfer namens Jack. --- Und der Leichnam, ... dort im East End, ... war gar schrecklich anzusehn. ... Wie ein Truthahn ausgeschlachtet, ... gleich der Dirne Mary Jane. --- Voll Entsetzen fragt ein jeder ... sich seit jener Nacht im März: ...'Wie kann man so grausam morden? ... Und wo hat dieses Tier sein Herz?'. --- Scotland Yard und viel' Agenten ... schleichen überall herum. ... Solang sie im Dunkeln tappen, ... geht der neue Ripper um. --- So verrinnt nun Stund um Stunde, ... und die Panik setzt sich fort. ... Flüsternd bangt man hier in London, ... ob dies schon sein letzter Mord". Noch ein letztes Mal vollführte die Kurbel an der Seite des hölzernen Drehorgelgehäuses eine große Runde um die eigene Achse, dann schwiegen Leierkasten und Leierkastenmann. Die Umstehenden aber spendeten reichlich Applaus und ein paar, wenn auch eher ärmliche Almosen für den Laienkünstler, während zur selben Zeit auch Adam East und die derweil ebenfalls umgezogene Annie Walker Seite an Seite, angeregt miteinander plaudernd, durch die selbstöffnende Schiebetür am Haupteingang ins Freie traten. Adam East schaute dabei immer wieder zu seiner rothaarigen Kollegin herüber. Plötzlich stoppte er seinen Schritt und fragte das ihm nun enteilende Fräulein: "Sag mal, Annie, hast Du nicht noch Lust auf ein gepflegtes Feierabendbierchen im Pub um die Ecke?!". Die Angesprochene blieb daraufhin ebenfalls abrupt stehen und schüttelte bedauernd den Kopf: "Sorry, aber das geht nicht! Im Fernsehen läuft heute abend das brandneue Movie zu meiner Lieblingsserie Twentyfour als Free-TV-Premiere!". Jetzt schüttelte auch Adam sein leichtgesenktes Haupt: "Also, ich versteh einfach nicht, was Du an diesem Echtzeit-Action-Format so besonders findest!". Die rothaarige Annie zuckte nur kurz mit den Schultern: "Das kann man einem Außenstehenden wie Dir auch nur schwer begreiflich machen. Mich fasziniert nunmal einfach alles daran, und das schon von Beginn an. Vor allem aber gefallen mir die beiden männlichen Hauptdarsteller Kiefer Sutherland und Carlos Bernard. Schade nur, daß die Zwei rein klamottentechnisch meist so umfangreich verpackt sind. Die könnten für meine Begriffe gern auch mal ein bißchen mehr von sich enthüllen. Nun ja, wie man in den gutinformierten Kreisen meines 24TV-Forums munkelt, soll es ja in dem besagten Film zumindest schonmal eine recht heiße Duschszene mit Carlos geben. Und allein deshalb will ich heute abend auch keine einzige Sekunde verpassen! Also dann! Mach's gut, Adam! Schönen Feierabend!". Adam East wirkte zunächst ein wenig enttäuscht darüber, daß ihm seine alte Sandkastenfreundin Annie wegen zweier Schauspieler eine solche Absage erteilte, dann aber faßte er sich rasch wieder und rief ihr hinterher: "Sag mal, hast Du nicht morgen Nachtschicht?!". Annie Walker drehte sich noch einmal zu ihm um und nickte deutlich sichtbar mit ihrem wuschligen Kupferkopf. In Adams Gesicht zog dabei rasch wieder ein Lächeln ein, und er ergänzte lauthals: "Prima! Ich hab jetzt ab morgen nämlich auch Nacht, weil Schwester Ruth sich gerade eben kurz vor Feierabend überraschend krankgemeldet hat. Da können wir uns ja gegen Mitternacht vielleicht mal auf einen Kaffee treffen?!". Nochmals nickte Annie ihm aus der Entfernung zu, dann machte sie auf dem Hacken kehrt und rannte zur nahegelegenen Bushaltestelle, wo bereits ihr Nach-Hause-Bus abfahrbereit auf sie wartete. Adam East hingegen vollführte erst einmal einen kleinen Luftsprung. Dann holte er aus seiner linken Anoraktasche ein Sixpence-Stück hervor, versenkte es behutsam im vor dem Leierkasten bereitliegenden umgedrehten Filzhut des bärtigen Künstlers und zog schließlich - nun auch selbst die doch recht eingängige Mackie-Messer-Melodie vor sich her pfeifend - von einem Fuß auf den andern hüpfend, seines Wegs.

John Wayne Powerich, der der ganzen Szene zwischen Annie und Adam wie all die anderen Umstehenden still schmunzelnd beigewohnt hatte, begrub nun auch die Kippe seiner zweiten aufgerauchten Zigarette unter sanften Druck im feuchten Sandbett eines bereitstehenden Aschers direkt neben den sterblichen Überresten ihrer längsterloschenen Vorgängerin und begab sich daraufhin wieder ins Foyer des Heims, von wo aus er seine Schritte schnurstracks ins Cafe zu den beiden vor ihren Eiskaffees schon sehnsüchtig auf ihn wartenden Damen lenkte. Draußen hingegen trat von der Hauswand her der inzwischen von seiner eingehenden Begutachtung des Hintereingangs zurückgekehrte Sonnebrillenträger im braunen Trainingsdress an den bärtigen Leierkastenspieler mit dem eingegipsten linken Arm heran und flüsterte ihm zu: "Psst! Du, ich hab da gerade eben jemanden getroffen, der uns morgen abend Zutritt zum Heim verschaffen kann - einen Mitbewohner Svenssons". Der Bartträger nickte etwas gelangweilt und zischte schließlich mit recht überheblichem Unterton: "Und während Du, Zweiäuglein, hier irgendeinen halbsenilen Mitwisser als Helfer oder besser gesagt als zusätzlichen Unsicherheitsfaktor in unseren streng geheimen Plan einweihen mußtest, habe ich gerade eben rein zufällig und völlig risikofrei die äußerst aufschlußreiche Unterhaltung zweier Pflegekräfte belauscht, welche mich auf eine Idee brachte, die uns bei geschicktem Vorgehen mit einem Schlag alle Türen ins Heim öffnet und uns außerdem noch Zugang zu sämtlichen heiminternen Personendaten verschafft. Na, da bin ich ja mal gespannt, welche unserer beiden mehr oder minder gut durchdachten Zugangsmethoden zu Svensson und der teuren Marke der Boß wohl bevorzugt!". Damit zog der Bärtige den Leierkasten bis zu einem am Straßenrand bereitstehenden rabenschwarzen Kleintransporter, während ihm sein plötzlich auf seltsame Weise völlig verstummter sonnenbebrillter Freund in gebührenden Abstand gleichsam einem begossenen Pudel nachfolgte. Mit vereinten Kräften verluden die beiden Männer daraufhin wortlos ihr mitgeführtes schweres Musikmöbel im rasch geöffneten und anschließend ebenso rasch wieder verschlossenen Frachtraum. Dann bestiegen sie - der Bärtige auf der Beifahrerseite, der Lederhut auf der anderen Seite - die Fahrerkabine und rauschten in ihrem Transporter vondannen ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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sven1421

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13

Samstag, 15. September 2012, 15:44

INSPEKTOR SVENSSON: ABSCHIEDSVORSTELLUNG

"Die Zeiten ändern sich unentwegt. Was mir eben noch vertraut und bekannt erschien, ist mir plötzlich völlig fremd. Namen und Worte sind Schall und Rauch. Längst vergangen Gedachtes wird mit einem Male wieder brandaktuell. Und eine unglaubliche Bedrohung schwebt einmal mehr über meinem Leben und dem eines von mir geliebten Menschen. Ich bin Inspektor Lukas Svensson, und was nun begonnen hat, sind die unwiderruflich letzten Tage meines Lebens".

EPISODE 13: Und wenn die Nacht kommt

Der nächtliche Himmel war wolkenverhangen, von ferne her vernahm man zusammen mit dem zehnfachen Glockenschlag von Big Ben auch das leise Grollen eines heraufziehenden starken Unwetters. Der ohnehin schon den ganzen Donnerstag über ununterbrochen anhaltende Nieselregen trieb dabei immer dichter werdende Nebelschwaden durch die Straßen von London. Hin und wieder wurden von jenem gräulich undurchsichtigen Dunstschleier in der Nähe vom Haupteingang des außen wie innen nur noch spärlich beleuchteten Pflegeheims "Heavensdoor" einzelne menschliche Wesen in die naßkalte Nacht hinein ausgespien - jene 6 Mitarbeiter der Pflege, die die Spätschichten der sechs einzelnen Wohnbereiche gebildet hatten und nun nach Feierabend den Weg nach Haus antraten. Zurück blieben 142 Heimbewohner und die für sie alleinverantwortlichen 3 Pflegekräfte der Nachtschicht - Fachkraft Annie Walker auf den Wohnbereichen Adele und Bonjour, Pflegehelferin Sandy Bulldog auf den Wohnbereichen Causality und Destiny sowie Pflegehelfer Adam East auf den Wohnbereichen Elesion und Fidelitas. Irgendwo aus der Finsternis tauchte dann knapp eine halbe Stunde später mit einem Male wie aus dem Nichts auf der regennassen Straße vorm Gebäude erneut jener kohlrabenschwarze Kleintransporter auf, der noch am späten Nachmittag des Vortags mitsamt dem gipsarmigen Leierkastenmann und seinem vermeintlich sehbehinderten Begleiter von just der gleichen Stelle abgefahren war. Der Minilaster bog langsam in die rückwärtige Einfahrt des Pflegeheims ein, wo er schließlich nahe des Hintereingangs zum Stehen kam. Und während der Fahrer im Innern der Kabine noch rasch den Motor abstellte und dann den Zundschlüssel abzog, angelte sich sein Nebenmann mit links ein Hightech-Nachtsicht-Fernglas aus dem Handschuhfach, führte es sich vor Augen und nahm damit die gläserne Front um die Hintertür zum Heim minutenlang genaustens in Augenschein. Anschließend legte er das Glas wieder ins Fach zurück, warf einen vorwurfsvollen Blick auf seine Armbanduhr und stellte dann leicht zähneknirschend mit einem recht unverhohlen triumphierenden Unterton in der rauhen Stimme fest: "Na bitte, es ist bereits 22 Uhr und 39 Minuten, und im ganzen hinteren Eingangsbereich keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Also, Mister Horch und Kuck, wo ist denn nun ihr als so untertänig und höchst zuverlässig angepriesener nächtlicher Türöffner aus den Reihen der Heimbewohnerschaft. Meine Fresse! Der Typ, dem sie da vertrauen wollten, war vermutlich ein völlig seniler Spinner, der Ihren Auftrag und die Verabredung mit Ihnen schon längst wieder vergessen hat. Wie gut, daß wir da jetzt dank meiner genialen Idee für unser Eindringen noch einen Plan B parat haben". Mit diesen Worten klopfte der Beifahrer mit seiner linken Hand leise gegen die dünne, stählerne Trennwand zum hinteren Frachtraum und flüsterte: "Boß, wir sind da! Vom mysteriösen Schlüsselkind unseres geschätzten dritten Mannes wie zu erwarten keine Spur weit und breit!". Von hinten aber zischte es ebenso leise mit düsterer Stimme zurück: "Ok, dann startet hiermit offiziell unser Masterplan B! Und das bedeutet, daß wir hier einfach nur geduldig abwarten, während da drinnen die von uns geplanten Dinge ihren Lauf nehmen!". Der Mann auf dem Beifahrersitz schaute zum Fahrer herüber, worauf sich beide Männer sogleich zufrieden zunickten und ihre in Blaumänner gezwängten Körper fest in das Leder ihrer Sitze preßten und sich die Basecaps auf ihren Köpfen tief ins Gesicht zogen. Einen Moment lang war es ganz still im Innern des Transporters, dann wisperte der Blaumann auf der Fahrerseite: "Und Du bist Dir auch wirklich sicher, daß dieser senile Tattergreis Svensson die bewußte Marke hat?!". Der Beifahrer schaufte leicht genervt und erwiderte dann: "Menschenskinder! Wie oft denn noch?! Ja, ich bin mir absolut sicher! Schließlich hatte ich ja in der Vergangenheit ausreichend Gelegenheit, den alten Kauz aus nächster Nähe eingehend zu studieren. Und das nicht nur beim Yard, sondern vor allem auch während unserer gemeinsamen Zeit danach. Ich sag Dir, Svensson hat die Marke. Und wir holen sie uns! Und jetzt gib endlich mal Ruhe, Du Spiogenten-Auslaufmodell!". Sein Nebenmann kam jener - mit Nachdruck vorgetragenen - Aufforderung augenblicklich nach, und so herrschte nun wieder absolute Stille im Wageninnern.

Stille herrschte größtenteils auch auf den Fluren der sechs Etagen im nach außen hin gut verschlossenen Pflegeheim, wo die drei Nachtwachen unabhängig voneinander inzwischen ihre ersten Kontrollgänge durch die Bewohnerzimmer abgeschlossen hatten. Lediglich auf Fidelitas saß noch der recht eigensinnige Joe Gaubellt komplett angezogen auf der Bettkante in seinem von zwei gigantischen Flutlichtdeckenscheinwerfern hell ausgeleuchteten Zimmer und erzählte leise vor sich her, wobei während seines Brubbelns - immer wieder doch recht deutlich zu vernehmen - die Zeitangabe "Halb nach Elf" vorkam. Über den Korridor hinweg schlurfte gleichzeitig auch noch die alte Misses Shy in Filzlatschen und einem ihrer ausgeblichenen Nachtkleider, sich mit beiden Händen an den beiderseits beleuchteten Handläufen entlangtastend. Adam East, dem sie während seines kurzen Rundgangs gleich dreimal über den Weg gelaufen war, hatte sie jedes Mal nett und freundlich gegrüßt, ohne allerdings auch nur einmal eine Antwort zu erhalten. Stattdessen summte die alte Frau auf den Boden starrend unentwegt ganz leise jenes "Lied, das niemals aufhört" aus ihrer Lieblingskindersendung vor sich her. Nachtwächter Adam ließ sie gewähren, wußte er doch um das Problem ihrer nächtlichen Schlafstörung, die zweifellos auch in jener längstvergangenen und dennoch nie völlig verarbeiteten, schrecklichen Begegnung mit dem Exhibitionisten im Regenmantel begründet lag. Stattdessen widmete sich Pflegehelfer East im Dienstzimmer am Computer bei einer schönen großen, heißen Tasse Kaffee nun der bewohnerbezogenen Dokumentation seines gerade beendeten ersten Kontrollgangs. Ganz nebenbei überflogen seine Augen zeitgleich auch noch das auf dem Schreibtisch vor ihm liegende DIN-A4-Blatt mit der Dienstübergabe vom Spätdienst, auf dem hinter dem Namen "Lukas Svensson" folgender Eintrag zu lesen war: "Mister S. war heute den ganzen Tag über etwas unruhig. Sämtliche Versuche vonseiten des Personals, ihn wieder zu beruhigen, scheiterten. Auf die von mehreren Pflegekräften vorgetragene Äußerung, daß doch alles ruhig und wie immer sei, erwiderte er stets mit einem Ausdruck fester Überzeugung, das sei lediglich die Ruhe vor dem Sturm! Erst nach dem eindringlichen Hinweis der diensthabenden Schwester, daß sie ihm bei anhaltender Unruhe am Abend das hierfür verordnete Sedativum verabreichen müsse, versprach er, sich zu beruhigen und begab sich dann ohne weitere Schwierigkeiten an der Seite seiner Ehefrau auch recht zeitig zu Bett". Adam East schüttelte innerlich den Kopf. Was seinen spezieller Freund, den Ex-Inspektor, wohl nur wieder umtrieb?! Ob ihn vielleicht der mehrstündige Besuch beim neueingezogenen Mister Stern am Vortag so aufgeregt haben mochte?! Nun ja, wie dem auch sei, beim Rundgang hatten beide Svenssons jetzt jedenfalls ganz tief und fest geschlummert. Und um nicht in Gefahr zu geraten, es ihnen zu dieser nachtschlafenden Stunde am Ende noch unerlaubterweise gleichzutun, nahm Adam gleich noch einen großen Schluck des extrastarken koffeinhaltigen Heißgetränks aus seiner vor ihm stehenden Tasse und hakte dann weiter unermüdlich Bewohner für Bewohner in deren umfangreichen Pflegeplanungen seinen nächtlichen Kontrollgang im PC ab.

Auch im Erdgeschoß, auf dem Wohnbereich Adele, war Annie Walker gerade beim rechnergestützten Abtragen ihrer ersten Kontrollrunde, wobei ihr Blick nebenher immer wieder auf ein auffällig bedrucktes Kuvert im Postfach ihres Wohnbereichs landete. Der pechschwarze Umschlag, der dem ersten Eindruck nach wie eine Postwurfwerbesendung anmutete, trug in der linken oberen Ecke den unübersehbaren Aufdruck "24" in leuchtend goldgelben Digitalziffern. Darunter aber stand weiß auf schwarz zu lesen: "Exklusive und stark limitierte Fanedition! Der brandheiße Carlos Bernard und Kiefer Sutherland Bildschirmschoner von www.V-I-R.us für Ihren PC - mit 24 ausgesuchten exklusiven Aktfotografien der beiden Serienstars! Sofort startbereit vorinstalliert auf einem dem beiliegenden USB-Stick! Kostenlose 24-Stunden-Rund-um-die-Uhr-Service-Hotline unter 555-TRO-JAN-ER inklusive!". Wieder und wieder versuchte Annie Walker ihren Blick von jenem verheißungsvollen Kuvert zu lösen - allein, es gelang ihr einfach nicht! Zu groß war die Versuchung, ihre beiden Hollywoodlieblinge endlich mal oben wie unten herum ganz ohne zu betrachten. Mit zitternden Händen riß sie schließlich den Umschlag an sich und öffnete ihn behutsam am Seitenfalz, worauf ihr aus dem Kuvertinnern sogleich der besagte USB-Stick entgegensprang. Sie nahm ihn und führte ihn zögernd - sämtliche dementsprechende Vorschriften und Verbote ihres Arbeitgebers mißachtend - in den entsprechenden Schlitz des Arbeitsplatzccomputers zu ihren Füßen ein und starrte erwartungsvoll auf den zugehörigen Bildschirm. Der wurde erst schwarz, dann dunkelblau und zeigte schließlich zu Annies Entsetzen statt aufregender nackter Tatsachen die - bei ihr kaum weniger Aufregung verursachende - Textmitteilung: "Die Anwendung CARLOS-KIEFER-PIXXX@VIR.US verursachte innerhalb des Betriebssystems auf ihrem Computer einen unerwarteten Fehler! Um schwerwiegende Datenverluste zu vermeiden, kontaktieren Sie bitte umgehend die in den entsprechenden Programmunterlagen genannte Hotline! Da werden Sie sofort geholfen! VERON A. FELT-BUSH, Generaldirektor von www.V-I-R.us". Nervös knabberte Annie Walker auf ihren dezent rotlackierten Fingernägeln herum und überlegte, was sie angesichts der sich vor ihren Augen abzeichnenden computertechnischen Katastrophe nur tun sollte. Der Monitor riet ihr dazu, eine ihr völlig unbekannte Service-Hotline anzuwählen, die innerbetrieblichen Vorschriften hingegen verlangten in diesem Fall eine unverzügliche telefonische Meldung an die Heimleiterin. Innerlich wägte die völlig verunsicherte Pflegehelferin nun beide Varianten gründlich auf deren Vor- und Nachteile ab und entschied sich am Ende doch, allein ihrer weiblichen Intuition zu folgen, die sie in ähnlichen Situationen eigentlich noch nie enttäuscht hatte. Und so wählten ihre zitternden Finger schließlich die entsprechende Tastenkombination auf dem Zahlenfeld ihres schnurgebundenen Dienstzimmertelefons. Aus dem Hörer aber ertönte erst ein Freizeichen, dann nach einigen Sekunden die leicht verschlafene und dennoch ziemlich schrille Stimme einer Frau: "Ja, bitte! Äh, Smith hier, Miss Sandra Smith! ... Moment, ich mach mir mal ein wenig Licht ... Oh shit, wissen Sie denn überhaupt, wie spät es schon ist?! Sie stören mich hier bei meinem Schönheitsschlaf! ... Ich hoffe mal für Sie, es ist was wirklich Wichtiges!". Diese recht barsche Ansage ihrer aufgeweckten Heimleiterin ließ Annie Walker nur noch nervöser werden, während sie nunmehr stotternd und sich ständig verhaspelnd recht umständlich den vorliegenden Sachverhalt vortrug. Am andern Ende blieb es die ganze Zeit über verdächtig stumm, dann aber keifte es plötzlich wie aus heiterem Himmel umso lauter: "Was? Das ist alles? Und darum rufen Sie mich mitten in der Nacht zuhause an? Mich? Ja, was kann ich denn da überhaupt tun? Kontaktieren Sie gefälligst die Hotline, von der sie eben gesprochen haben. Und lassen Sie mich mit solchen banalen Kinkerlitzchen in Ruhe! Ist ja ungeheuerlich, was Sie sich da erlauben! Also die Sache hat noch ein Nachspiel für Sie, darauf können Sie sich verlassen!". Sprachs und beendete recht ungestüm und abrupt das Gespräch. Annie aber kullerten dank des unnötig harschen Tones ihrer Vorgesetzten minutenlang die Tränchen in Strömen über die Wangen. Schließlich zogen ihre zierlichen Finger ein Papiertaschentuch aus der Seitentasche ihres Arbeitskittels hervor, welches sie recht unbeholfen entfaltete, um sogleich ihren ganzen Kummer mit voller Kraft lautstark hineinzuschnauben. Sie legte das vollgeschniefte Tuch sodann sorgfältig zusammen und tupfte mit einer sauberen Ecke ihre verweinten Augen sowie die geröteten Wangenknochen trocken. Dann warf sie das zusammengeknüllte Einwegtuch in den unterm Fenster bereitstehenden Abfallkorb und wählte nunmehr, wie ihr von oberster Stelle angewiesen, die Nummer der auf dem Briefkuvert angegebenen Hotline.

Vorm Haupteingang des Pflegeheims klingelte und vibrierte noch im selben Augenblick im Innern des geparkten schwarzen Transporters ein vorn auf der Konsole des Amaturenbretts abgelegtes Handy. Der Mann hinterm Lenkrad räusperte sich kurz, dann ergriff er das - vor seinen Augen vom Display her in flackerndem Feuerrot aufleuchtende und dabei immer wieder leicht auf und ab hüpfende - Mobiltelefon und reichte es an den Beifahrer weiter. Der übernahm das Handy mit edr Linken, führte es langsam ans Ohr, drückte nebenbei mit dem Zeigefinger noch rasch die Sprechtaste und verkündete: "Hier die V-I-R.us Service Hotline! Sie sprechen mit Buck Fix. Was bitte kann ich für Sie tun?". Während es aus dem Hörer heraus deutlich hörbar schluchzte und jammerte, nickte der Beifahrer immer wieder mit dem Kopf und blinzelte dabei hin und wieder verstohlen grinsend zum Fahrer herüber. Und als der ungebremste Redefluß am andern Ende dann nach einer gefühlten Ewigkeit endlich zum Erliegen kam, sprach die selbsternannte männliche Servicekraft mit der geschienten Rechten mit heuchlerisch gespieltem Einfühlungsvermögen: "Nur keine Panik, meine Liebe! Das Problem ist uns bereits hinlänglich bekannt. Ihnen kann geholfen werden! Ich schick gleich einen unserer Wagen los, der ist dann mit einem unserer Serviceteams in spätestens 30 Minuten bei Ihnen vor Ort! Wenn Sie unseren drei Männern dann nur noch die Tür öffnen würden?! Den Rest erledigen wir - schnell, diskret und ohne daß dabei irgendwelche Spuren zurückbleiben! Versprochen! Aufwiederhören!". Damit unterbrach sein Daumen durch einen kräftigen Druck auf die rote Hörertaste zielsicher die telefonische Verbindung und schnellte alsdann direkt vor den Augen des Fahrers - vom Rest der handyhaltenden linken Hand weit abgespreizt - in die Höhe. Der Mann am Steuer aber klopfte sogleich gegen die hinter ihm befindliche Trennwand zum Frachtraum und raunte: "Chef, die Kleine hat wie geplant angebissen! Nur noch ein knappes halbes Stündchen, dann bricht der Sturm los!". Draußen aber begann bereits in diesem Augenblick ein geradezu ohrenbetäubendes Donnerwetter, und grelle Blitze durchzuckten fortan in immer kürzeren Abständen die Dunkelheit ...

In der sechsten Etage des Pflegeheims registrierte ein wenig später der eben gerade mit seiner Pflegdokumentation am Computer fertiggewordene Nachtwächter Adam East derweil neben den vor seinem Dienstzimmerfenster aufzuckenden Blitzen und dem sich jeweils anschließenden Grollen des Donners aus Richtung des mit einem Male auch wieder hell erleuchteten Flurs noch ein weiteres erst leises, dann immer lauter werdendes Geräusch. Es handelte sich dabei um eine Art Surren, wie es beispielsweise das motorgetriebene Gebläse im Innern eines Staubsaugers zu verursachen pflegte. Neugierig begab sich der Pflegehelfer auf den Flur, wo geradezu am äußersten Flurende nur die alte Heimbewohnerin Misses Shy in einem der dort bereitstehenden Sessel in sich zusammengekauert zu schlafen schien. Adams Kopf beugte sich daraufhin aus der Dienstzimmertür heraus, und sein Blick wanderte dabei vorsichtig um die Ecke herum in Richtung der anderen Flurhälfte. Hier entdeckte er inmitten des Flures die bezaubernde Reinigungskraft Eva Douce - unter ihrem viel zu kurzen Arbeitskittel mit den umso längeren schlanken Beinen popowackelnd eine elektronische Kehrmaschine vor sich auf dem Linoleumfußboden hin und her schwenkend. Als sich ihr bislang gesenkter Blick dabei mit dem von Adam traf, stellte sie blitzschnell ihr lärmendes Arbeitsgerät ab und winkte dem ihr erst gestern noch auf so eigentümliche Art unterlegenen Pflegehelfer freudig erregt zu. Ihre abgeschaltete Kehrmaschine schob sie schließlich mit einem beherzten Tritt ihrer schwarzen Lederstiefel, die ganz sicher nicht zur üblichen Raumpflegergrundausstattung gehörten, kurzerhand in Richtung Flurwand und lief dann schnellen und dennoch grazilen Schrittes auf Adam East zu, wobei sie ihm schon von weitem zurief: "'Allo, 'allo! Adam, was für eine angenehme Uberraschung, Disch 'ier zu treffen!". Der so lauthals begrüßte Nachtwächter aber legte sich augenblicklich den rechten Zeigefinger auf die zusammengekniffenen Lippen und raunte: "Psst! Nicht so laut, Eva! Sie wecken mir ja sonst noch meine ganzen Bewohner auf!". Eva Douce war dabei inzwischen direkt vor ihm zu Stehen gekommen und drückte ihm dabei ohne Umschweife erst rechts dann links ihre rotgeschminkten Lippen auf seine leichtgeröteten Wangen. Und während der überrumpelte Adam samt immer noch steilaufgerichtetem Zeigefinger vor den schamhaft zusammengepreßten Lippen dabei am ganzen innerlich bebenden Körper äußerlich zur Salzsäule zu erstarren schien, hauchte ihm die schöne Französin leise ins Ohr: "Verzei'ung, mon ami! Daran 'abe isch nischt gedacht! Isch verspresche Dir 'och und 'eilisch, wir zwei Beide werden ab jetzt auch ganz leise sein! Ubrigens, wenn Du willst und wenn Du Zeit 'ast, dann können wir 'eute nacht unsere Verabredung mit dem Abendessen einlösen?!". Langsam löste sich unter dem warmen Hauch ihres Atems an seinem Ohrlappen jene spontane Versteifung an nahezu allen Stellen von Adams Körper wieder, und seine - sich vom eigenen Fingerzeig mühsam befreienden - Lippen stammelten aufgeregt: "Ja, ich ... ich will! Und wie ... wie ich ... ich will! ... Nur wie ... und wo ... und womit?! ... Ich hab ... hab nur meinen ... meinen Saft ... eigenhändig frisch gepreßt ... O-Saft, Du verstehst!". Eva nickte, wobei ihr langes Haar nach allen Richtungen ungestüm hin und her wedelte: "Oui, oui! Isch verstehe! Du 'ast das O und isch 'abe das A! A wie Apfel! Isch 'ätte da zwei schöne große Apfelchen für Disch! In der Besenkammer, wenn Du mal schauen möchtest! Deinen süßen Saft kannst Du gern mitbringen!". Wieder begann ihr kittelbedecktes Fahrgestell, vor seinen weitaufgerissenen Augen auf und ab zu wackeln. Und während sich ihre ledern umstiefelten Beine langsam in Richtung der besagten - ebenso engen wie auch fensterlosen - Besenkammer entfernten, warf sie ihm mittels eines leichten Kopfverdrehens nach hinten noch einmal einen Augenblick lang einen langen schmachtenden Blick ihrer leicht zwinkernden Augen zu. Er aber entriß seinem, im Dienstzimmer abgestellten Rucksack in aller Eile die Flasche mit dem Orangensaft. Dabei vergaß er dank der Schmetterlinge, die mit einem Male in seinem Bauch zu flattern begannen, alles um sich herum - sogar daß sein Universalschlüssel noch in der offenstehenden Dienstzimmertür steckte - und lief ihr nach, die Besenkammertür hinter ihr und sich wenige Sekunden später leise ins Schloß mit dem noch von außen steckenden Schlüssel Evas fallen lassend.

Draußen vorm Heim war unterdess geraume Zeit vergangen - Zeit, in der das Prasseln der unzähligen Regentropfen gegen die von außen einseitig abgedunkelte Frontscheibe des schwarzen Transporters stetig an Intensität zugenommen hatte. Der versteinert anmutende Blick, der sich gleichsam durch seine Sonnenbrille wie auch durch die von dem Meer von Himmelstränen immer undurchsichtiger werdende Glasfront hindurchzubohren schien, ließ den Fahrer inzwischen auf seltsame Art und Weise irgendwie völlig geistesabwesend wirken, so als sei er in seinen dunklen Gedanken weit vom Ort des eigentlichen Geschehens entfernt. Erst das mehrmalige recht unsanfte Anstoßen seiner Schulter durch die geballte linke Faust seines Nebenmanns ließ ihn schließlich mit einem Male jäh in die Realität zurückkehren, wobei er seinen Beifahrer leise murmeln hörte: "Sag mal, träumst Du schon wieder? Wo bist Du bloß andauernd mit Deinen Gedanken? Manchmal scheint es mir so, als wärst Du ein völlig Anderer, seit Du letzten Sonntag noch bis spät in die Nacht hinein mit IHM unterwegs warst!". Bei dem Wort "IHM" deutete der Beifahrer dabei mit dem Zeigefinger der linken Hand recht unverhohlen hinter sich in Richtung des hinter der stählernen Trennwand befindlichen Frachtraums des Kleintransporters. Der Fahrer schaute grimmig, wobei seine Finger im Takt des Regentropfenklopfens am Fensterglas vor ihm nervös auf dem Lenkrad herumzutrommeln begannen: "Das geht Dich einen feuchten Dreck an! Was bildest Du Dir eigentlich ein! Wir bilden hier allesamt nur eine kurzzeitige Interessengemeinschaft, und die macht Dich weder zu meinem besten Freund noch zu mein Seelenklempner oder Beichtpfaffen!". Vom Transporterfrachtraum her ertönte im selben Moment ein lautes Pochen gegen die Trennwand, worauf eine finstere Stimme leise zischend anmahnte: "Zum Teufel mit Euren ewigen Streitereien, Ihr Satansbraten! Nicht, daß mich das verbale Sich-an-die-Kehle-Gehen, das Sticheln und das Sich-gegenseitig-Zerfleischen großartig stören würden! Nein, im Normalfall würde ich derlei nur allzu menschliche Regungen sogar höllisch genießen. Aber im Moment gibt es halt Wichtigeres! Also los, die halbe Stunde ist jetzt um, unsere Zeit ist gekommen!". Eine Sekunde später wurde die Hecktür vom Frachtraum aus aufgestoßen, und ein dritter Blaumann mit einem Metallkoffer und einer Plasiktüte in Händen entsprang dem Innenraum des Transporters. Nahezu zeitgleich wurden auch die vorderen Türen rechts und links der Fahrerkabine aufgestoßen, durch welche auch Fahrer und Beifahrer in ihren blauen Overalls aus dem Fahrzeug kletterten und sich draufhin raschen Fußes nach hinten zu ihrem dritten Mann begaben. Der Blick des sonnenbebrillten Fahrers landete dabei sofort auf der Plastiktüte, die jener mysteriöse Dritte in seiner Linken hielt, und ganz aufgeregt begann er zu stammeln: "Mei ... Mei ... Meister! Ist da ... da ... da ... das Geschenk für ... für die ... die ... diesen Svensson drin?!". Die sonst so starren Gesichtszüge des Mannes mit der Tüte umspielte mit einem Male ein teuflisches Grinsen, wobei er erwiderte: "In der Tat, mein Bester! Und ich bin mir sicher, dieser Svensson wird - wenn er unser kleines, wahrlich so recht von Herzen kommendes Mitbringsel sieht - ganz außer sich sein! Ähnlich wie Du, als wir es ihm neulich nachts noch rasch gemeinsam besorgt haben!". Ein heftiges Nicken kam vonseiten des Brillenträgers, während der Blaumann mit dem geschienten rechten Arm leicht entrüstet einwarf: "Geschenk?! Was denn für ein Geschenk, in drei Teufels Namen? Das ist doch hier kein seniler Greisengeburtstag, zu dem wir gehen!". Seine beiden Mitstreiter aber grinsten nur und schwiegen. Dann schloß der Sonnenbrillenträger noch rasch die Tür zum Frachtraum, und die drei Männer setzten sich - angeführt vom rechtsseitig deutlich hinkenden Kofferträger mit der Plastiktüte - gemächlichen Schrittes auf leisen Sohlen seitlich um den recht ausgedehnten Komplex des Heimgebäudes herum in Marsch. Dank der oberflächlich ausgeprägten Imprägnierung ihrer blauen Arbeitskluft-Einteiler und der zugehörigen blauen Basecaps auf ihren Köpfen gelang es dem merkwürdigen Dreiergespann dabei, trotz des strömenden Regens relativ unbeschadet bis zum Haupteingang zu gelangen. Dort aber wurden sie bereits von der - ihnen von innen her aufgeregt zuwinkenden - Nachtwache Annie Walker sehnsüchtig erwartet. Der Sonnenbrillenträger und der Gipsarm drückten vor Annies erwartungsvollen Augen ihre Oberkörper gegen die Front der noch fest verschlossenen Panzerglasschiebetür, wobei die laminierten Pappkärtchen, welche in Brusthöhe der Arbeitsanzüge der Beiden angesteckt waren, sie in großen schwarzen Druckbuchstaben als Mike Rosoft und Mack Inntosh - jeweils mit dem darunter etwas kleiner aufgedruckten Zusatz "VIR.US Servicemitarbeiter" - auswiesen. Zufrieden nickend öffnete die rothaarige Nachtwächterin den drei Männern per Knopfdruck die Eingangstür und verriegelte sie hinter ihnen sogleich wieder elektronisch. Jeden der Drei hieß sie daraufhin mit einem kräftigen warmen Händedruck willkommen und brachte sie sodann schnurstracks über Foyer und Flur um die Ecke ins Dienstzimmer des Wohnbereichs Adele. Hier stellte sich Annie nun auch noch der Kofferträger unter dem etwas utopisch anmutenden Namen Dalek Cybermen vor, wozu er - mit seinen eisige Kälte ausstrahlenden Augen lüstern ihren Körper abtastend - ergänzte: "Aber Du kannst mich auch gern Lekki nennen, Kleines, so wie es alle meine Freunde und Freundinnen tun!". Annies unschuldiges Lächeln schwand bei diesem klar zweideutigen Angebot von einer Sekunde auf die andere - ebenso, wie ihr im nächsten Moment auch die Sinne schwanden, als ihr der Sonnenbrillenträger im Gefolge des vermeintlichen Mister Cybermen von hinten die Kanüle einer in seiner Brusttasche mitgeführten und mit einem Betäubungsmittel randvoll gefüllten Plastikspritze mit voller Wucht durch den Kittel hindurch in die rechte Brust stieß. Die Augen verdrehend, sackte die anmutige Nachtwache wie in Zeitlupe in sich zusammen - im letzten Moment aufgefangen vom linken Arm jenes Gipsträgers, auf dessen geschienter Rechten ihr süßer Hinterkopf mit dem vollen roten Haar noch kurzzeitig zu erliegen kam, bevor er auf dem kalten Linoleum des Dienstzimmerbodens vorerst zur unsanften Ruhe gebettet wurde. Derjenige aber, welcher sich Cybermen nannte, ging neben ihr in die Knie und senkte ihr dabei sein Haupt entgegen, seine Nase für einige Sekunden inmitten ihrer kittelbedecktes Brüste versenkend. Geräuschvoll atmete er dabei mehrmals tief ein und aus, dann erhob er erst seinen Kopf und dann auch den Rest seines Körpers wieder und stöhnte leise: "Wie bittersüß! Ihren jungen Körper bedeckt ein zarter Hauch von Hugo Kleins neuster Parfümkreation - mein absoluter Favorit: Versuchung. Teufel noch, mein schönes Kind! Ich wünschte, Du wärst mein, und ich hätte etwas mehr Zeit, um in Dein Innerstes vorzudringen und mich am Zucken Deines jungen Fleisches und am berauschenden Geschmack all Deiner körpereigenen Säfte zu ergötzen - so wie einst bei Deiner dunkelhaarigen Namensvetterin, jener erst durch mein Zutun zu weltweit unrühmlicher Bekanntheit gelangten Dirne aus dem East End. Doch für den Moment ist mir das leider nicht vergönnt! Vielleicht komm ich ja später noch einmal, nun ja, auf Dich zurück!". Seufzend ließ er von ihr ab und widmete seine ungeteilte Aufmerksamkeit stattdessen nun seinem Mitstreiter mit dem Gipsarm, der inzwischen am Dienstzimmerschreibtisch vorm Computer platzgenommen hatte und dort ununterbrochen eifrig in die Tasten hämmerte. Es dauerte ein paar Minuten, dann drehte sich der Schreibtischtäter zu seinen beiden Hintermännern um und verkündete freudestrahlend: "Na bitte, ich hab's! Unser kleines elektronisches Holzpferdchen hat bei seinem heimlichen Eindringen in die ausgeklügelte Heim-Computer-Pflege-Software ganze Arbeit geleistet! Et voila, hier die von uns gesuchten Bewohnerdaten: Ehepaar Lukas und Yelena Svensson - Sechster Stock, Wohnbereich Fidelitas, Zimmer Nummer 624!". Mit diesen Worten sprang er auf, lief an seinen Mitstreitern und der am Boden liegenden Annie vorbei auf den Flur und drückte nacheinander die Schaltknöpfe rechts neben den beiden Fahrstühlen, worauf sich binnen weniger Sekunde vor ihm beide Fahrstuhltüren nahezu synchron auftaten und deren sanfte Computerfrauenstimmen in feinstem, minimal zeitversetztem Stereoton verkündeten: "Erdgeschoß. Wohnbereich Adele". Die beiden anderen Blaumänner hatten derweil die betäubte Nachtwache Annie Walker an Armen und Beinen ergriffen und aus dem Dienstzimmer heraus über den Teppichboden des Flurs hinweg zum rechten Aufzug geschleift, in dessen Innerem sie ihren schlaffen Körper nun rasch ablegten, um dann selbst wieder aus dem Fahrstuhlkabine herauszutreten. Der Lift mit der am Boden liegend Zurückgelassenen schloß sich daraufhin binnen weniger Sekunden unter dem zufriedenen Nicken der vor ihm versammelten Mannschaft, die sogleich zu dritt den anderen Fahrstuhl bestieg und sich samt Koffer und Plastiktragetasche per Knopfdruck unverzüglich ins oberste Stockwerk verfrachten ließ.

In der sechsten Etage angekommen, öffneten sich nacheinander beide Lifttüren zum Klang der entsprechenden Computeransagen wieder. Und während Annie Walker im rechten Aufzug aufgrund ihres unveränderten Zustands so gar keine Anstalten machte, den Lift zu verlassen, betraten nebenan die drei Männer den hellerleuchteten Flur des Wohnbereichs. Der Kofferträger stellte dabei seinen Koffer ganz vorsichtig in aufrechter Position direkt zwischen die eingebaute Lichtschranke der Fahrstuhltür. Dann hielt er kurz inne und lauschte, wobei er ein leises Kichern und Tuscheln sowie ein etwas deutlicheres Schnarchen aus dem um die Ecke gelegenen Flurabschnitt vernahm. Mittels weniger Handzeichen gab er seinen Mitstreitern zu verstehen, daß sie die Lage auf den beiden - vom schräg vor ihnen befindlichen Dienstzimmer aus rechtwinklig abgehenden - Flurenhälften sondieren sollten, wobei der Gipsarmige den Flurabschnitt mit den Geräuschen und der Sonnenbebrillte die geräuschlose Flurhälfte zugewiesen bekam. Der Koffermann selbst stellte nun auch die mitgeführte Plastiktüte langsam vor sich ab und entriegelte dann kurzerhand die beiden Metallschlösser des aufgestellten Koffers, der daraufhin aufsprang und den Blick auf sein Inneres preisgab, welches aus einer Handgranate sowie einer Unmenge verschiedenartigster Handfeuerwaffen und der zugehörigen Munition bestand. Der Mann mit dem Hinkefuß entnahm dem Koffer drei Pistolen, die er in aller Ruhe mit der entsprechenden Munition bestückte und dann in den seitlichen Hosentaschen sowie in der Brusttasche seines blauen Overalls verstaute. Anschließend verschloß er den Koffer wieder und stellte ihn erneut inmitten der Lifttürlichtschranke auf, um so den Fahrstuhl zu blockieren. Im Anschluß begab er sich zum anderen Aufzug, den er nun per Knopfdruck ebenfalls herbeirief. Dessen Tür tat sich vor seinen kalten Augen schon nach wenigen Momenten auf, um im Fahrstuhlinnenraum den Blick auf die noch unverändert niedergestreckt daliegende Annie freizugeben. Ihren schlaffen Oberkörper zog der angebliche Cybermen sogleich an den roten Haaren hoch und plazierte ihn dann direkt vor dem Sender der eingebauten Lichtschranke inmitten der damit nun ebenfalls blockierten Lifttür. Der Gipsarm hatte inzwischen in seinem, ihm zugeteilten Flurabschnitt sowohl die alte Frau im Sessel schon aus der Ferne als Urheberin des Schnarchens ausgemacht als auch die Besenkammer als Quelle des ominösen Kicherns und Tuschelns gefunden. Er lauschte nun noch kurz an der Besenkammertür, dann drehte er ganz sachte den, von außen steckengelassenen Schlüssel im Türschloß herum und schlich letztlich wieder um die Flurecke herum zum Fahrstuhl zurück, wo er seinem hinkenden Boß flüsternd vermeldete: "In meinem Abschnitt alles ruhig! Schnarchende alte Frau am Flurende im Sessel stellt nach meiner Einschätzung keine Gefahr dar. Nachtwache und weitere Person wurden in einer Besenkammer eingesperrt und damit fürs Erste ebenfalls unschädlich gemacht!". Auch der Sonnenbebrillte kehrte in dieser Sekunde von seinem Erkundungsgang zurück und machte dem nunmehr schwer bewaffneten Anführer strammstehend Meldung: "Meister, in meinem Abschnitt alles still! Zimmer Nummer 624 wurde ebenfalls ausgemacht!". Der Empfänger der beiden Meldungen nickte zufrieden, übergab seinen Berichterstattern dann je eine der Pistolen, die er nun wieder aus seinen Blaumannseitentaschen hervorholte, nahm seine abgestellte Plastiktüte wieder an sich und zischte: "Na, dann kann's ja losgehen! Ihr Zwei entnehmt jetzt noch die mitgeführten Strickenden aus den Brusttaschen Eurer Overalls und verschnürt in beiden Flurabschnitten die Türklinken der Treppenhauszugangstüren mit den Querstreben des jeweils nächstgelegenen Handlaufs - und zwar so fest, daß kein Eindringen von außen mehr möglich ist. Und dann statten wir dem trauten Heim der Svenssons ganz ungestört einen kleinen nächtlichen Besuch ab! Schließlich haben wir Drei ja, mal ganz abgesehen von der uns vereinenden Suche nach einer kostbaren Briefmarke, alle zusammen und auch jeder für sich noch die eine oder andere Rechnung mit ihnen offen!". Dabei berührten seine knochigen Finger eine kleine Narbe, die unterhalb seines Haaransatzes an seiner Stirn zurückgeblieben war und die ihn dabei schmerzlich an sein letztes, recht unsanftes nächtliches Zusammentreffen mit dem Ex-Inspektor Lukas Svensson erinnerte.

Nur wenige Minuten später standen die drei blauen Jungs direkt vor der Zimmertür Lukas Svenssons, bereit ihm das Wertvollste zu nehmen, was er momentan in ihren Augen besaß. Und während der Sonnenbebrillte wie auch sein Anführer mit der Plastiktüte in der Hand dort bereits aus den Overalls schlüpften, sicherte der Gipsarm mit der Pistole im Anschlag den Flur gegen - möglicherweise doch noch aus den unzähligen Bewohnerzimmern auftauchende - ungebetene Gäste. Der Mann mit der Sonnenbrille, der zum Abstreifen seiner blauen Ummantelung kurzzeitig in die Hocke gegangen war, tauchte von dort nun wieder im bereits bekannten braunen Sportoutfit mit den gelbroten Streifen auf. Er öffnete dabei sogleich unter sachtem Druck auf die Klinke die Tür zum Zimmer 624 einen Spalt weit, wodurch ein schmaler Lichtstreifen des grellen Flurlichts nun auch ins Zimmer fiel und sich auf dem, an einer der Wände stehenden Doppelbett die Konturen des unter der Bettdecke eng aneinander gekuschelten, seelenruhig schlummernden Svenssonehepaars abzeichneten. Auf leisen Sohlen betrat der Brillenträger im Trainingsdress das Zimmer, gefolgt vom einseitig leicht hinkenden Mann mit der Plastiktragetasche, der hier nun statt in dem schnödem Blau einer Servicekraft in einem edlen Maßanzug aus feinstem bordeauxroten Samt erschien. Vorsichtig öffnete der Hinkefuß mit seinen recht knochigen Fingern dabei die mitgeführte Tüte und übergaben seinem sportlichen Mitläufer nacheinander zwei - jeweils randvoll mit einer eigenartig trüben, gelbgrau verfärbten Brühe angefüllte - gläserne Behälter. Jene, auf den ersten Blick wie simple Einmachgläser anmutenden Gefäße wurden auf ein paar kurze Fingerzeige des Anzugträgers hin von seinem braunen Sportsfreund auf den beiden Nachttischen an den Kopfenden des Svenssonehebetts platziert - eines auf der Nachttischplatte von Yelena, das andere auf der von Lukas. Bei letzterer mußte der Sonnenbrillenträger dazu zunächst einmal vorsichtig einen Topf mit einer lächelnden Sonnenblume samt Untertopf sowie einen äußerst wertvoll anmutenden - selbst bei den spärlichen Lichtverhältnissen noch auffällig glitzernden - silbernen Armreif beiseite schieben. Er tat dies mit ausgesprochener Sorgfalt und der fast geräuschlosen Fingerfertigkeit eines Meisterdiebs, während sein Geschäftspartner im dunkelroten Edelzwirn ihm den Rücken zukehrte und sich auf leisen Sohlen zum Lichtschalter neben der Zimmertür begab. Dort angekommen, wartete er noch, bis sein finster dreinblickender Kumpan mit der Mission zum Gläseraufstellen wieder ein paar Schritte vom Nachttisch Lukas Svenssons zurückgetreten war, dann legte er mit einer Hand den Schalter um und schlug mit der anderen gleichzeitig die Zimmertür zu. Der dadurch verursachte Krach weckte sowohl Lukas als auch Yelena, die sich erst einen Moment lang blinzelnd ihre geblendeten Augenpaare rieben, um dann im Angesicht ihres unerwarteten nächtlichen Besuchs quasi in selber Sekunde mit ihren spärlich bedeckten Oberkörpern von ihrer gemeinschaftlichen Lagerstatt hochzuschnellen. Lukas Svensson rief dabei empört: "Was fällt Ihnen denn ein? Wer sind Sie überhaupt, und was wollen Sie von uns?". Und seine Ehegattin zu seiner Rechten - die inzwischen mittels der rasch hochgerissenen Bettdecke krampfhaft versuchte, den tiefen Ausschnitt ihres dünnen Seidennachthemdchens notdürftig zu bedecken - ergänzte kaum weniger entrüstet: "Sie auf Stelle verlassen Zimmer von uns, sonst ich mit Notklingel werden rufen die Pfleger von Nachtschicht!". Der Anzugträger an der Zimmertür aber grinste nur, dann richtete er seine - blitzschnell aus der Hosentasche hervorgezogene und bereits entsicherte - Waffe auf Yelenas Kopf hin aus und zischte: "Aber, aber, meine Lieben! Wer wird denn solch ein höllisches Spektakel machen zu so nachtschlafender Stunde?! Der Pfleger ist ja eh grad anderswärtig verhindert. Geschlossene Gesellschaft, Sie verstehen?! Sie wecken mir hier am Ende also nur noch unnötigerweise all Ihre armen, unschuldigen Mitbewohner auf! Und das wollen Sie doch nicht, oder?! Außerdem wär es ja auch zu schade, wenn ich Ihnen - nur um Sie Beide dadurch ein wenig zu beruhigen - zwei häßliche kliene Löcher in die Stirn verpassen müßte, oder?!". Mit diesen Worten trat er zugleich aus dem etwas schattigen Halbdunkel der Türnähe heraus, mitten hinein in den Lichtkegel der Deckenlampe über dem Fußende des Bettes. In diesem Moment erkannte der kurzzeitig verstummte Lukas jenen uneingeladenen, bedrohlichen Besucher und schrie: "Cypher! Ich wußte doch gleich, daß mir die Stimme irgendwoher bekannt vorkam! Sie sind Lou Cypher, der Mistkerl, den ich vor geraumer Zeit mit dem Wurf eines Handys zur Strecke brachte, nachdem er versucht hatte, mit Hilfe eines grausam mißhandelten Obdachlosen mittels eines nuklearen Infernos die ganze Menschheit auszurotten!". Der Mann im Anzug nickte: "Ganz recht, und genau das hab ich immer noch vor! Aber zuvor einmal geht es um etwas anderes! Zuerst einmal übergeben Sie mir jetzt nämlich jene königliche Kostbarkeit, in deren Besitz Sie eh nur rein versehentlich gelangt sind!". Lukas Svensson zuckte nur müde mit seinen Schultern: "Königliche Kostbarkeit?! Tut mir leid, aber ich hab keinen Schimmer, wovon Sie da reden!". Cyphers Gesichtsausdruck verfinsterte sich schlagartig: "Wovon ich rede?! Von der blauen Mauritius, die dieser Sebastian Fritz als Diener der Queen in unserem Auftrag aus ihrem Besitz entwenden sollte. Im Grunde genommen war die ganze Sache ein Kinderspiel, denn dank seiner exzessiven Spielsucht stand Fritz - der als langjähriger, vertrauenswürdiger Angestellter im Buckingham Palace jederzeit uneingeschränkten Zugang zum Aufbewahrungsort der Briefmarke hatte - bei mir in meinem Londoner Casino '6-6-6' schon monatelang mit über sechstausend Pfund in der Kreide. Ich setzte also während einer kleinen intimen Unterhaltung mit ihm die Dauemschrauben ordentlich fest an, drohte ihm mit der Polizei und einem Skandal in der Öffentlichkeit und brachte ihn so ziemlich ins Schwitzen. Tja, was soll ich sagen: Der Mistkerl stahl die Marke zwar wie verabredet, aber noch in derselben Nacht erleichterte er bei einem Pfaffen im Beichtstuhl sein Gewissen und tauchte dann irgendwo unter. Es kostete mich einige Zeit, bis ich ihm in der Nähe der deutschen Hauptstadt endlich wieder auf die Spur kam. Dort setzte ich einen meiner fähigsten Leute auf ihn an, und der fand recht schnell eine Verbindung zu einem gewissen Fritz Salomon, Ihrem Onkel. Offensichtlich waren Sebastians Vater und Ihr Onkel in Ostpreußen einmal Hofnachbarn gewesen, bevor die Fritzens damals kurz vor Hitlers Machtergreifung nach England auswanderten. Was lag da wohl näher, als daß er dem alten Bekannten seines Vaters, Ihrem Onkel, auch jene wertvolle Marke anvertraute, Und der ließ sie dann per Brief wiederum Ihnen zukommen". Wieder zog Lukas Svensson seine Schultern nach oben: "Nette Geschichte, Cypher! Aber mein Onkel ist leider tot, und ich hab auch nie einen Brief mit einer blauen Marke von ihm erhalten!".

Unter leisem Knarren öffnete sich in diesem Moment noch einmal kurz die Zimmertür, und der dritte Mann trat hinzu. Im Halbdunkel konnten Lukas und Yelena Svensson zunächst nur einen schwarzen Mann in einem ebenso schwarzen, langen Ledermantel erkennen, der noch im selben Augenblick mit verächtlichem Lachen verkündete: "Das glaubt Ihnen doch kein Mensch, Sie alter Narr! Ich kenne Sie schließlich gut genug, um zu wissen, daß Sie uns hier nur etwas vorzuspielen versuchen. Und auch Ihren Onkel hatte ich seinerzeit in der Badewanne, mit dem Rasierer in der Hand, im Angesicht des nahenden Todes schon fast soweit, mir zu verraten, wo und wie er die von seinem Freund Basti erhaltene Wertmarke versteckt hielt. Nur zu blöd, daß der alte Sack mir den Rasierer vorschnell aus der Hand zu reißen versuchte, wobei das Ding ihm beim Eintauchen ins Badewasser mit einem heftigen Stromschlag ein wenig vorschnell das Lebenslicht ausblies". Nun trat auch der Schwarzmantel zu seinen beiden Kumpanen ins helle Licht der Deckenlampe und riß sich dabei mit einem Ruck seinen, eh nur angeklebten Vollbart aus dem mehrfach vernarbten Gesicht, worauf ihm Yelenas weitaufgerissene Augen entsetzt entgegenzustarren begannen. Ihr Ehemann aber ballte vor den Augen des nunmehr Bartlosen beide Fäuste und brüllte: "Crawler, Sie verfluchter Hundesohn! Ich habs doch gewußt, daß Sie noch leben! Und dafür, daß Sie meinen armen, alten Onkel auf dem Gewissen haben, werden Sie noch büßen, das schwöre ich Ihnen!". In diesem Moment trat Lou Cypher asu dem Hintergrund einen Schritt auf das Fußende des Betts zu und fuchtelte dabei recht ungehalten mit seiner Waffe vor den Augen des Svenssonpaares herum: "Schluß jetzt! Genug geschwätzt! Und Sie, Svensson, rücken augenblicklich die Briefmarke raus! Oder aber es rächt sich hier und jetzt am noch recht tadellos erhaltenen Leib Ihrer süßen Frau Gemahlin, daß Sie mich seinerzeit auf so schändliche Art zur Strecke gebracht haben! Dank unseres gemeinsamen Freundes Henry Fist wissen Sie ja sicher noch, wozu ich diesbezüglich so alles in der Lage bin!". Rasch zog der Ex-Inspektor seine vorgehaltenen Fäuste zurück. Er wurde mit einem Male ganz blaß im Gesicht und schüttelte dabei erschrocken seinen spärlich behaarten Kopf: "Nein, um Himmels willen! Das dürfen Sie nicht! Ich geb Ihnen ja schon, was Sie verlangen!". Damit griffen seine nunmehr zitternden Hände unverzüglich zur Schublade seines Nachttischs, die er hastig aufzog, um daraus alsdann sogleich den bewußten Brief seines Onkels mitsamt der blauen Markierung im rechten oberen Eck ans Licht zu befördern und ihn Cypher ruckartig entgegenzustecken. Der aber gab mit seiner freien Hand dem sportlich gekleideten Spießgesellen zu seiner Rechten einen kurzen Wink, woraufhin dieser sich die Sonnenbrille auf die Stirn hochschob und den Umschlag aus Svenssons ausgestreckten Händen kurzerhand an sich zu bringen versuchte. Der Ex-Inspektor aber hielt das Kuvert fest umklammert und raunte: "Warum sollte ich gerade Ihnen so eine kostbare Ware übergeben?! Ich kenn Sie ja noch nicht mal! Wer sind Sie denn eigentlich?". Der braune Sportsmann starrte Svensson mit seinen zwei unterschiedlich gefärbten und keineswegs blinden Augen grimmig an und knurrte: "Ich kenne Sä dafür umso besser! Sä ahnen ja gar nich, wie nah ich Ihnen schon einmal war! So nah, daß ich Ihnen ohne Probleme schon damals mit einer einzigen Bewegung meines Zeigefingers das Lebenslicht ein für alle Mal ausknipsen hätte können, nich wa?! Aber mein Auftrag, der galt damals leider einer anderen Person, so wie ich auch heute wieder ganz jemand anders im Auge hab als Sä, mein Gutster!". Im selben Moment tippte Yelena ihrem Mann auf die Schulter und flüsterte: "Du lieber ihm schnell übergeben das Brief! Ich dieses Kerl kennen aus mein früheres Leben bei KGB an Seite von mein Exmann Iwan Kowarno. Er heißen Paul Vorberg, und er gewesen Offizier bei Stasi, großes ostdeutsches Geheimdienst in Zeit von noch zweigeteilte Deutschländer. Er haben kein Skrupel, zu töten Dich oder mich ohne zu zucken mit Wimper!". Teuflisch grinsend entriß der - nun von Yelena nunmehr endgültig enttarnte - Exagent das Kuvert dem Zugriff von Lukas' sich langsam öffnenden Händen, worauf sein prüfender Kunstkennerblick die aufgeklebte Briefmarke im Schein der Deckenleuchte sogleich eingehend betrachtete. Mit einem vielsagenden Funkeln in beiden, unterschiedlich gefärbten Augen und einem breiten Grinsen auf seinen schmalen Lippen trat er daraufhin ganz nah an Lou Cypher heran und verstaute den Brief mit der wertgeschätzten Marke sorgsam in dessen - auf Brusthöhe befindlicher - linker Anzugjackeninnentasche. Cypher aber konstatierte kühl: "Na bitte! Letztendlich geht es ja doch auch mal ganz ohne Gewalt, nicht wahr?! Obwohl ...". Er zögerte nur einen kurzen Moment, dann fuhr er fort: "Tja, obwohl mir das so eigentlich gar keinen rechten Spaß macht! Vor allem, wenn ich da so ein knuspriges Täubchen wie die gute alte Misses Svensson vor Augen hab, in ihrem spärlichen Federkleidchen, bereits zum Gerupftwerden und zu noch ganz anderen unaussprechlichen Dingen ...". Mit seiner gespaltenen Zunge leckte sich Cypher über die Lippen, wobei die beiden Zungenspitzen sich genüßlich in das fleischreiche, leicht hervorstehende Doppelkinn zu bohren schienen. Lukas Svensson aber bäumte sich wutentbrannt in seinem Bett auf und brüllte Cypher entgegen: "Sie mieser Dreckskerl! Was soll denn das? Lassen Sie uns doch endlich in Ruhe und verschwinden, wie Sie es vesprochen haben! Sie haben doch bekommen, was Sie wollten!". Cypher hingegen verdrehte nur die Augen: "Ach, Svensson, Sie armer einfältiger Schafskopf! Was wissen Sie denn schon von dem, was ich will?! Wissen Sie was? Ich werde Sie hautnah miterleben lassen, was ich wirklich will. Ja, ich gebe Ihnen jetzt und hier noch eine kleine geschmackvolle Kostprobe meines wahren Ichs. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben?!". Erwartungsvoll schaute er zu Lukas Svensson herüber, während er sich gleichzeitig, ums Bett herumschleichend, zu der am ganzen Leibe zitternden Yelena begab und ihr den kalten Lauf seiner Pistole an die linke Schläfe preßte, den Druck seines Zeigefingers auf den Abzugshahn noch einmal sichtlich verstärkend. Dem auf diese Weise eingeschüchterten Ex-Inspektor aber blieb angesichts jener übermächtigen Bedrohung, die von dem bewaffneten und zweifelsohne zu allem bereiten Mördertrio ausging, nichts weiter übrig als - hilflos in sich zusammensinkend - sein greises Haupt ohnmächtig hin und her zu schütteln. Mit einem allein hätte er es ja vielleicht noch aufnehmen können, aber gegen alle Drei zusammen sah er in dieser Situation einfach nicht die geringste Chance. Durch die unverhofft rasche Einsicht Svenssons sichtlich zufriedengestellt, wand sich der wieder ein paar Schritte vom Bett zurücktretende Cypher nun direkt an seinen Helfershelfer Vorberg: "Also gut, wie es der Herr wünscht! Verweilen wir hier also noch ein kleinwenig länger als urspünglich geplant. Bei der Gelegenheit könnten wir doch alle gemeinsam ein kleines lauschiges Mitternachtspicknick abhalten, bei dem wir dann in trauter Runde auch gleich noch den ach so ahnungslosen Kameraden Crawler in das Geheimnis unserer nächtlichen Vergnügungsfahrt vom vorigen Sonntag einweihen, nicht wahr?!". Sichtlich in Verzückung geratend, nickte Vorberg seinem Wortführer Cypher recht unterwürfig zu. Und während Derrik Crawler noch unverständig zu ihm hinüberschaute, stampfte Cypher voller Vorfreude mit seinem Hinkebein auf den Linoleumboden und krächzte: "Sehr schön! Dann holen Sie, Vorberg, doch schon mal mein spezielles Besteckköfferchen aus unserem Kleinlaster! Und Sie, Crawler, laden uns noch ein paar Gäste ein! Zum einen die kleine Rothaarige vom ersten Stock und dann vielleicht noch das andere Täubchen, das da bislang von uns noch völlig unbehelligt auf den Wohnebenen 3 und 4 seinen Nachtdienst versieht. Die legen Sie bei der Gelegenheit zubvor am besten genauso schön schlafen wie ihre niedliche Kollegin vom Erdgeschoß. Ach, und keine Sorge, meine Herren! Ich komm während Ihrer Abwesenheit dank meiner sechsschüssigen Bleispritze mit den gepaarten Svenssons auch ganz gut allein zurecht!". Schulterzuckend und gleichzeitig nickend machten sich Crawler und Vorberg durch die zügig geöffnete und ebenso zügig wieder geschlossene Zimmertür über den menschenseelenverlassenen, hell erleuchtenen Flur auf den Weg zu den Fahrstühlen. Gemeinsam schleiften die beiden Männer die betäubte Annie Walker ins Innere des von ihrem Körper aufgehaltenen Lifts zurück, mit dessen Hilfe sie sich sogleich in die dritte Etage befördern ließen. Dort angekommen, postierten sie erneut Annies schlaffen Oberkörper zwischen der Lichtschranke der Lifttür, bevor sich ihre Wege fürs Erste planmäßig trennten. Denn während sich Paul Vorberg über eines der Treppenhäuser auf den Weg zum - am Hintereingang abgestellten - Kleintransporter machte, um aus dessen Frachtraum den besagten Besteckkoffer zu holen, machte sich Derrik Crawler auf den Weiten des Wohnbereichsflures auf die Suche nach der dort diensthabenden Nachtschwester. Dabei blieb er vor jeder einzelnen Zimmertür und auch vor jedem der Nebenräume stehen und lauschte gespannt. Nirgends jedoch vernahm er auch nur das geringste Geräusch, das auf die dortige Anwesenheit der gesuchten Pflegekraft hindeutete. So begab er sich letztlich wieder zum Fahrstuhl zurück, mit dem er sich samt der bewußtlosen Annie nun in die vierte Etage aufmachte. In der Ferne aber war von Big Ben im selben Augenblick ein einsam verhallender Glockenschlag zu vernehmen.
Draußen auf dem Flur des Wohnbereichs Fidelitas hörte man diesen Glockenschlag sogar noch etwas deutlicher, wobei sich im - dem Svenssonzimmer entgegengesetzt liegenden - Abschnitt zeitgleich ganz vorsichtig eine Bewohnerzimmertür öffnete und gleich wieder schloß. Auf leisen Sohlen schlich Sekunden später Joe Gaubellt - noch mehr gebückt als üblich und dabei immer ganz dicht an die Flurwand gepreßt - über den Flur bis zum Fahrstuhl, dessen Tür zu seiner Überraschung durch einen aufrecht stehenden Koffer permanent aufgehalten wurde. Hocherfreut über diesen glücklichen Umstand kickte Gaubellt mit seinem leicht angehobenen rechten Fuß den Metallkoffer rasch ins Fahrstuhlinnere und huschte dann auch selbst hinein. Nur eine Sekunde später schloß sich hinter ihm die Lifttür und brachte ihn, ganz seinem Knopfdruck am inneren Schaltbrett folgend, ins Erdgeschoß, wo er nach dem automatischen Sich-wieder-Öffnen der Tür eilig durch das Foyer in Richtung Hintertür humpelte. Auch hier war er wieder sichtlich überrascht, denn die sonst nachts stets geschlossene Glastür stand sperrangelweit offen - am automatischen Zufallen mittels des dazwischengeklemmten Bügels einer schwarzen Sonnenbrille gehindert. Welch ein Leichtsinn! So konnte schließlich jeder assoziale Penner und auch jedes kriminelle Subjekt unbemerkt ins Innere des Heims eindringen. Und das konnte Joe Gaubellt - der an sich nur hergekommen war, um den Anhängern seines verehrten deutschstämmigen Leiters Mister Svensson Einlaß zu gewähren - keinesfalls zulassen. Er war gerade dabei, die eingeklemmte Sonnenbrille unter der Tür hervorzuziehen, als er draußen in der Finsternis mit raschen Schritten den Umriß eines Menschen auf sich zulaufen sah. Ob das wohl jener Mister Blindman mit dem ostdeutschen Akzent war, der ihm den Auftrag gegeben hatte, ihn hier zu empfangen und zu Svensson zu führen? Gespannt schaute Gaubellt dem Ankömmling entgegen. Bei dem, was da auf ihn zukam, handelte es allerdings keineswegs um den erwarteten Sonnenbrillenträger in seinem braunen Trainingsanzug. Denn der wühlte sich zur selben Zeit maulwurfsgleich mit beiden Händen auf der Suche nach Cyphers mysteriösem Besteckkoffer durch den dunklen und zugleich recht zugemölten Frachtraum des von ihm abgestellten Kleintransporters. Was da hingegen mit klitschnassem Haar und einem, vor Feuchtigkeit triefenden, beigen Trenchcoat zielsicher aufs heimische Hintertürchen zusteuerte, war vielmehr Charles Wannabe, welcher - nachdem ihm auf sein mehrfaches Läuten am Haupteingang nicht geöffnet worden war - einmal ums ganze Haus herum gerannt war und sich nun ziemlich außer Puste vor Gaubellt aufbaute. Und während Charles noch nach Luft schnappte, fragte Gaubellt unsicher: "Entschuldigen Sie! Schickt Sie vielleicht der Herr, der von mir zu Mister Svensson geführt werden wollte?". Wannabe schaute den komischen Kauz - der da mit seinem Buckel schulterzuckend vor ihm stand - ein wenig entgeistert an, dann erwiderte er: "Ja ... Ja, genau! ... Sie erinnern ... sich vielleicht ... doch noch an mich?! ... Ich war ... war neulich ... bei Frau Svensson ... zu Gast!". Joes hohle Hand klatschte mit der Innenfläche gegen seine ebenso hohl klingende Stirn: "Aber ja! Wie konnte ich das nur vergessen! Kommen Sie nur rasch! Unsere Zeit ist gekommen! Ich geleite Sie auf schnellstem Wege zu unserem Leiter!". Damit ging er vor Wannabe in die Hocke und riß noch rasch die Sonnenbrille unter der verklemmten Hintertür hervor. Und während selbige nun automatisch wieder ins sofort einschnappende Schloß fiel, schlurfte Joe Gaubellt mit Charles Wannabe bereits seit an seit quer durchs Foyer und den angrenzenden Flur in Richtung Fahrstuhl.

Derrik Crawler war inzwischen, längst auf der Wohnetage Destiny angelangt, Zentimeter um Zentimeter an das spärlich beleuchtete Dienstzimmer herangepirscht, wo Sandy Bulldog bei seinem dortigen Eintreffen an ihrem Computermonitor gerade so sehr ins Überarbeiten einer Pflegeplanung vertieft war, daß sie den nahezu geräuschlosen Angreifer gar nicht bemerkt hatte - erst als es schon zu spät gewesen war und sein Gipsarm um ihre Kehle gelegt hatte, während seine freibewegliche Hand ihr nun die mitgeführte Betäubungsspritze ohne Umschweife mit voller Wucht in den Hals stieß. Mit sanftem Druck entlud Crawler den flüssigen Spritzeninhalt im dortigen Muskelgewebe seines Opfers, worauf Sandy mit einem kurzen Verdrehen ihrer haselnußbraunen Augen augenblicklich in sich zusammensackte. Derrik Crawler aber entließ ihren Hals aus der Umklammerung seines Gipses und griff der ohnmächtig werdenden Fachkraft stattdessen nun mit der gesunden Hand wie auch mit dem Gipsarm unter ihren Armen hindurch vor die Brust. Sie derartig fest im Griff habend, schleifte er Sandys schlaffen Körper bis zum Lift, wo er sie nun gemeinsam mit dem betäubten Annie Walker visavis inmitten der - allein durch die beiden aufgesetzten Frauenoberkörper am Zugehen gehinderten - Lifttür platzierte. Noch einmal lief Crawler zum offenstehenden Dienstzimmer zurück, wo er die benutzte Betäubungsspritze im dortigen Papierkorb entsorgte, als sein Blick wie zufällig für eine Sekunde den Monitor mit der unvollendeten Pflegeplanung streifte und dort haften blieb. Was ihn so abrupt verweilen - ja, geradezu erstarren - ließ, war der Name, den sein Blick dabei ganz oben im Kopf der Bildschirmmaske neben der zugehörigen Zimmernummer 421 erhaschte: JANET WANNABE, geborene FREAKADELLY. Du liebe Güte! Wie lange war das her, daß er und Janet gemeinsam im Wannabeschen Ehebett herumtobten und dabei ganz nebenher beratschlagten, wie man zusammen ihren gewieften Vater ausschalten und die Tat dann ihrem ungeliebten Ehemann Charles in die Schuhe schieben könne. Ja, sie und er - das war schon eine aufregende Zeit damals. Und für ihn war es weit mehr als nur eine Zweckpatnerschaft gewesen, irgendwo schon fast so etwas wie ... ja, wie Liebe. Derrik Crawler hatte bewußt ein wenig gezögert, jenes vermeintliche Fremdwort namens LIEBE in seine - längst nur noch von Haß und Rachegelüsten beherrschte - Gedankenwelt eindringen zu lassen, dennoch war ihm - was Janet anging - letztlich auf die Schnelle kein passenderer Begriff zur Beschriebung seiner Gefühle eingefallen. Eine Art Wehmut befiel seine Seele bei dem Gedanken an seine heimliche Geliebte und das, was man ihr nach seinem angeblichen gewaltsamen Ableben mit dem gezielten Schuß und ihrem daraus nun resultierenden Komasiechtum angetan hatte. Ohnmächtige Wut kochte zugleich bei diesem Gedanken in ihm hoch. Zu gern würde er das feige Schwein von Auftragskiller einmal in die Finger bekommen, das seiner Janet damals das Leben zu nehmen versucht hatte, während er selbst sich aufgrund der Auswirkungen jener Detonation im Berliner U-Bahnschacht in einem kleinen ukrainischen Kaff schwersten Operationen unterziehen mußte. Nur langsam entspannte sich Crawlers Körper wieder nahezu komplett - bis auf seine rechte Hand, die unter dem selbstangelegten Gips aus einer künstlichen Gummiprothese bestand. Und während er sich mit der gesunden Linken gedankenversunken über den rauhen Gips streichelte, keimte plötzlich und unerwartet ein sehnlicher Wunsch in Crawler auf. Nur ein einziges Mal noch wollte er seine Janet wiedersehen - ihr noch einmal nahe sein, sie riechen und sanft berühren, so wie damals. Und so schloß er ganz behutsam die Dienstzimmertür hinter sich und machte sich - vorbei am offenstehenden Lift mit den beiden ruhiggestellten Nachtschwestern - auf die Suche nach jenem Zimmer mit der verheißungsvollen Nummer 421.

Charles Wannabe hatte sich inzwischen auf dem Wonbereich Adele untem im Erdgeschoß nach der Nachtschwester umgeschaut. Ja, er hatte sogar die Notrufklingel im dortigen Bewohnerbad betätigt und ein paar Minuten lang gewartet, doch es tauchte einfach niemand auf. Auf dem Rückweg über den Wohnbereich hatte er dann bei einem kurzen Blick durch die Glastür des Dienstzimmers hindurch noch eine - entgegen jeder Sicherheitsvorschrift im dortigen Papierkorb entsorgte - leere Spritze samt aufgepflanzter Kanüle ausgemacht. Es war also naheliegend, daß hier vor kurzem ein Laie zugangewesen war, der womöglich auch die diensthabende Pflegekraft betäubt und verschleppt hatte. Mit diesem Eindruck war Charles Wannabe eielnds zum Lift mit dem darin schon ganz ungeduldig wartetenden Joe Gaubellt zurückgekehrt. Er hatte dort den in der Fahrstuhltür stehenden Metallkoffer entdeckt und ihn mithilfe eines eingesteckten Schweizer Taschenmessers aufgebrochen. Im Kofferinnern aber blickte Charles jetzt mit einer Mischung von Erstaunen und Entsetzen auf das enthaltene reichhaltige Waffen- und Munitionsarsenal. Mit geübtem Kennerblick entnahm er dem Koffer eine jener Pistolen, die zuvor auch Cypher für sich und seine Spießgesellen gewählt hatte. Er prüfte den Lauf etwas eingehender, wobei er an dessen Ende zu seiner Verblüffung unter anderem auch einen bereits standardmäßig integrierten Schalldämpfer entdeckte. Ein leiser Pfiff entwich zum Zeichen stiller Anerkennung seinen Lippen. Wer auch immer hier im Heim sein nächtliches Unwesen treiben mochte ... einen gewissen Stil, was die Wahl der richtigen Waffen angeht, konnte man ihm wohl nicht absprechen. Was hingegen das Ziel des möglichen Überfalls anging, so gab es für Charles Wannabe nach seiner gerade erst beendeten Audienz im Königshaus keinerlei Zweifel mehr ... dabei konnte es sich nur um seinen Freund Lukas Svensson und dessen Ehefrau sowie den in deren Besitz befindlichen Kondolenzbrief mit der unglaublich wertvollen blauen Marke handeln.

Pflegehelfer Adam East und Reinigungskraft Eva Douce bekamen derweil von all dem unheimlichen heimlichen Trubel um sie herum herzlich wenig mit. Und das lag keineswegs nur daran, daß die Zwei in den letzten Minuten eh nur Augen und Ohren für den jeweils anderen hatten, sondern auch an der Bauweise der Räumlichkeit, in welcher sie sich befanden. Jene Besenkammer - in deren Abgeschiedenheit sich beide zurückgezogen hatten - bildete nämlich lediglich den hinteren Teil eines Nebenraumes, in dessen vorderem Teil ein teilweise recht lauter, großer Metallkasten unermüdlich damit beschäftigt war, benutzte Bettpfannen und Urinflaschen mit heißem Wasser auszukochen und zu desinfizieren. Um von jenem lärmenden Monstrum nicht allzusehr belästigt zu werden, hatte Adam inzwischen die große, schwere Zwischentür zur vorderen - als Fäkalienspüle bezeichneten - Raumhälfte hinter sich zugeschoben. Und nun stand er schon seit geraumer Zeit mit der von ihm angehimmelten Eva, auf engstem Raum vereint, zwischen dem Putzwagen und diversen Regalen mit Putzlappen und Reinigungsmitteln und unterhielt sich ganz angeregt mit ihr. Sein großes Pflegehelferherz pochte dabei zeitweise so laut, daß er ganz froh war das schallgedämpfte Grummeln des lärmenden Nachtgeschirrspülers als Hintergrundgeräusch zu haben. Eva hingegen schien herrlich unbeschwert. Sie hüpfte immer wieder kichernd von einem langen Bein aufs andere und wirbelte sich mit ihren beiden Zeigefingern immer wieder abwechselnd durchs lange Goldlockenhaar. Wenn Adam nicht gerade etwas scheu zu Boden blickte, dann betrachtete er gedankenversunken ihr süßes Gesicht mit all den niedlichen Sommersprossen, die ihr - auf eine ganz geheimnisvolle Art - bezauberndes Lächeln beidseitig einschlossen oder er schaute ihr geradewegs in ihre, in einem unergründlichen Ozeanblau erstrahlenden Augen. Ihr sinnliches Parfüm stieg ihm in die - sonst gerade während der Arbeit oft von ganz anderen Gerüchen heimgesuchte - Nase, während ihr süßer, von ihren rotgeschminkten Lippen reizvoll umschlossenes Mund nahezu pausenlos französisch akzentuiert von sich, ihrem Leben und ihren Träumen erzählte. Irgendwann stoppte dann ihr Redefluß ganz plötzlich, und mit einem elgeanten Hüftschwung platzierte sie ihren, vom kurzen Arbeitskittel und dem darunter befindlichen schwarzen Seidenslip nur dürftig bedeckten Unterleib auf einer kleinen Kommode in der hintersten Ecke des Raumes. Ihre langen, leicht gespreizten Beine aber ließ sie baumeln, wodurch sich dem - mit einem Male wie angewurzelt - vor ihr stehenden Adam unweigerlich der verführerische Ausblick auf das kleine schwarze Stoffdreieck am oberen Ende ihrer beiden Oberschenkelinnenseiten eröffnete. Eva aber tat einfach so, als ob sie das alles gar nicht bewemrkte. Sie griff stattdessen nach rechts, wo neben ihr auf der Kommode ihre Handtasche der Marke "Eden's Garden" in grasgrüner Schlangenlederoptik stand. Aus dem Tascheninnern zauberte sie dann binnen weniger Sekunden einen rotbäckigen Apfel und ein kleines Schälmesser hervor, mit dessen Hilfe sie das Kernobst blitzschnell und dabei nahezu perfekt halbierte. Sie besah sich kurz beide Apfelhälften, dann reichte sie die etwas dunklere von ihnen zu Adam herüber. Dem Pflegehelfer fiel in diesem Moment unweigerlich das Märchen vom Schneewittchen und der bösen Stiefmutter ein, welches ihm seine Oma früher beim Schlafengehen immer vorgelesen hatte. Und dennoch zögerte er nicht eine Sekunde, bei dem verlockenden Angebot Evas zuzugreifen. Es war ihm in diesem Moment auch völlig gleichgültig, ob die Apfelhälfte vergiftet war, denn wenn er schon das Zeitliche segnen mußte, dann doch am liebsten in der aufregenden Gegenwart dieser wundervollen Schönen. Kraftvoll bissen Eva und er wenige Augenblicke später fast zeitgleich und einander gegenseitig zublinzelnd in ihre saftigen Obsthälften. Eva aber entflohen dabei zwei große milchigtrübe Safttropfen durch die Mundwinkel der leicht geöffneten Lippen. Sie rannen wie in Zeitlupe nebeneinader her an ihrem makellosen Kinn herab und starteten von dortaus bereits im freien Fall in Richtung des Ausschnitts ihres oben keineswegs ganz zugeköpften und recht prall ausgefüllten Kittels, als sie letzten Moment die rasch ausgesteckte linke Handfläche Adam Easts stoppte. Seine leicht zitternden Fingerspitzen berührten dabei für den Bruchteil einer Sekunde Evas Decolte, woraufhin er sie sofort wieder zurückzog und sich anschließend seinen saftbenetzten Tropfenfänger mit der pfeilschnell hervorschnellenden Zunge abschleckte. Eva aber war in dieser Sekunde einfach nur überwältigt vom Anblick jenes Jünglings, der mit geradezu kindlicher Naivität die Tropfen des aus ihr hervorgetretenen Saftes in sich aufsog. Sie packte ihn mit beiden Händen am Bund seiner weißen Arbeitshose und zog ihn ganz nah zu sich heran, um - ihre Augen langsam schließend - ihre immer noch klebrigfeuchten Lippen über die seinen zu stülpen. Der überraschte Pflegehelfer aber reagierte ganz instinktiv. Wie von selbst schlossen sich auch seine Augen und seine immer noch leicht hervorstehende Zunge stieß dabei ganz von allein langsam in Evas weit geöffneten Mund vor, wo sie sich mit der ihren umgehend ein hitziges Gefecht zu liefern begann. Seine Arme aber schlangen sich langsam um ihren Oberkörper, wobei er durch den Stoff ihrer beider Arbeitskleidung hindurch die sanft hervorsprießenden Warzenknospen ihrer Brust auf der seinen zu spüren glaubte. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit lösten die Zwei heftig atmend ihren Kuß, wozu - die sich die Lippen leckende - Eva nach einer kurzen Verschnaufpause anmerkte: "Olala, Deine Zunge hat sisch aber schon recht zügellos aufgeführt in meiner Mund'öhle, Cowboy!". Adam entließ ihren Oberkörper daraufhin augenblicklich aus seiner sanften Umklammerung und wich erschrocken einen Schritt von ihr zurück, wobei er sichtlich besorgt fragte: "Und, ist das jetzt sehr schlimm?". Die kleine Französin schmunzelte nur: "Ach, Du süßer Unschuldsengel! Schlimm? Das ist bon! Tres bon, sogar! Und vor allen Dingen ist es ausbaufä'isch! Insgesamt können Deine Pettingkünste wohl noch ein wenisch Übung vertragen!". Verschämt blickte Adam zu Boden und seufzte herrlich verlegen: "Naja, ich hatte eben in der Beziehung noch keine richtige Praxisanleiterin!". Eva aber hauchte nur leise: "Ach, wie niedlisch! Wenn isch Disch rescht verstehe, dann bist Du also Jungfrau?!". Adam East aber konterte sogleich mit einem kleinen schelmischen Grinsen im Gesicht: "Nö, eigentlich Steinbock!". Normalerweise wären nach dieser Bemerkung Punkt, Spiel, Satz und Sieg eindeutig an ihn gegangen, hätte nicht auch Eva sich in diesem Moment als ausgesprochen schlagfertig erwiesen, indem sie augenzwinkernd anmerkte: "Ach so, und isch 'abe misch schon gewundert, was sisch da unten an meinem Oberschenkel die ganze Zeit über so stein'art anfühlt!". Noch bevor der arme Adam überhaupt irgendetwas zu erwidern vermochte, schlang Eva bereits lächelnd ihre Arme um seinen Hals und verpaßte ihm gleichzeitig einen liebvollen Schmatzer auf die leicht errötete rechte Wange. Und während sie ihren Blick nun recht eindeutig auf jene von ihr angesprochene, stoffumhüllte Ausbeulung unterhalb der Gürtellinie seiner Hose ausrichtete, erklärte sie ganz unmißverständlich: "Na, kleiner Mann, da wird sisch Mademoiselle Eva jetzt in Zukunft wohl in Liebesangelegen'eiten 'öchstpersönlisch um Disch kümmern müssen!". Der von diesem reizenden Angebot nunmehr völlig überrumpelte Adam aber seufzte nur noch verlegen und hauchte: "Ach, Eva, was tun Sie nur mit mir? Was um alles in der Welt haben Sie nur vor mit mir?!".

Auch an anderer Stelle wurde diese Frage gerade eingehend diskutiert, wenn auch aus einer weitaus größeren Distanz heraus. Lou Cypher grinste teuflisch: "Was ich mit Ihnen vorhabe, Svensson?! Nun, um Ihnen das zu verdeutlichen, sollten Sie und Ihre teure ehelich Angetraute vielleicht einmal einen Blick auf das riskieren, was ich Ihnen Beiden als kleine Aufmerksamkeit mitgebracht habe! Wenn der Herr und die Dame dazu einmal auf ihre Nachttische schauen würden!". Vorsichtig wanderten die Blicke der Svenssons in die angegebene Richtung, wo sie zu ihrer Verwunderung die beiden Einweckgläser mit der gräulich gelben Brühe vorfanden. Bei genauerem Hinsehen aber glaubte Lukas inmitten jener Brühe eine unförmige fleischähnliche Masse zu entdecken und sah sich unweigerlich an die Königsberger Klopse mit Kapernsoße erinnert, die seine Mutter früher in seiner Kinderzeit in ähnlicher Art und Weise aufzubewahren pflegte, um sie so in der kleinen kühl abgedunkelten Speisekammer ihrer Wohnung über mehrere Tage haltbar zu machen. Erst als der Ex-Inspektor mit zitternder Hand seine Nachttischlampe einschaltete, registrierte er, daß der vermeintliche Fleischkloß hier vielmehr ein blutigroter - von mehreren Adern umschlossener - Gewebekloß zu sein schien, der an der einen Seite eine glatte Schnittfläche aufwies. Unschlüssig schauten Yelena und Lukas zu Cypher herüber. Dessen dämonisches Grinsen aber verbreiterte sich nur noch, wozu er überheblich krächzte: "Sie haben Beide keinen Schimmer, worum es sich hierbei handelt, oder?! Nun, da Sie ja nach unserem ersten Zusammentreffen sicher der Meinung sind, ich hätte kein Herz, dachte ich mir, ich überzeuge Sie heute nacht einfach mal von dem Gegenteil. Denn wie Sie nun sehen können, hab ich nicht nur ein Herz - ich hab sogar gleich zwei! Die schlagen zwar längst nicht mehr, und sie schlugen auch gewiß nie in meiner Brust. Aber sie haben dennoch einmal recht leidenschaftlich geschlagen - und zwar unter den herrlichen Brüsten der Hure Mary Jane Kelly und unter der beharrten Brust von Jack Holmes!". Yelena aber packte angesichts dieser grausamen Offenbarung Cyphers blankes Entsetzen, und ihr Körper erstarrte von einer Sekunde auf die andere völlig vor Schreck. Bei ihrem Ehemann Lukas hingegen verfärbte sich das bis dahin so blasse Gesicht puterrot. Er ballte seine Fäuste und schrie: "Sie elender Mistkerl, Sie! Sie also haben meinen Freund Jack umgebracht und ihn auf bestialische Weise bis zur Unkenntlichkeit förmlich zerhackt". Cypher streckte ihm die Pistole entgegen und erwiderte recht unbeeindruckt: "Ja, das war ich! Und wissen Sie auch, warum ich nach mehr als hundert Jahren für die Wiederaufnahme meiner einst begonnenen Mordserie gerade ihren Freund Jack auserwählt habe?! Ganz einfach! Weil ich wußte, daß ich gerade Sie mit seiner Tötung am meisten treffen werde. Ja, mein Motiv ist ganz klar Rache, eiskalte Rache! Und ich werde Ihr Leiden im Verlaufe der heutigen Nacht sogar noch vergrößern - ins Unerträgliche steigern. Sie fragen sich, ob ich jetzt auch Sie umbringen werde?! Ganz recht, das werde ich! Aber keineswegs, indem ich Sie einfach erschieße oder Ihnen die Kehle durchschneide. Nein, das wäre ein viel zu leichter Tod für meinen Geschmack! Sie will ich Höllenqualen durchleben sehn, indem ich ihnen das nehme, was Sie mit Abstand am meisten zu lieben glauben auf dieser Welt". Lukas Svensson aber ahnte nur zu genau, auf wen sich die Ausführungen jenes Teufels bezogen, und so blickte er verstohlen zu seiner Yelena herüber. Zufrieden registrierte auch Lou Cypher diesen Blick des Ex-Inspektors und zischte: "Bravo, welch eine phänomenale Auffassungsgabe, mein Lieber! Innerhalb der nächsten Stunden werden ich und meine Männer nun also direkt vor Ihren hilflosen Augen auf brutalste Weise auch noch Ihre geliebte Frau schänden! Und zum krönenden Abschluß werde ich höchstpersönlich ihren makellosen Körper der Länge nach aufschneiden und ihr bei lebendigem Leib das Herz herausreißen. Und das gebe ich dann Ihnen! Sie werden Ihr Herz in der Hand haben und spüren, wie es langsam aber unaufhaltsam aufhört zu schlagen! Und das wird dann auch Ihr verfluchtes Herz endgültig und unumkehrbar zum Stillstehen bewegen. Ist doch ein geradezu genialer Plan, oder, Mister Svensson?!". Einen Augenblick lang herrschte Totenstille im Zimmer, dann aber verfinsterte sich Lukas' Blick zusehends und er murmelte leise: "Entschuldige bitte, Jack, das ich Dir das antun muß! Aber ich habe einfach keine andere Wahl! Möge Gott mir vergeben!". Und während ihm Cypher vom Fußende des Bettes her noch völlig entgeistert entgegenstarrte, packten Svenssons Hände das Glas von seiner Nachttischplatte und schleuderten es mit voller Wucht jenem skrupellosen Mordsgesellen entgegen. Der aber duckte sich gerade noch im letzten Moment, so daß das gläserne Gefäß um Haaresbreite über seinen Kopf hinwegflog und an der dahinter befindlichen Zimmerwand unter dumpfem Knall zerschellte. Das Herz aber landete samt der es bislang umschließenden Brühe, die sogleich einen merkwürdigen Geruch zu verbreiten begann, auf dem kühlen Linoleumfußboden. Cyphers kurzzeitig auf Tauchstation gegangener Kopf hingegen schoß bereits eine Sekunde später wieder pfeilschnell in die Höhe. Und kopfschüttelnd murmelte er mit abgrundtiefer Stimme: "Meine Güte, wie einfallslos! Denken Sie denn wirklich, ich würde zweimal auf denselben Trick hereinfallen, nur weil es diesmal kein Handy war, was auf mich geflogen kam. Nein, mein Lieber, mit so einer einfachen Herzattacke vermag man jemanden wie mich nicht wirklich zu schocken! Im Gegenteil: Solche Aktionen steigern meine Lust an unserem kleinen nächtlichen Todesspiel sogar noch und intensivieren gleichzeitig nur die Qualen, die Ihre Frau zu ertragen haben wird, bevor der Tod sie endlich erlöst!". Unvorsichtigerweise trat der sich überlegen fühlende Teufelskerl bei diesen Worten einen Schritt auf Svensson zu, wobei seine Fußspitze auf dem matschigen Herzen Jack Holmes' landete und ausglitt. Der ganze Cypher geriet dabei ins Straucheln - zwar nur für kurze Zeit, aber doch lang genug, um der sich aus ihrer Erstarrung urplötzlich lösenden Svenssongattin die Gelegenheit zu geben, nach dem Einwegglas zu ihrer Linken zu greifen und es samt dem darin befindlichen, über mehr als hundert Jahre deutlich erbleichten Herzen Mary Jane Kellys ebenfalls in Richtung des wankenden Tyrannen zu schleudern, wozu sie ihm wütend entgegenbrüllte: "Blatch! Sie uns nicht werden länger einschüchtern und quälen! Jetzt Sie mit Doppelherzattacke fahren in Hölle, wo Sie längst gehören hin, ohne Schein für Rückkehr!". Tatsächlich verfehlte Yelenas großer Wurf sein Ziel nicht. Das Glas prallte direkt gegen die linke Schläfe Cyphers, der dabei augenblicklich das Bewußtsein verlor und mit ziemlicher Wucht rechtsseitig gegen die Wand geschleudert wurde, von wo aus er dann rasch zu Boden glitt und regungslos liegenblieb. Lukas aber schloß seine geliebte Frau fest in seine Arme, wobei den Beiden Tränen der Erleichterung in die Augen schossen. Zitternd streichelte er über ihr Haar und bedeckte ihre Stirn immer wieder überglücklich mit seinen Küssen. Schließlich aber gaben sie seine Arme wieder frei, und er sprang mit einem Satz aus dem Bett und in seine davorstehenden Hausschuhe, in denen er dann vorsichtig in Richtung Kleiderschrank schlurfte. Dort angelangt, öffnete er den Schuhschubkasten im unteren Schrankteil und begann, eifrig daran zu wühlen, bis er schließlich sichtlich erfreut ein altes Paar leicht angerosteter Handschellen samt Schlüssel hervorzauberte. Die gute alte Metall-Acht war dabei weit mehr als nur ein Erinnerunsstück an vergangene Yardzeiten, war sie doch in all den Dienstjahren nicht ausschließlich um Verbrechergelenken zugeschappt, sondern hatte auch seinen geliebten Drahtesel in seiner Abwesenheit sicher vor so manchem möglichen Diebstahl bewahrt. Nun aber sollte nach Lukas' festem Entschluß ihr eiserner Zugriff noch einmal einer Festnahme gelten - der Dingfestmachung Lou Cyphers, der sich hier am Boden liegend eben gerade vor ihnen als Augenzeugen dazu bekannt hatte, in seiner Person sowohl den Jack-Ripper als auch Jack The Ripper verkörpern - jenes Phantom, dem Scotland Yard seit mehr als hundert Jahren vergeblich auf den Versen war. Vorsichtig beugte sich Lukas Svensson also zu seinem aufsehenerregenden Fang herunter und entwendete der Hand Cyphers die von ihr umklammerte Pistole, die er sich vorsichtshalber in seine Pyjamahosentasche steckte. Er war dann schon im Begriff, ihm die Handschellen anzulegen, als er auf dem Flur den spitzen Schrei einer Frau hörte, der ihn sein Vorhaben abbrechen, aufstehen und erst einmal nach draußen eilen ließ.

Rasch stellte Svensson dabei fest, daß die Quelle des schrecklichen Aufschreis niemand anders gewesn war als seine Mitbewohnerin Misses Shy, die scheinbar wieder wachgeworden ihren nächtlichen Gang über den Flur fortgesetzt hatte, wo sie in Höhe des benachbarten Zimmers 622 dann auf den herannahenden Charles Wannabe gestoßen war, dessen langer Regenmantel sie sofort wieder an das prägende exibitionistische Trauma aus ihrer Jungend erinnert hatte. Wannabe selbst stand dabei noch wie gelähmt vor Svensson, und es dauerte einige Sekunden, bis er seinem Ex-Partner die Hand zu reichen vermochte. Dann aber klopfte Charles dem Ex-Inspektor umso herzlicher gegen die Schulter und sprach: "Gott sei Dank! Sie sind in Ordnung! Ich hatte schon befürchtet, man hätte es bei dem nächtlichen Überfall hier auf Sie oder Ihre Frau abgesehen!". Svensson nickte eifrig: "Hat man ja auch! Und zwar in Form von dem flüchtigen Lou Cypher, der jetzt niedergestreckt bei uns im Zimmer liegt, sowie seinen Helfershelfern - einem gewissen Paul Vorberg, dessen gezielter Schuß scheinbar damals bei der Beerdigung ihres Schwiegervaters ihre Frau Janet ins Koma befördert hat, und einem guten alten Bekannten von uns Beiden ...". Wannabe zuckte ahnungslos mit den Schultern. Lukas aber versetzte nun seinerseits Wannabes Schulter einen leichten Buff, wozu er sprach: "Nun, der dritte Mann in diesem gespenstischen Mördertrio ist kein Anderer, als der von Ihnen totgewähnte Mistkerl Derrik Crawler, unser ehemaliger Kollege und der Liebhaber Ihrer Noch-Frau!". Einen Moment lang sah Wannabe Svensson zweifelnd an, dann aber glaubte er seinem Freund und raunte wütend: "Und wo steckt der Dreckskerl jetzt?!". Lukas überlegte kurz, dann erwiderte er: "Ich glaube, er befindet sich auf Wohnbereich 3 oder 4, wo er die Nachtschwester schlafenlegen sollte. Kümmern Sie sich um ihn, ich werde versuchen, mir diesen Vorberg zu schnappen, der sich irgendwo draußen im Kleinlaster der Verbrecherbande rumtreibt!". Charles Wannabe hielt den schon im Enteilen begriffenen Svensson am Pyjamaärmel fest und fragte besorgt: "Und Sie sind sich sicher, daß Sie dazu in Ihrem momentanen Zustand auch in der Lage sind?!". Entrüstet schüttelte Lukas die Zweifel seines Ex-Partners wie auch dessen zupackende Hand von sich ab: "Fragen Sie doch den niedergeschlagenen Cypher oder meine Frau gleich nebenan, wozu ich in meinem derzeitigen Zustand noch so alles in der Lage bin. Und nun genug geschwätzt, es ist eh kein Anderer da, der die Sache hier momentan für uns zuendebringen könnte!". Gemeinsam liefen die beiden Ex-Kriminalisten zum weitgeöffneten Fahrstuhl zurück. Charles Wannabe kickte hier mit einem Fußtritt noch rasch den aufgestellten Waffenkoffer ins Liftinnere, und folgte ihm dann gemeinsam mit Svensson nach, worauf dieser nacheinander an der Schalttafel erst den Knopf mit der 4 und dann den mit der 1 betätigte.

Fast wie in Zeitlupe schlossen sich vor den Augen Wannabes und Svenssons die Türen des Lifts, worauf sich dieser langsam in Bewegung zu setzen begann. Charles blickte in diesem Moment ein wenig besorgt zu dem mit ihm nun auf engstem Raum wiedervereinten Weggefährten, dessen gebeugter Oberkörper sich mit zittriger Hand wild schnaufend am seitlichen Haltegriff der Fahrstuhlkabine abstützte. Wie nur wollte Svensson es in diesem Zustand mit einem gewaltbereiten Schwerverbrecher wie diesem Vorberg aufnehmen, zumal der Ex-Inspektor mit seinem dünnen Pyjama und den Filzpantoffeln an den wackligen Beinen ihm für einen Gang nach draußen auch völlig unpassend gekleidet erschien. Und so räusperte sich Wannabe kurzentschlossen und raunte: "Mein Bester, in diesem Aufzug können Sie unmöglich ins Freie treten und auf Verbrecherjagd gehen!". Lukas lokomotivenähnliches Schnaufen stoppte für einen Augenblick, wozu er nun mit einem geradezu spitzbübischen Unterton anmerkte: "Das hab ja auch gar nicht vor, mein Allerwertester! Zumindest nicht in diesem Aufzug!". Die Art, in welcher Svensson dabei die Worte "in diesem Aufzug" betonte und dabei mit dem rechten Zeigefinger nach oben auf die Kabinendecke verwies, ließ Wannabe schon erahnen, worauf Lukas hinauswollte, noch bevor er ergänzend bemerkte: "Mir ist nämlich durchaus bewußt, daß ich zum Verbrecherjagen den Lift wieder verlassen muß!". Wannabe grinste breit übers ganze Gesicht. Tja, in diesem Augenblick war sein Nebenmann wieder ganz der Alte - ein unverbesserlicher Schelm, der jede zweideutige Wortvorlage sehr charmant oder aber auch recht bissig zu nutzen wußte, um damit seinen Mitmenschen ein Lächeln oder auch nur ein Kopfschütteln zu entlocken. Bei seinem Ex-Partner Charles hatte Svensson beides erreicht. Und so erwiderte der - schmunzelnd sein Haupt hin und her schleudernd: "Ok, der Punkt geht klar an Sie, mein Freund! Und als kleiner Preis für Ihren augeprägten Wortwitz winkt Ihnen von meiner Seite aus ein nigelnagelneuer grauer Regenmantel sowie ein paar ebenfalls neuwertiger Galoschen". Mit diesen Worten streifte er sich eilends den Trechcoat von den breiten Schultern und die elastischen Gummiüberschuhe von seinen schwarzen Halbschuhen und überreichte sie dem verblüfften Ex-Inspektor. Der aber schlüpfte freudestrahlend in die Ärmel des Regenmantels, während Charles vor ihm niederkniete und ihm beim Überziehen der Galoschen über die bis dato nur dürftig filzbelatschten Füße half. Mit glasigen Augen musterte sich der so ausstaffierte Svensson noch rasch im schmalen Seitenspiegel an der ihm gegenüber gelegenen Fahrstuhlkabinenseite und schluchzte überwältigt: "Mein Gott, ich seh ja wieder genauso aus wie früher - wie in den alten Zeiten, als wir Zwei noch beim Yard arbeiteten. Vielen Dank, Charles, daß ich das nochmal erleben darf! Sie sind fürwahr ein echter Freund!". Ein kurzes Ruckeln ging durch die Fahrstuhlkabine, dann öffneten sich wie von Geisterhand die Lifttüren und gaben damit den Blick auf den Wohnbereich 4 mit dem geheimnisvollen Namen Destiny frei. Charles Wannabe aber hielt die ihm überreichte, bereits entsicherte Waffe im Anschlag und wagte so aus dem Fahrstuhlinnern heraus einen kurzen Schritt nach vorn, wobei er sich durch eine schnelle Kopfbewegung in Windeseile zu beiden Seiten des scheinbar menschenleeren Flurs umsah. Erst jetzt trat er gänzlich aus der Fahrstuhlkabine hervor, drehte sich noch einmal augenzwinkernd zu dem im Lift verbliebenen Svensson um und flüsterte ihm zu: "Viel Glück, Lukas! Und passen Sie gut auf sich auf, Inspektor!". Dann machte Charles auf dem Hacken kehrt und begab sich auf leisen Sohlen in Richrtung der linksseitigen Flurhälfte, wobei von der sich wiederverschließenden Aufzugstür her noch ein leise gehauchtes "Sie aber auch, Chefinspektor Wannabe!" an sein Ohr drang.

Wannabe drehte noch einmal den Kopf herum, doch die Fahrstuhltür seitlich von ihm hatte sich bereits vollständig geschlossen, während er nun ganz entsetzt auf die direkt hinter ihm befindliche offenstehende Lifttür blickte, in deren Lichtschranke die puppengleich aufgerichteten Frauenkörper der beiden Nachtwächterinnen Annie Walker und Sandy Bulldog noch immer völlig regungslos hockten. Eilends begab sich Charles zu den Frauen, wobei er sich zunächst vor Sandy Bulldog niederkniete und versuchte, sie - erst durch ein leichtes, dann durch ein kräftigeres Tätscheln ihrer Wangen - aus der künstlich hervorgerufenen Bewußtlosigkeit aufzuerwecken. Als all das nichts half, wand er sich Annie Walker zu, bei der sein Unterfangen zunächst ebenfalls wenig Erfolg zeigte. Erst als sein Tätscheln schon fast in ein Ohrfeigen überging, schlug die Pflegehelferin langsam die Augen auf und hauchte: "Wo bin ich? Wer sind Sie? Was ist passiert?". Charles versuchte, ihr die Sachlage - so gut es ging - wortreich und dennoch in aller Kürze zu erklären. Am Ende seiner Ausführungen nickte Annie schließlich und flüsterte noch immer sichtlich benommen: "Ja, richtig! Die drei Männer! Die haben mir mit einer Spritze in die Brust gepiekst, und dann wurde es um mich herum ganz dunkel. Daß ich schneller wieder zu mir gekommen bin als die arme Sandy mir gegenüber, hab ich dann wohl meinem, mit Silikonkissen etwas ausgepolsterten Push-Up-BH zu verdanken, von dessen einem Polster vermutlich eine Menge des mir injizierten Betäubungsmittels aufgesogen worden ist?!". Wannabe mußte angesichts dieses Umstands unweigerlich schmunzeln, dann aber kehrte bei ihm sofort wieder der nötige Ernst ein, und er erklärte: "Hören Sie zu! Sie fahren jetzt mit dem Lift nach unten ins Erdgeschoß, wo sie mittels ihrer Kollegin Sandy erneut den Fahrstuhl blockieren. Dann rufen Sie vom Dienstzimmer aus die Polizei und melden einen terroristischen Angriff auf das Pflegeheim 'Heavensdoor'. Lassen Sie sich unbedingt direkt zum Einsatzleiter des CI7 Mister Youstan Texas weiterverbinden und schildern Sie ihm den Fall. Nennen Sie ihm dabei auch meinen Namen, Charles Wannabe, und warten Sie am verschlossenen Haupteingang auf das Eintreffen der Antiterroreinheit. Haben Sie das verstanden?!". Annie nickte. Charles Wannabe aber half ihr beim Hineintragen von Sandy Bulldogs Körper ins Liftinnere und wartete dann noch, bis die Fahrstuhltüren sich geschlossen hatten und der Lift nach unten abgefahren war.

In der Besenkammer des Wohnbereich Fidelitas bahnten sich in selber Sekunde die zitternden Hände des sichtlich erregten Pflegehelfers Adam East durch die inzwischen weit offenstehende Knopfleiste des Arbeitskittels der kaum weniger aufgeregten Reinigungskraft Eva Douce hindurch den Weg zu ihren unter dem Kittelstoff deutlich hervorstechenden Brüsten, wozu seine Stimme leise in Evas Ohr hauchte: "Oh Eva, Du verdrehst mir mit Deiner zauberhaften Art völlig den Kopf, mein süßer Engel. Ich glaube, ich bin gerade ernsthaft dabei, mich rettungslos in Dich zu verlieben!". Die auf der Kommode vor ihm hockende Frau, deren schlanke Beine mittlerweile seine stark ausgeprägte Poebene fest umschlungen hielten, registrierte in diesem Moment ein deutliches Wummern - das von Adams Herz ausgehend durch seine Brust und deren stoffliche Umhüllung hindurch an die ihre klopfte. Eva aber erschrak und schlug mit einem Male ein wenig beschämt die Augen nieder. All ihre gespielte Unschuld war plötzlich dahin, als sie nun in Gedanken völlig akzentfrei zu sich selbst sprach: 'Ach Adam! Wenn Du wüßtest, wer ich in Wirklichkeit bin, warum ich mich hier als Reinigungskraft eingeschleusen ließ und welch dunkles Geheimnis ich dabei mit mir herumschleppe, dann würdest Du Dich wohl kaum in eine wie mich verlieben, sondern Dich wohl nur angewidert von mir abwenden. Und das, obwohl ich doch hier bei Dir zum ersten Mal in meinem Leben auch das Gefühl habe, mich in jemanden ganz ernstlich verlieben zu können. Möge das Schicksal uns Beide davor bewahren, daß Du jemals die ganze Wahrheit über mein wahres Ich erfährst!'. Erneut registrierte die junge Frau in diesem Augenblick ein deutliches, gegenüber dem anderen zeitlich etwas versetztes Wummern. Dieses aber entstammte keineswegs, wie Eva zunächst annahm, ihrem aufgewühlten Herzen, sondern rührte vielmehr von der Außentür der benachbarten Fäkalienspüle zum Flur her, wo der über den Wohnbereich in Richtung seines Zimmers zurückgeschlenderte Joe Gaubellt Stimmen vernommen zu haben glaubte und nun wieder und wieder mit beiden Fäusten gegen die dicke Eisentür pochte. Auch Adam East bemerkte inzwischen jenes andauernde und dabei an Intensität immer mehr zunehmende Klopfzeichen. Eilends zog er seine Hände unter Evas Kittel hervor und löste seinen Hintern aus dessen beinlicher Umklammerung, woraufhin er sich wortlos umdrehte, durch die rasch aufgerissene Zwischentür die Fäkalienspüle stürmte und dort am Griff der - von der Außenseite so eifrig beklopften - Tür zu ruckeln begann. Völlig aufgelöst stellte er schon nach wenigen Versuchen jenes verzweifelte Ruckeln ein und verkündete der nun hinter ihm im Türrahmen auftauchenden, sich die Kleidung zurechtzupfenden Eva: "Um Himmels Willen, man hat uns hier eingesperrt! Was sollen wir jetzt nur machen? Wie soll ich das nur Miss Smith erklären? Die wird mich bestimmt feuern, wenn sie davon erfährt, daß ich hier mit Dir ...". Weiter kam der Pflegehelfer nicht, denn in diesem Moment wurde von außen der Schlüssel im Schloß herumgedreht und die Tür langsam aufgeschoben. Vor Adams Augen erschien dabei das sichtlich verdutzte Gesicht des ihm anvertrauten Mister Gaubellt, der ihm sogleich, die Hacken zusammenknallend mit stolzgeschwellter Brust meldete: "Kamerad! Die Gegenoffensive unserer Truppen zur Befreiung unserer heimischen Korridore ist bereits angelaufen. Und dank Ihrer Befreiung und der Ihrer französischen Alliiertin sollte unserem endgültigen Sieg nun wohl nichts mehr im Weg stehen. Begeben Sie sich doch jetzt bitte umgehend ins Leiterhauptquartier unseres obersten Befehlshabers und geschätzten Leiters Herr Svensson zum weiteren Befehlsempfang! Mein Auftrag ist damit erledigt, und für mich ist an dieser Stelle vorerst Zapfenstreich!". Wieder knallten Gaubellts Hacken aneinander, worauf der bucklige Mann im imitierten Stechschritt lauthals gähnend in Richtung seines Zimmers verschwand. Adam und Eva schauten sich eine Sekunde lang verwundert an, dann aber enteilten sie gemeinsam Hand in Hand in Richtung des Svenssonzimmers.

Auf der zwei Stockwerke tiefer gelegenen Wohnetage Destiny pirschte sich Ex-Chefinspektor Wannabe zur selben Zeit auf dem, ihm dank der Besuche bei seiner im Koma liegenden Noch-Frau Janet nur allzu gut bekannten Flur Zimmer für Zimmer vor. Er war gerade in Höhe von Zimmer 415 angelangt, als sich in einiger Entfernung vor ihm eine Zimmertür öffnete und wieder schloß, wobei aus deren Türrahmen mit gesenktem Haupt gedankenversunken die Gestalt Derrik Crawlers hervortrat. Es dauerte eine Sekunde, bis er die Anwesenheit Wannabes registrierte. Dann aber zog Crawler ohne Zögern seine Pistole und feuerte in kurzer Folge fünf gezielte Schüsse auf seinen ehemaligen Vorgesetzten ab. Charles konnte sich dabei im letzten Moment mit einem beherzten Sprung hinter den mitten auf dem Flur stehenden Pflegewagen flüchten, an dessen hözerner Außenwand sich sogleich eine klare Einschußlochlinie abzeichnete. Vorsichtig steckte Charles seinen Kopf hinter dem Wagen hervor und erwiderte mit allen sechs Schuß aus dem Magazin der ihm von Lukas mitgegebenen Pistole das Feuer in Richtung Crawlers, der inzwischen im breiten Türrrahmen vor Janets Zimmer in Deckung gegangen war. Wannabe zog seinen Kopf hinter die Deckung des Pflegewagens zurück und lauschte. Ein kurzes Türknarren war zu vernehmen, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. So wie es sich anhörte, war Crawler wohl getroffen worden, dabei gegen die Türklinke gekommen und dann mitsamt der aufspringenden Tür m Zimmerinneren gelandet. Dafür sprach auch die Tatsache, daß nach dem erfolgten Aufprall minutenlang absolute Stille herrschte. Langsam lugte Wannabe wieder aus seinem sicheren Versteck hervor und bemerkte dabei erleichtert, daß die Lederstiefel, welche Crawler hier bei seinem nächtlichen Überfall trug, völlig regungslos und nebeneinander hingestreckt im Türrahmen lagen. Mit vorgehaltener Waffe richtete sich Charles Wannabe langsam wieder auf und schlich - Zentimeter um Zentimeter - auf die Tür mit den Stiefeln zu, seinen Öberkörper fest an die Flurwand gepreßt und jederzeit zum Angriff bereit, falls der Stiefelträger wider Erwarten doch noch einmal zu sich kommen sollte. Nach einer gefühlten Ewigkeit langte Charles endlich am Türrahmen an, in den er nun erwartungsvoll seinen Kopf steckte. Zu seinem Entsetzen stellte er dabei fest, daß die von ihm ausgemachten Stiefel ganz ohne den zugehörigen Besitzer im Türrrahmen lagen. Crawler, der durchtriebene Lump, hatte sie scheinbar nach seinem selbstinszenierten Fall ins Zimmer abgestreift und als Falle derart auffällig im Türrahmen postiert. Und sein Plan war durchaus aufgegangen, denn nun stand der arme Charles ohne jede Deckung mitten im Türrahmen des Zimmers 421, von wo aus ihn die hinter der offenstehenden Zimmertür hervorschießende Hand des völlig unverletzten Crawler nun mit aller Gewalt am Hemdskragen packte und ins Zimmer schleuderte, wo er sodann am Fußende des Bettes seiner Frau Janet zu liegen kam. Derrik Crawler aber trat mit vorgestreckter Waffe auf den am Boden Liegenden zu und krächzte siegesbewußt: "Zeit, sich zu verabschieden, Wannabe! Seit der Sache mit der verunglückten Handgranate im Berliner Untergrund warte ich nun schon auf diesen Moment - den Moment, Ihnen all die Schmach, die Sie mir während unserer Zeit beim Yard zugefügt haben. Sie haben mich all die Jahre nie als Partner behandelt, sondern immer nur als Laufbursche. Ich war all die Jahre Ihr Schoßhündchen und Ihr Fußabtreter. Und schon damals hab ich mir geschworen, daß ich es Ihnen einst heimzahlen werde. Meine Rache begann, als ich mit Ihrer Frau schlief und sie zu meinem willenlosen Werkzeug umprogrammierte. Sie setzte sich fort, als ich Ihren Schwiegervater, den Yardchef, umbringen ließ. Und nun vollendet sie sich, indem ich Ihnen hier und heute für immer und ewig das Lebenslicht auspuste. Und Sie können sich noch nicht einmal wehren, denn Ihr Magazin ist leer, und meins hat noch genau eine Patrone!". Ein breites Grinsen huschte über Crawlers Gesicht, während sein Zeiegfinger den Hahn der Pistole niederpreßte. Charles Wannabe aber schloß die Augen vor seinem nahenden Ende. Vor seinem geistigen Auge erschienen noch einmal seine geliebte Claudia und der kleine Cedrick mit dem schwanzwedelnden Vierbein auf dem Arm. Und während sich seine Hände zitternd ineinanderzufalten begann, wisperte Charles Wannabe leise mit tränenerstickter Stimme: "Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist! Dein Wille geschehe, Dein Reich komme, wie im Himmel so auf Erden!". Crawler aber schüttelte nur ungläubig den Kopf: "Was ist nur aus Ihnen geworden, man?! Ein Jammerlappen, der zum Himmel hinauf um Vergebung winselt! Egal, Ihr himmlischer Glaube kann Sie jetzt auch nicht mehr retten! Fahren Sie zur Hölle, Mister Wannabe!". Das leise Knacken des komplett durchgedrückten Pistolenabzugs war zu vernehmen, dann ein Schuß, und schließlich Totenstille ...

Lukas Svensson war derweil längst im Erdgeschoß angelangt, wo er den Metallkoffer mit den Waffen noch rasch in der Lichtschranke der Lifttür aufgestellt und sich dann in Richtung Hintertür aufgemacht hatte. Hier traf er nun auf den sich - mittels eines Dolches aus dem mitgeführten Besteckkoffer Cyphers - von außen an der Tür zu schaffenden machenden Vorberg, der beim Anblick des Ex-Inspektors durch die panzerverglaste Tür hindurch sichtlich in sich zusammenzuckte, woraufhin er den Dolch wieder im Koffer verstaute und sich dann mit selbigem schnellen Fußes in Richtung des von ihm unweit des Hintereingangs abgestellten Kleintransporters begab. Vor Svenssons Augen bestieg der Flüchtende das Auto auf der Fahrerseite und machte sich umgehend daran, den Motor zu starten. Lukas aber hielt gleichzeitg fieberhaft Ausschau nach jenem Knopf, der die elektronisch verriegelte Tür von innen her zu öffnen vermochte. Er entdeckte ihn schließlich auch recht schnell, worauf mit leisem Surren die Tür langsam nach innen aufzugehen begann und dem Ex-Inspektor so den Weg nach draußen freigab. Schweratmend lief Lukas Schritt um Schritt auf den schwarzen Transporter zu, dessen Motor immer wieder ein kurzes, jammervolles Jaulen von sich gab, um dann sofort wieder in absolutem Stillschweigen zu verharren. Von der Fahrerkabine her hörte er dazu wiederholt ein knurriges: "Verfluchter Mist! Jetzt spring doch schon an! Nur noch dieses eine Mal!". Svenssons ausgesteckte Hand erreichte inzwischen schon den Türgriff auf der Beifahrerseite des Kleintransporters, von wo er sie in selber Sekunde erschrocken wieder zurückzog. Der Grund dafür war der spitze, qualvolle Aufschrei einer Frau, der aus einem offenstehenden Fenster in der sechsten Etage heraus an sein Ohr gelangte. Blankes Entsetzen zog in sein Gesicht, als er beim Heraufschauen begriff, daß es sich bei jenem, weit und breit einzig erleuchteten Fenster nur um das seines Zimmers handeln konnte - und bei der so grauenvoll aufschreienden und mittlerweile nun komplett verstummten Frau damit zweifelsfrei um seine geliebte Yelena. Eine düstere Schattengestalt erschien im nächsten Augenblick auf dem Sims des nun gänzlich aufgerissenen Fensters und stürzte sich von dortaus mit einem einzigen Satz in die Tiefe. Ein lautes Knacken und Rascheln verriet dem Ohr Svenssons, daß die herabgestürzte Person in einem der Hauswand nahestehenden Gebüsch gelandet sein mußte. Lukas richtete seinen Blick dahingehend aus, und seine sich nur langsam an die ihn umgebende Dunkelheit gewöhnenden Augen erkannten dabei den gräulichen Umriß einer ummantelten Mannsperson, die sich nun hinkend dazu anschickte, auf den im Abfahren begriffenen schwarzen Transporter zuzuschreiten. Der Motor des Kleintransporters aber heulte im selben Moment einmal kräftig auf und vermeldete sodann mit leisem eintönigen Schnurren die Abfahrbereitschaft des Gefährts. Zufrieden grinsend löste Vorberg am Lenkrad des Transporters die Handbremse und trat, den Schalthebel durchreißend, nacheinander auf Kupplung und Gas, woraufhin der Kleinlaster sich nun reifenquietschend und auf seinem sandigen Untergrund reichlich Staub aufwirbelnd in Gang setzte. Noch ehe die hinzueilende Schattengestalt oder auch Lukas des Gefährdes habhaft werden konnten, war es auch schon in einer dichten Staubwolke auf nimmer Wiedersehen in Richtung der Zufahrt zum nahegelegenen Krematorium verschwunden. Der mysteriöse Schattenmann aber, den Svensson nach seinem Heraustreten aus der Finsternis ins schummrige Halbdunkel der bewegungsmeldergesteuerten Leuchte überm Hintereingang unzweifelhaft als Lou Cypher zu identifizieren vermochte, schaute dem entwichenen Fluchtfahrzeug nur kopfschüttelnd hinterher und zischte dann verbittert: "Elender Hundsohn! Sucht einfach das Weite und läßt seinen Herrn und Meister hier eiskalt zurück!". Ein teuflisches Grinsen begann eine Sekunde später seine Mundwinkel zu umspielen, wozu er ergänzte: "Nun ja, meine Schule eben! Nur ein Trottel denkt schließlich in solch einer brenzligen Situation an andere, und nicht zuerst an sich selbst! Der Junge wird es in meiner Nachfolge in jeder Hinsicht noch weit bringen, da bin ich mir sicher!". In diesem Moment entdeckte Cypher Lukas Svensson, der etwa sechszig Meter von ihm entfernt stand und grölte: "Sieh an! Wieder so einer, der glaubt - der glaubt, mich zur Strecke bringen zu können und am Ende doch nur selber dran glauben muß! So wie schon eben Ihre geliebte Frau dran glauben mußte, als mein wiedererwachter Leib ihr anmutiges Antlitz recht unsanft in die Kissen drückte. Kein schöner Tod, dieses Ersticken, nicht wahr?! Wenn einem langsam aber unabänderlich die Luft ausgeht. Wenn man sich windet und kämpft und am Ende doch kapitulieren muß. Aber vielleicht hab ich im Eifer des Gefechts ja doch gar nicht lange genug zugedrückt, und es ist noch ein letzter Hauch von Leben in ihr, wer weiß?! Dilemma, Dilemma, nicht wahr, Sie armseliger Einfaltspinsel?! Wie sollen Sie sich da nun entscheiden? Zurückeilen und die Geliebte so vielleicht doch noch retten?! Oder mir nachlaufen und meinem schändlichen Treiben für immer und ewig den Garaus machen?!". Ein grausiges Lachen drang aus Cyphers Kehle hervor, dann setzten sich seine krummen Beine langsam humpelnd in Richtung des nahegelegenen Waldes in Bewegung ...

Aus Lukas Svenssons müden Augen quollen dicke Tränen hervor - Tränen des Zorns und der Ohnmacht zugleich. Rasch machte er auf dem Hacken kehrt und war bereits auf dem Weg zurück in Richtung der Hintertür des Pflegeheims, als von oben her aus dem Fenster seines Zimmers im sechsten Stocks herab die wohlvertraute Stimme des Pflegehelfers Adam East an sein Ohr drang: "Mister Svensson, sie lebt! Ihre Frau - sie ist zwar bewußtlos, aber sie lebt! Ich kümmere mich schon um sie! Schnappen Sie sich jetzt erstmal den miesen Kerl mit dem Hinkefuß!". Lukas trat einen Schritt zurück, mitten in den Lichtkegel der Hintertürbeleuchtung hinein. Sein Kopf aber blickte dabei auffällig nickend nach oben, wozu er überglücklich ausrief: "Mein Gott! Ich danke Dir von ganzem Herzen! Und jetzt hol ich mir diesen verfluchten Teufel!". Ein wenig ratlos drehte sich Svenson hierauf einmal komplett um die eigene Achse und entdeckte dabei im Innern des Heims - unmittelbar neben der Hintertür an die gläserne Front gelehnt - den Cityroller der Heimleiterin Smith, wobei er zu seinem Erstaunen feststellte, daß das protzige Hochglanzgefährt sogar über eine akkubetriebene Beleuchtungsanlage verfügte. Und so schnappte sich Lukas kurzentschlossen den edlen Tretroller und ließ ihm per Knopfdruck vorn wie auch hinten ein Licht aufgehen. Dann rollerte er - wie einst in Kindertagen - ebenfalls in Richtung des Waldes auf den noch ganz frischen Spuren Lou Cyphers davon. Und während im selben Augenblick in der Ferne die Glocken Big Bens mit 12 schaurig klingenden Schlägen die mitternächtliche Stunde einläutete, trafen nun auf dem Parkplatz am vorderen Haupteingang des Pflegeheims neben dem bereits fünf Minuten zuvor angekommenen mobilen Einsatzfahrzeug der Antiterroreinheit CI7 nun auch noch mehrere Rettungswagen samt einer Notärztin sowie ein großer schwarzer Leichenwagen ein ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Samstag, 15. September 2012, 15:46

INSPEKTOR SVENSSON: ABSCHIEDSVORSTELLUNG

"Die Zeiten ändern sich unentwegt. Was mir eben noch vertraut und bekannt erschien, ist mir plötzlich völlig fremd. Namen und Worte sind Schall und Rauch. Längst vergangen Gedachtes wird mit einem Male wieder brandaktuell. Und eine unglaubliche Bedrohung schwebt einmal mehr über meinem Leben und dem eines von mir geliebten Menschen. Ich bin Inspektor Lukas Svensson, und was nun begonnen hat, sind die unwiderruflich letzten Tage meines Lebens".

EPISODE 14: Ausgebrannt und leer

Lukas Svensson hatte keine Ahnung, wie lange er auf dem Cityroller seiner ungeliebten Heimleiterin Frau Schmidt, den Spuren und Geräuschen des flüchtigen Lou Cypher folgend, kreuz und quer durch den Wald geirrt war. Es mochten vielleicht nur einige Minuten gewesen sein - vielleicht aber auch Tage, Wochen oder gar Monate. Ihm jedenfalls war es wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen, an deren Ende er dann mit einem Male völlig außer Atem vor einer mit Brachialgewalt aufgehebelten, hölzernen Tür stand, über der ein beleuchtetes Schild deutlich sichtbar verkündete "Krematorium Portaperlinferno". Jenes Schild aber sorgte auch beim Exinspektor für eine Art Erleuchtung. Denn eine innere Stimme offenbarte ihm noch in selber Sekunde, daß hier - wo schon der Weg so vieler Menschen in der alles verzehrenden, glühenden Hitze des Feuers geendet hatte - auch sein irdischer Weg in Kürze endgültig zu Ende gehen würde ... ebenso wie der irdische Weg seines Erzrivalen Lou Cypher.
Vom Scheitel bis zur Sohle triefend naß bis auf die Haut durchschritt Svensson im Angesicht dieser folgenschweren Erkenntnis schweren Herzens mit einem lauten Stoßseufzer die hölzerne Pforte zum Krematorium und fand sich dabei wenige Sekunden später inmitten eines langgezogenen kahlen, weißen Flures wieder, in dessen Innenwand direkt vor ihm - in Höhe seiner Gürtellinie aufwärts bis hin zur Decke - über mehrere Meter hinweg von eine leichtgetönte Panzerglasscheibe eingelassen war. Das Gesicht des Exinspektors spiegelte sich - hintergründig belichtet von einem flackernden Neonröhre an der gegenüberliegenden Wand - geradezu gespenstisch im matten Scheibenglas. Es war zu seinem Entsetzen von unzähligen blutigen Kratzern überzogen, die wohl von den Zweigen her stammten, die ihm auf seiner wilden Verfolgungsjagd durch teilweise recht dichte Unterholz des dunklen Waldes hier und da entgegengepeitscht waren.

Kalten Schweißperlen gleich bahnten sich hundertfach Tropfen eisigen Regenwassers den Weg von Svenssons nahezu kahler, leichenblasser Stirn hinab auf seine glühenden wangen, wobei sie ihm beim Passieren der Augenbrauen immer wieder sekundenlang den Blick verschleierten. Auch die große neongrüne Digitaluhranzeige, welche sich im hinteren Drittes des großen dunklen Raumes hinter der Mattscheibe direkt über der riesigen gußeisernen Luke eines Verbrennungsofens befand und die exakt in diesem Augenblick auf 00:24 Uhr umsprang, löste sich dabei vor Lukas geistigem Auge in ihre einzelnen Segmente auf und begann unaufhörlich, ähnlich einer animierten Matrix herabfließende Reihen aus leuchtendgrünen Ziffern, Buchstaben und Symbolen zu bilden. Inmitten dieses nur langsam wieder verschwindenden grünlichen Zeichenwirrwarrs aber tauchte dann hinter der gläsernen Mattscheibe die düstere, grauenvolle Gestalt Lou Cyphers im dunkelroten Anzug mit einer verspiegelten Sonnenbrille auf der Nase und einem eingefrorenen Grinsen im Gesicht, beide Arme in selbstanmaßender Siegerpose vor der schmalen Brust verschränkt. Und während seine knöchernen Hände dreimal auf irgendetwas Hölzernes pochten, krächzten seine blassen, blauen Lippen ein wenig heiser klingend: "Schön, Sie wiederzusehen, Mister Svensson! Wir hatten Sie schon erwartet!".

Bei dem Wörtchen "wir" deutete Cypher dabei auf einen naturbelassenen Sarg aus Eichenholz, den er zuvor scheinbar einer von sechs rechts in die Wand jenes düsteren Raumes eingelassenen Kühlkammern entnommen hatte und nun auf einer Art hohenverstellbarer mobiler Hebebühne vor sich her schob. Der Deckel jenes Eichensarges, auf dem deutlich erkennbar die Nummer 666 eingebrannt war, hatte an der Lukas Svensson abgewandten Seite zwei eiserne Schaniere und war an der ihm zugewandten Seite mit zwei Flügelmutterschrauben verschlossen, welche Cypher durch einen weitreichenden Übergriff seiner schmieriger, dürren Hände in diesem Moment eilends zu lösen begann. Anschließend klappte er den Sargdeckel hoch, wodurch im Innern jener schaurigen Holztruhe ein aschfahler, ganz in schwarz gehüllter Jüngling mit grauenvoll schwarz bemalten Lippen, Augenlidern und Wimpern zum Vorschein kam. Cypher aber rollte den Dahingeschiedenen samt Sarg und fahrbarem Untersatz sogleich in Richtung eines vor der gußeisernen Luke des Verbrennungsofens angebrachten etwa drei Meter in den Raum hineinragenden Rollbandes, auf dessen vorderem Ende er die Holztruhe dann nach kurzer Höhenkorrektur der mobilen Hebebühne platzierte. Langsamen Schrittes bewegte sich Lou Cypher nun zu einer Schalttafel, die sich rechts des Verbrennungsofens an der gekachelten Wand befand, und betätigte ein paar der darauf angebrachten Knöpfe. Das grüne Display hoch über dem Ofen veränderte dabei im Sekundentakt seine Anzeige: "HELL0666 ... Vorbereite Kremation ... Öffne Luke ... Starte Rollband". Unter leisem Rattern begannen sich all die unzähligen schmalen Eisenzylinder des Rollbands zu drehen und beförderten so den auf ihnen abgestllten Eichensarg Millimeter um Millimeter wie in Zeitlupe in Richtung der sich langsam nach oben hin öffnenden Luke des Verbrennungsofens, in dessem schamottverkleidetem Innern ein glutrotes Flimmerns sogleich das Vorhandensein einer ungeheure Hitze andeutete. Cypher aber lief sichtlich erregt um das Rollband herum, und schnupperte im Angesicht des sich vor ihm öffenden Feuerofens am Leichnam im offenstehenden Sarg. In seinen Pupillen spiegelte sich das Glutrot des Ofeninnern wieder, als er sein Haupt emporreckend mit hochgerissenen Armen Lukas freudestrahlend entgegenzischte: "Spüren Sie diese allesvernichtende Hitze! Riechen Sie diesen herrlich berauschenden Geruch von Verwesung und Tod! Sehen Sie mich an ... meinen Körper, wie er mir - mit eitrigen Beulen und brennenden Wunden reich übersät - unendliche Höllenqualen und einen geradezu pestilenzartigen Gestank beschert". Mit diesen Worten riß er sich mit den langen, scharfen Krallen, die seine Fingernägel darstellten, in einem Anflug von Wahnsinn sämtliche Kleider in Streifen von seinem Leib. Und während sich Lukas beim widerlichen Anblick, den ihm der sich nun komplett die Blöße gebende Cypher bot, fast übergeben mußte, reckte jener erneut beide Arme in die Höhe und verlautbarte: "Ja! Tod und Feuer! Auslöschung und Verderben! Das alles hier ist meine Welt! Meine Welt!". Mit seiner rechten Hand umklammerte er dabei ein Briefkuvert - jenen Umschlag mit dem schwarzen Rand und der grünen und blauen Marke, den Lukas als letztes Vermächtnis von seinem Onkel Fritz aus Berlin erhalten hatte. Und während er in gleicher Sekunde den schmutzbedeckten Daumen seiner linken Pranke der Decke entgegenstreckte, entsprang aus ihm ein kleines loderndes Flämmchen, welches den unmittelbar darüber befindlichen Brandmelder auslöste, der wiederum die mit ihm verbundene, im Deckeninnern eingebundene Spränkleranlage auslöste. Überall aus der Decke rieselte mit einem Mal eine Unmenmge winzigkleiner, feiner Wassertropfen auf Cypher und alles in seiner Umgebung herab. Auch das Daumenfeuer wurde dabei umgehend gelöscht, und binnen weniger Sekunden sah der entblößte Cypher wie ein begossener schwarzer Pudel aus. Svensson aber betrachtete in matten, leichtverspiegelten Panzerglas nun sowohl Cypher wie auch sein eigenes blasses Spiegelbild. Und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er dabei eine unheimliche Ähnlichkeit zwischen seiner eigenen jammervollen Gestalt und der jenes abscheulichen Teufels zu erkennen - so als sei dieser Lou Cypher so etwas wie das spiegelverkehrte Abbild oder gar die Negation seiner selbst.

Unter dieser unheilvollen Erkenntnis bäumte sich Lukas Svenssons bis dato gebeugter, schlaffer Körper unter Zusammennahme aller verbliebenen Kraftreserven noch einmal sichtlich auf. Er sah sich um und erkannte, daß der einzige Zugang zu dem Raum, in dem sich Cypher und der Verbrennungsofen befanden, in einer Flügeltür bestand, die sich wenige Meter von ihm entfernt zu seiner Linken direkt neben der Panzerglasscheibe in die Innenwand des Flures eingelassen war. An beiden Flügeln der Tür waren dabei an den einander zugewandten Seiten Metallgriffe angebracht, die bei Bedarf eigentlich ein rasches Öffnen der Tür ermöglichen sollten. In dieser ganz speziellen Situation aber sah Lukas in ihnen die Chance, genau das Gegenteil zu bewirken - nämlich ein schnelles und todsicheres Verschließen jener Tür und damit auch des einzigen Fluchtwegs, den Lou Cypher hier noch hatte. In Windeseile zog er aus seiner Hosentasche die mitgeführten Handschellen hervor und ließ sie dann um die beiden Griffe der nahegelegenen Tür geräuschvoll wieder zuklicken. Er begab sich daraufhin raschen Schrittes zur Panzerglasscheibe zurück und verkündete seinem sichtlich überraschten teufischen Visavis mit selbstsicherer Stimme: "Sie können ruhig aufgeben, Cypher! Es gibt für Sie hier nun kein Entrinnen mehr! Nein, eines steht jetzt fest! Es endet heute nacht!". Lou Cypher aber nickte nur kühl: "Ich weiß! Ich habe es gesehen! Und doch endet es erst, wenn auch Sie alles gesehen und erkannt haben, Sie gutgläubiger Narr! Darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel!". Hierbei streckte er Svennson seine rechte Faust entgegen, die noch immer den wertgeschätzten, blaumarkigen Briefumschlag umklammerte. Und triumphierend vollendete Cypher seine kurze Ansprache an Svensson mit den Worten: " Bereit für meine Abschiedsvorstellung und zugleich den letzten Vorhang für das große Trauerspiel ihres erbärmlichen Lebens?!". Schaurig lachend hüpfte er dabei - einer Heuschrecke gleich - mit einem einzigen Satz auf den offenstehenden Sarg, wobei er mit seinem knochigen Hintern und seinem ekelerregenden Gemächt genau auf dem verblaßten Gesicht des toten Jünglings im Sarginnern zu hocken kam. Cyphers gierige Klauen zerrissen dabei die schwarze Umhüllung des Leichnams in dessen Lendengegend. Alsdann aber senkte sich der Kopf jenes Satans lüstern dreinschauend immer weiter zu jener freigelegten Region des von ihm Besessenen herab, und die gespaltene Zunge des Übeltäters drang dabei pfeilschnell zwischen den bläulich marmorierten Oberschenkeln der Toten hindurch in Richtung seines hartgefrorenen Anus vor. Just in diesem Moment erreichte der Sarg das Ende des Rollbandes und wurde dabei mit einem recht gewaltigen Ruck ins glühendheiße Innere des Verbrennungsofens getrieben. Der Sargdeckel aber fiel aufgrund der damit verbundenen Erschütterung zu, wobei sich an ihm eine der zuvor aufgeschraubten Flügelmutterschrauben derart unglücklich verkantete, daß es von innen her einfach unmöglich war, ihn wieder aufzubekommen. So sehr der eingesperrte Cypher auch mit beiden Fäusten von innen gegen den Sargdeckel trommelte, es half ihm nichts. Und auch Lukas konnte nichts gegen das unvermeitliche Schicksal ausrichten, bemerkte er doch recht schnell beim ungestümen Durchwühlen seiner Hosentaschen, daß er den Schlüssel für die Handschellen wohl im Schrank im Heim liegenlassen hatte. Und so wurde die Eichentruhe mit dem in ihr eingeschlossenen Cypher vor den Augen des hilflosen Exinspektors Stück um Stück weiter in den Ofen hineingetrieben, bis sie ganz in seinem Innern verschwunden war. Hier entzündete sie sich nun schließlich selbst und brannte samt ihrem Inhalt lichterloh, während sich die Luke hinter ihr bereits langsam wieder verschloß.

Unmittelbar neben dem Verbrennungsofen aber begann das Flackern der züngelnden Flammen im Ofeninnern - einem Cinematographen gleich - drei bewegte Schattenbildfolgen an die Wand zu projizieren, in denen Lukas glasig verschwommener Blick drei sehr bewegende und ihn für immer prägende Szenen aus seiner Kindheit wiederzuerkennen glaubte. In der ersten Bildfolge zeichnete sich ein Automobil ab, das im tiefsten Winter - einem mitten auf der Straße hockenden Mann ausweichend - einen Abhang herunterstürzte. Die leblosen, blutüberströmten Körper zweier Menschen wurden dabei aus dem Wageninnern durch die Windschutzscheibe hinausgeschleudert, in denen Lukas zu seinem Entsetzen seine Mutter und seinen Vater wiederzuerkennen glaubte. Der auf der Straße hockende Mann aber humpelte unterdessen vondannen, wobei sein hinkendes Bein auf dem hartgefrorenen Erdboden ein hölzernes Geräusch verursachte. In der zweiten Bildfolge glaubte Lukas, sich und seinen Onkel beim Betreten einer Bankfiliale wiederzuerkennen. Der Onkel wollte Geld abheben, als ein maskierter Mann mit vorgehaltener Schrotflinte die Bank stürmte. Wenige Momente später gab es einen mörderischen Knall, und Lukas sah seinen Onkel mit zerfetztem Gesicht blutüberströmt und tödlich getroffen zu Boden sinken. Der davoneilende Mörder aber verursachte mit seinem nachgezogenen Bein auf den Dielen des Fußbodens der Bank einen hölzernen Klang. Im dritten Schattenbild sah sich Lukas als kleiner Junge in eine, von innen mit Blech beschlagene Zuckertruhe kriechen. Jemand verriegelte dabei hinter dem jungen Lukas die Klappe der Truhe und lief dann davon. Und dabei bemerkte der alternde Lukas, was der junge Lukas damals in der schrecklichen Dunkelheit jener engen Truhe bei all der verständlichen Panik und Todesangst nicht bemerkt hatte ... das hölzerne Klopfen, welches anscheinend eines der Beine des fortlaufenden Übeltäters auf den Gehwegplatten im Hinterhof des Kinderheims "Sunshine" verursachte.

Am Ende aber all jener drei schwerwiegenden Schlüsselerlebnisse aus seiner Kindheit, die ihm die dunklen Schattenbilder vor Augen führten, stand dabei immer wieder ein und dasselbe Standbild ... ein teuflisch grinsender Lou Cypher, dessen hinkender Klumpfuß mit hölzernem Klang auf dem Boden aufstampfte.

Jene düsteren Schatten der Vergangenheit, dazu das schaurige hölzerne Klopfen des im Flammenmeer untergehenden Cyphers gegen das Innere des Sargdeckels ... all das raubte dem ohnehin ja schon recht angeschlagenen Lukas Svensson nun gänzlich die Sinne. Ohnmächtig sank er ganz allmählich zu Boden und registrierte dabei nur noch wie von ferne das Eintreffen eines pechschwarzen Leichenwagens vor der sperrangelweit offenstehenden Eingangstür am Ende des langen, schmalen Krematoriumsflures. Wie aus einer anderen Welt drangen die leisen Stimmen des Fahrers und des Beifahrers in ihren schwarzen Zweiteilern an sein Ohr, die aus dem hinteren Teil des Wagens eine Zinkwanne hervorholten, wobei einer der beiden Männer in Schwarz beim Überfliegen des auf dem Zinkwannendeckel liegenden Totenscheins murmelte: "Traurig, wie so ein Leben manchmal endet. Zumal der Ärmste hier anscheinend früher mal ein ziemlich hohes Tier bei der Polizei gewesen ist". Der andere schwarze Mann nickte kurz, während er den Deckel des Zinksargs leicht anhob, dann raunte er: "Au man, die im Heim haben beim Ausfüllen des Zehzettels mal wieder die Hälfte vergessen. Wie hieß der teure Verblichene doch gleich nochmal mit Vornamen?". Einen Moment lang herrschte Totenstille, dann erwiderte die Stimme des Befragten: "Also hier steht es schwarz auf weiß: Sein Vorname war Charles" ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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